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Portugal

Die Regierung macht die Rechtsextremisten salonfähig

10. November 2025 , Lissabon
Thomas Fischer
Luis Monenegro
Luis Montenegro, der portugiesische Regierungschef und Präsident der Sozialdemokraten PSD (Keystone/EPA/Estela Silva)

Luis Montenegros «Nein heisst Nein» gegenüber der rechtsextremen Partei Chega, das war einmal. Montenegro führt seit Juni seine zweite bürgerliche Minderheitsregierung, und sie hat mit den Rechtspopulisten wiederholt gemeinsame Sache gemacht. Wenn es um Einwanderung und Einbürgerung ging, setzte Chega gar manche Akzente. Wegen ihrer rassistischen Orientierung ertönen Rufe nach einem Verbot dieser Partei.

«Dies ist nicht Bangladesh» verkünden Plakate mit dem Bild von André Ventura, Führer der rechtsextremen und rassistischen Partei Chega. Er ist wieder einmal auf Stimmenfang, diesmal als Kandidat bei der Direktwahl des Staatspräsidenten am 18. Januar. Es zeichnet sich nicht ab, dass ein Kandidat (oder gar eine der zwei Kandidatinnen) am Wahltag die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Ventura, dessen Partei bei der nationalen Parlamentswahl im Mai 60 der 230 Sitze im Parlament errang und dort die zweitstärkste Fraktion stellt, rechnet sich gute Chancen aus, drei Wochen später, also am 8. Februar, eine Stichwahl bestreiten zu können.

André Ventura
André Ventura, Anführer der rechtsextremen und rassistischen Chega-Partei (Keystone/EPA/Tiago Petinga)

Neue Regeln für die Einwanderung

Vor der Parlamentswahl im Mai hatten sich die Rechtspopulisten wieder einmal auf die Korruption konzentriert. Seit ihrem Erfolg an den Urnen zeigen sie mehr denn je wieder ihr xenophobes Gesicht. An Schwarze oder Frauen und Männer, die das Portugiesische mit brasilianischem Akzept sprechen, haben sich die Menschen im Land gewöhnt, aber noch nicht an Zuwanderer vom indischen Subkontinent, also aus Indien, Pakistan, Nepal und Bangladesh, die Ventura zum Vorwand nimmt, vor unkontrollierter Einwanderung, Kriminalität und Überfremdung zu warnen. Mit Forderungen nach strengeren Regeln für die Einwanderung ist er bei der bürgerlichen Minderheitsregierung von Ministerpräsident Luis Montenegro nicht auf taube Ohren gestossen. Sie war, das lässt sich nicht bestreiten, mit einer wirren Situation konfrontiert. Als Erbe hatten ihr die im März 2024 abgewählten Sozialisten rund 400’000 unerledigte Anträge von Migranten auf Aufenthaltserlaubnisse hinterlassen. Montenegros Regierung beschränkte sich aber nicht darauf, nur diesen Berg abarbeiten und Ordnung schaffen zu wollen. Er nahm eine Änderung des Ausländerrechts in Angriff, und da konnte auch Chega einige Akzente setzen.

Im Sommer billigten die Abgeordneten von Montenegros Aliança Democrática (mit Montenegros PSD als führender Kraft) unter anderem mit den Stimmen von Chega eine erste Version für ein neues Gesetz, die das von Präsident Marcelo Rebelo de Sousa angerufene Verfassungsgericht aber kippte. Eine abgeschwächte und vom Präsidenten mittlerweile in Kraft gesetzte Version sieht immer noch Erschwernisse vor, etwa für den Nachzug von Angehörigen und die Erteilung von Visa für die Arbeitssuche, die nun Personen mit qualifizierten Berufen vorgehalten sind. Wer eine Aufenthaltserlaubnis erneuern will, muss Mittel für den Lebensunterhalt nachweisen, wobei – auf einen Vorschlag von Chega hin – Sozialleistungen nicht mitzählen.

Erschwernisse auch für die Einbürgerung

Damit nicht genug. Im Oktober billigte die gleiche rechte Mehrheit im Parlament neue Regeln für die Einbürgerung. Um einen portugiesischen Pass beantragen zu können, war bisher der Nachweis eines fünfjährigen Aufenthaltes im Land erforderlich. Für Personen aus anderen EU-Ländern und aus den Staaten der Gemeinschaft portugiesischsprachiger Länder verlängert sich diese Frist auf sieben, sonst auf zehn Jahre. In Portugal geborene Kinder ausländischer Eltern haben fortan nur einen Anspruch auf die Einbürgerung, wenn sich letztere fünf Jahre (bisher ein Jahr) legal im Land aufgehalten haben.

Wer einen portugiesischen Pass wollte, musste bisher schon einen Sprachtest absolvieren. Fortan soll auch der Nachweis von Kenntnissen über die Kultur des Landes, seine politische Organisation und demokratische Werte erforderlich sein.

Eine zugleich beschlossene Änderung des Strafrechts sieht vor, dass eingebürgerten Zuwanderern, die zu Haftstrafen von fünf oder mehr Jahren verurteilt werden, zusätzlich die Staatsangehörigkeit aberkannt werden kann.

Offensive beim Arbeitsrecht und liberales Unbehagen

Auch bei einer breit angelegten und durchweg unternehmensfreundlichen Revision des Arbeitsrechts ist der Regierung der Rückhalt von Chega so gut wie sicher. Individuelle Entlassungen sollen leichter und die Arbeitszeiten noch flexibler sein als bisher. Geplant ist zudem die Streichung einiger Garantien für Mütter kleiner Kinder. 

Lissabon
Demonstration in Lissabon gegen die Revision des Arbeitsrechts «Lässt sich dieses (Gesetzes-)Paket retour schicken?» steht auf dem Plakat. (Foto: Thomas Fischer)

Aus Protest gegen diese Pläne haben die zwei gewerkschaftlichen Dachverbände – das sind die grössere und linkere CGTP und die moderate UGT – für den 11. Dezember zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen. In Fragen des Arbeitsrechts stehen die Rechtspopulisten definitiv nicht an der Seite der Leute aus dem einfachen Volk, die sie vor unkontrollierter Einwanderung und vor einer Überfremdung der Bevölkerung infolge der Geburt so vieler Kinder mit afrikanischen, brasilianischen oder asiatischen Eltern warnen.

Unbehagen gegenüber der Öffnung der Regierung gegenüber Chega bekundete jüngst sogar Mariana Leitão, Vorsitzende der eher rechten Iniciativa Liberal (IL), die neun Abgeordnete im Parlament stellt. Sie sah bei Montenegros Partido Social Democrata «gefährliche Zeichen» für Zugeständnisse an Chega und fand, Venturas Partei greife die Demokratie an. Und doch hatten die IL-Abgeordneten mit denen des Regierungslagers und Chega für die Änderungen am Ausländerrecht gestimmt.

Sehnsüchte nach dem Diktator?

Ist Ventura nicht nur ein Populist und Rassist, sondern auch Faschist? In einem Interview erinnerte er kürzlich an António de Oliveira Salazar, faschistischer Diktator der Jahre 1932–68. Ventura fand, dass in dem Land mit einer, wie er meinte, Fäulnis von Korruption, Straffreiheit und Banditentum «drei Salazare» nötig wären, um Ordnung zu schaffen. Immer wenn Ventura solche Tiraden über das Stimmvolk erbricht, dienen ihm gewisse Medien als Klangkörper – gerade so, als sei der Rechtspopulismus sexy.

«Die Zigeuner müssen sich an das Gesetz halten» verkündet Ventura auf einem Plakat. Allerdings scheint sich seine eigene Partei nicht ganz an alle Gesetze zu halten. Nach Ansicht des Juristen António Garcia Pereira – einst maoistischer Aktivist, aber ein angesehener Arbeitsrechtler – sollte Chega verboten werden, weil Organisationen mit faschistischer oder rassistischer Orientierung laut Verfassung nicht erlaubt sind. Ein Verbot kann nur das Verfassungsgericht aussprechen, und Garcia Pereira hat kürzlich dem Generalanwalt nahegelegt, beim höchsten Gericht eine entsprechende Klage einzureichen. Einige Tage später reichte der Anwalt einen Antrag mit einem viel simpleren Grund für eine Auflösung der Partei nach. Entgegen einer gesetzlichen Vorschrift habe Chega dem Verfassungsgericht seit August 2019 keine Liste über die Zusammensetzung ihrer nationalen Führungsorgane zugeleitet und damit eine Frist von sechs Jahren überschritten. In diesem Fall sei die Auflösung einer Partei vorgesehen, argumentiert der Jurist. Ob sich der Boden für den Rechtspopulismus durch die schlichte Auflösung einer Partei mit 1,4 Millionen Wählerinnen und Wählern austrocknen lässt, steht freilich auf einem anderen Blatt.

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