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Lucerne Festival/Genfer Oper

Die Drei aus Russland

12. September 2016
Annette Freitag
Kirill Petrenko © Manuela Jans/LUCERNE FESTIVAL
Kirill Petrenko © Manuela Jans/LUCERNE FESTIVAL
Es war die Woche der russischen Dirigenten. Der Jüngeren. Der Dynamischen, der Interessanten. Sie alle sind so um die 40 Jahre alt ...

... und sie haben diese Konzertwoche von Luzern bis Genf geprägt. Zum Abschluss des Lucerne Festivals einerseits, zum Saisonstart der Genfer Oper andererseits.

Teodor Currentzis

Den Auftakt hat Teodor Currentzis am 4. September in Genf gemacht. Der gebürtige Grieche mit russischem Pass gilt mittlerweile als Kultfigur unter den Dirigenten: Charismatisch und besessen zugleich hat er nun auch Genf im Sturm erobert.  Mitgebracht hat er «The Indian Queen», ein Opernfragment des englischen Barockkomponisten Henry Purcell aus dem Jahre 1695. Und natürlich sein Orchester MusicAeterna mit Chor. Gespielt wurde im «Théâtre des Nations», also dem Provisorium des Grand Théâtre, das zurzeit renoviert wird. Am Schluss: Grenzenlose Begeisterung nach fast vier Stunden Spieldauer mit betörender Musik. «The Indian Queen» war atemberaubend schön, unendlich traurig, voller Süsse und Wehmut. Magisch…

Teodor Currentzis  : © Robert Kittel
Teodor Currentzis : © Robert Kittel

Es war der erste Auftritt von Teodor Currentzis in Genf und es war zugleich der einzige mit der «Indian Queen» in der Schweiz. Für Genf eine wahre Entdeckung.

In Zürich kennt man Currentzis bereits, denn im Opernhaus ist er schon vor drei Jahren mit Schostakowitschs «Lady Macbeth von Mzensk» aufgefallen. Im Frühling 2016  nahm er sich wieder «Macbeth» vor, diesmal aber Giuseppe Verdis Oper, nach dem Drama von Shakespeare. «Macbeth» wurde ein phänomenaler Erfolg für Currentzis, den Griechen, der in St. Petersburg zum Dirigenten ausgebildet wurde, mehr als die Hälfte seines Lebens inzwischen in Russland verbracht und auch die russische Staatsbürgerschaft angenommen hat. Drei Zeitzonen von Mitteleuropa entfernt, im äussersten Osten Europas, in Perm am Ural, hat Currentzis musikalische Wunder vollbracht, die er inzwischen auch in den Westen Europas exportiert.

Kirill Petrenko

Drei Tage später war man unterdessen beim Lucerne Festival neugierig auf Kirill Petrenko. Auch er kommt aus dem Ural, aber noch eine Zeitzone weiter entfernt von Mitteleuropa, nämlich aus Omsk, das bereits auf asiatischem Boden liegt. Ausgebildet wurde Petrenko allerdings vor allem in Europa, und zwar in Vorarlberg, wo sein Vater, ebenfalls Musiker, im Symphonieorchester spielte. Kirill Petrenkos Weg führte dann über Wien nach Deutschland, wo er eine rasante Karriere machte und sich schnell auch in der internationalen Musik- und Opernwelt etablierte. Inzwischen ist er Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper und designierter Nachfolger von Simon Rattle als Chef der Berliner Philharmoniker. In Luzern trat er mit dem Bayerischen Staatsorchester auf und präsentierte Richard Wagners Vorspiel zu den «Meistersingern», und «Vier letzte Lieder» von Richard Strauss, dazu die «Sinfonica domestica». Klein und unscheinbar kommt er auf die Bühne und stellt sich vor das riesige Orchester. Kaum hat er den Takt angegeben, zieht er die Zügel an und behält das Orchester unter ständiger Kontrolle. Mit grösster Lebendigkeit hüpft und verrenkt er sich, Stillstand gibt es nicht. Hier wird aus dem Vollen geschöpft, ganz ohne Grossspurigkeit, und das Orchester kann auch extrem zart klingen, wenn Diana Damrau die «Vier letzten Lieder» singt. Auch Kirill Petrenko zieht das Publikum von Anfang an auf seine Seite und erntet begeisterten Applaus für seinen ersten Auftritt am Lucerne Festival

Tugan Sokhiev

Ebenfalls neu beim Lucerne Festival war wiederum zwei Tage später Tugan Sokhiev. Knapp 40 Jahre alt ist er und seit zwei Jahren musikalischer Chef des Moskauer Bolshoi-Theaters. Er ist in St. Petersburg noch vom legendären Ilya Musin ausgebildet worden, wie zuvor schon Teodor Currentzis und Valery Gergiev. Sokhiev und die von ihm geleiteten Wiener Philharmoniker begeistern das Publikum: Alles klingt frisch und spannend, wenn Sokhiev Mendelssohn dirigiert oder Tschaikowskys Sinfonie Nr. 5. Ganz besonders aber im mittleren Programmteil, «The Tears of Nature», einer Komposition des Chinesen Tan Dun, in der auch der junge italienische Percussionist Simone Rubino brillieren kann. «Vielleicht eine überraschende Zusammenstellung, ziemlich unüblich», sagt Sokhiev zu diesem Programm. «Ein Konzert ist wie ein grosses Gebilde, ein ausgewogenes Gebilde, aber mit Kurven, und die tun gut. Wir mischen hier verschiedene Zeitepochen zusammen». Und das Publikum hört jedes Stück wieder ganz neu.

Tugan Sokhie  © Stefan Deuber/LUCERNE FESTIVAL
Tugan Sokhie © Stefan Deuber/LUCERNE FESTIVAL

Seit acht Jahren leitet Sokhiev auch das Orchestre national de Toulouse und er war bis in diesem Sommer Chefdirigent des Deutschen Symphonieorchesters Berlin, ein Amt, das er nun aber abgab, um sich stärker dem Bolshoi-Theater widmen zu können. Dort hat er vor etwa sechs Wochen mit grossem Erfolg Berlioz’ «La Damnation de Faust» herausgebracht, in einer Neuinszenierung von Peter Stein, der damit sein Debut am Bolshoi-Theater gab. «Das Bolshoi ist eines der grössten Theater in Europa», sagt Sokhiev im Luzerner Dirigentenzimmer, «3000 Angestellte haben wir!». Da ist die Anwesenheit des Musik-Chefs durchaus gefragt… und Sokhievs Ziel ist es, mehr internationale Künstler nach Moskau zu bringen und das Repertoire zu erweitern.

Drei bemerkenswerte Dirigenten in einer Woche. Und alle Drei aus Russland. Zufall, meint Tugan Sokhiev. Wer weiss… auf jeden Fall geht es weiter mit den musikalischen Entdeckungsreisen unter russischer, oder besser gesagt halb-russischer Leitung. Teodor Currentzis wird Anfang November am Opernhaus Zürich Mozarts «Entführung aus dem Serail» dirigieren und schon Ende Oktober kommt die CD-Einspielung des «Don Giovanni» heraus. Auch hier darf man neugierig sein, denn selten wurde so viel Aufwand für eine CD-Einspielung betrieben: Die erste Version hat seine eigenen Ansprüche nicht erfüllt und Currentzis hat noch mal von vorne angefangen. Die zweite Version ist ihm nun offenbar genehm.

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