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Sprach-Akrobatik

Die Dichter vom Jura-Südfuss

13. September 2019
Urs Meier
Bei guter Literatur kann manchmal die Kunst den Inhalt fast vergessen machen.

Hören wir diesen Satz: «Schade, dass ich jetzt übrigens nie mehr wieder ins Büffet II. Klasse treten darf, wo ich mich dadurch unmöglich gemacht habe, dass ich dem Oberkellner meinen Strohhut zum Aufhängen übergab, eine Weltmännischkeit, von welcher der ganze Saal missbilligend Notiz nahm.»

Und diesen: «Und ich fragte mich, ob man am Ende lebe, um sich eben erinnern zu können, was jenes Verlangen erklären würde, von dem Baur in Olten geredet hatte, jenes verrückte Bedürfnis, zurückzuschauen oder mit dem Gestern zu leben oder immer wieder die Fäden in den Griff zu bekommen, die einen verbänden mit dem Verflossenen, Dahingegangenen, Unwiederbringlichen, das sich irgendwo aufgelöst haben müsste und das doch präsent, nicht wegzuschaffen sei, das dann irgendwie mit uns in die Erde gelegt werde, wo es sich auflösen, verflüchtigen oder mit uns eingehen müsste ins Mineralische, Stoffliche, um dann in den Blumen, den Lilien zum Beispiel, den Astern, Märzenglöckchen, Vergissmeinnicht über uns wiederum präsent zu werden, als deren Duft zu verströmen.»

Der erste Satz stammt aus Robert Walsers Roman «Der Räuber», der posthum aus Walsers nachgelassenen Mikrogrammen entziffert wurde. Das zweite Zitat ist aus «Die Ballade vom Schneien» von Gerhard Meier.

Die beiden Schriftsteller schreiben aus demselben Sprach- und Kulturraum, dem Jura-Südfuss nämlich, der Gegend etwa zwischen Biel und Olten. Da herrschen eine bestimmte Langsamkeit und Insichgekehrtheit, auch eine nicht leicht zu erfassende biedere Listigkeit, die sich stets kleiner macht als sie ist.

Es fällt auf, wie sehr beide, Robert Walser und Gerhard Meier, von schreibenden Künstlern als Leitsterne verehrt werden. Meier, der sich selbst gelegentlich als «Provinzler» apostrophierte, war mit seinen Referenzen, die in zahlreichen Sparten vom Klassischen bis zur Gegenwartskunst reichten, alles andere als provinziell. Bei Walser sind es in jüngster Zeit bildende Künstler der Avantgarde, die ihm die Reverenz erweisen. Thomas Hirschhorn hat in den letzten paar Wochen seine «Robert Walser-Sculpture» auf dem Bieler Bahnhofplatz als «Erlebnisraum» der Begegnung mit dem Schriftsteller betrieben. Und Thomas Schütte meinte dieser Tage im NZZ-Interview zu seinem Kunst-Ideal: «Ich halte es lieber mit Robert Walser. Nach einer Stunde Lektüre weiss man gar nicht mehr, was er eigentlich erzählt hat, aber es fühlt sich gut an.»

Der Stoff verschwindet anscheinend hinter der Kunst. Doch nicht etwa, weil er nichts mitzuteilen hätte. Das Erzählte tritt vielmehr deswegen in den Hintergrund, weil bei den Dichtern vom Jura-Südfuss das Unscheinbare durch Kunst zum Leuchten gebracht wird.

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