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Weltwirtschaft

Der Wachstumsrausch ist vorbei

14. Juli 2013
Daniel Woker
Die Schweiz soll nicht die Illusion haben, dass der Handel mit den BRICS-Staaten die traditionellen Wirtschaftspartner ersetzen kann.

Die ursprüngliche Finanzempfehlung ‘BRICS’ (Brasil, Russia, India, China, South-Africa) ist in den letzten zehn Jahren zum Synonym des globalen Aufstiegs nichtwestlicher Schwellenländer, und damit eines neuen globalen Zeitalters geworden. Heute ist deren wirtschaftliches Wachstum gebremst und ihr künftiges Potential ungewiss.

Politisch sind die zwei asiatischen Pfeiler Indien und China Teil einer labilen Pattsituation im Grossraum Asien-Pazifik (AP). Die Welt bleibt zwar multipolar, die ‘BRICS’ sind aber heute mindestens ebenso Teil wie Lösung globaler Problematik.

Übergang zu einer multipolaren Welt

Der Ausdruck ‘BRICS’ wurde von einem Analysten des Invetmentbank Goldman Sachs geprägt, um angesichts von krisenbedingt tiefen Renditen in traditionellen Finanzmärkten auf das Potential schnell wachsender Volkswirtschaften primär im Grossraum Asien-Pazifik (AP), aber auch in Lateinamerika und Afrika hinzuweisen. Da diese wirtschaftliche Diagnose grundsätzlich richtig war, wurden die ‘BRICS’ auch politisch zum Angelpunkt des Übergangs von einer westlich dominierten zu einer multipolaren Welt.

Angesichts der tiefen, aber nun überstandenen Wirtschaftskrise in den USA, und der in Teilen Europas noch andauernden Eurokrise, ist die Berechtigung dieser Neuorientierung bislang nicht in Frage gestellt worden. Politisch und publizistisch stehen zudem die gavierenden, aber letzlich regionalen, auf den Mittleren Osten beschränkte Auseinandersetzungen in der Folge der islamischen Bürgerrevolution (Iran seit den Präsidentschaftswahlen von 2009 ; Tunesien, Libyen, Ägypten, Bahrein und Syrien seit 2011; Türkei seit 2013) im Mittelpunkt globaler Bemühungen zur Krisenbewältigung.

Darob ging, und geht vergessen, dass einige der BRICS-Prämissen heute nicht mehr oder nur noch beschränkt gültig sind.

Einzig China und Indien sind von Belang

Zum einen hatten die beiden BRICS-Endpunkte, Brasilien und Südafrika, von jeher nur beschränkt Gemeinsamkeiten mit dem BRICS-Kern im asiatisch-pazifischen Raum. Im Moment ist Brasilien eher ein Krisen- als ein Zukunftsland. Südafrika ist primär mit sich selbst beschäftigt, ohne auch nur annähernd die ihm zugedachte Rolle als afrikanischer Primus und Protektor wahrnehmen zu könnern. In beiden Ländern ist zwischen der Abhaltung einer Fussballweltmeisterschaft einerseits und nachhaltigem Wachstum andererseits zu unterscheiden.

Für das weitere Gedeihen der globalen Umgestaltung im Sinne der ursprünglichen Bedeutung von ‘BRICS’ sind von Grösse, Bevölkerung und damit Wirtschaftskraft her einzig China und Indien wirklich von Belang. Russland hat zwar Rohstoffe, Nuklearwaffen und eine Rüstungsindustrie, scheint sich aber unter der gegenwärtigen Führung nach hinten, nach der unwiederbringlich untergegangenen Sowjetunion zu orientieren und vergibt damit viele Einflussmöglichkeiten.

Indien fällt zurück

Indien, grösste Demokratie aber auch immer noch grösstes Armenhaus der Welt, scheint einmal mehr den Sprung zur nachhaltigen Entwicklung für alle zu verpassen. Die dramatischen Wachstumsraten der Zeit nach der Öffnung und Privatisierung seiner Wirtschaft haben sich auch in offizieller Lesart auf rund 5% pro Jahr verlangsamt.

Andere Statistiken zeigen stagnierende Reallöhne, andauernde Unterernährung weiter Teile der Bevölkerung und mangelnde Infrastruktur speziell im Bereich der Abfallbewirtschaftung, ganz zu schweigen von der Mutter aller Unterentwicklung, der grassierenden Korruption. Diese hat nun auch den einstmals kompetenten Verwaltungsapparat mit voller Wucht erfasst, was Beobachter immer eindringlicher auch auf die Passivität des vormals vielgelobten Premierministers Singh zurückführen.

Chinas Strukturprobleme

China, als pièce de résistance der ‘BRICS’, hat seine eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, welche einerseits auf krisenbedingte Nachfrageschwäche in seinen westlichen Exportmärkten und andereseits auf hausgemachte, oft systeminhärente Strukturprobleme (Umwelt, Angebotsblasen, Korruption) zurückgehen. Von globaler Bedeutung sind indes die politischen und damit strategischen Auswirkungen des neu gewonnen chinesischen Selbstbewusstseins nach aussen.

Ob dem modernen Auftritt der neuen Führung des Landes geht vergessen, dass diese mit einem offensiven Motto vorgehen will: ‘Ein chinesischer Traum’ hat den klarer nach innen orientierten Leitspruch ‘Eine harmonische chinesische Gesellschaft’ der alten Regierung ersetzt.

Front gegen China

Das haben natürlich auch die Nachbarn Chinas in Ost- und Südostasien zur Kenntnis genommen. Japan unter Premierminister Abe zeigt keinerlei Bereitschaft, alte Kriegsschulden - nicht nur Geld, sondern primär Vertrauenskapital - zu begleichen. Dies wird symbolisiert durch Tokios völlige Unnachgiebigkeit im Inselstreit mit China. Vietnam hat vor kurzem eine ganze Anzahl modernster U-Boote von Russland erworben.

Unter der Führung des südostasiatischen Goliaths Indonesien lässt sich die überwiegende Mehrheit der ASEAN, ungeachtet ihrer Wirtschaftsinteressen, keineswegs in die historische Vassallenrolle gegenüber Peking drängen. Sie haben dabei das abschreckende Beispiel von Laos und Kambodscha vor Augen – zwei Länder, die China zu Marionetten seiner Interessen gemacht hat. Und bekanntlich ist Myanmar dabei, seine diesbezügliche Rolle als chinesisches Relais zum Indischen Ozean abzuschütteln. Die chinesische Expansion war und wird wiederum von Indien mit grossem Argwohn verfolgt; Delhi und Peking stehen sich ja auch am Himalaya direkt gegenüber.

Eigenartiges Patt zwischen Washington und Peking

Für praktisch alle Staaten im asiatisch-pazifischen Raum bleiben nur die USA, welche der aufstrebenden Weltmacht China strategisch Paroli bieten können. Deshalb spielt das Verhältnis zwischen Washington und Peking eine absolute zenbtrale Rolle – nicht nur für den asiatisch-pazifischen Raum, sondern für die ganze Welt. Da, und nicht im Mittleren Osten wird über Krieg und Frieden in unserer Zeit letztlich entschieden werden.

Das Dilemma in diesem Verhältnis lässt sich auf ein eigenartige Patt zurückführen. China erhebt wegen seiner zunehmenden Bedeutung als Weltmacht den Anspruch, im asiatisch-pazfischen Raum die Führungsrolle zu spielen. Dies wiederum führt dazu, dass die USA ihr sicherheitspolitisches Profil im asiatisch-pazifischen Raum schärfen. Das Resultat für die Region bezeichnete der Strategie-Experte T.J. Pempel (UCBerkeley) als “eigenartige Mischung von sicherheitspolitischen Spannungen, wirtschaftlichen Verbindungen, (konkurrenzierenden) regionalen Institutionen, (…) - aber alles unter Vermeidung von offenem Krieg”.

Kein Ersatz für traditionelle Märkte

Das letzte Element lässt immerhin hoffen, dass in der globalen Schlüsselregion AP sich im 21. Jahrhundert nicht wiederholt, was im 20.Jahrhundert Europa fertiggebracht hat, nämlich sich weitgehend selbst zu zerstören und damit seiner weltstrategischen Position verlustig zu gehen.

Welche aktuelle und künftige Bedeutung haben die BRICS für die Welt und die Schweiz. Ihr Abbröckeln bedeutet natürlich nicht, dass sich das Rad der Zeit zurückdreht. Die Welt ist flacher geworden, sie entwickelt sich aber nicht in geraden Linien. Wirtschaftliche Zyklen und politische Verwerfungen wird es wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft geben.

Dies ist banal, geht aber allzu leicht vergessen. Vor allem wenn sich Länder in einem eigentlichen Wirtschaftswachstumsrausch befinden, wie dies in den BRICS-Staaten der Fall war. Diese Zeit ist vorbei. Dies müssen zuletzt auch jene in der Schweiz akzeptieren, die sich der Illusion hingeben, Freihandel mit nicht-traditionellen Märken könnten unsere traditionellen Wirtschaftspartner ersetzen.

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