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Kommentar 21

Der Stolperstein für Friedrich Merz

5. Mai 2025
Stephan Wehowsky
Anti-AfD-Protest
Keystone/DPA/Fabian Sommer

Die Einstufung der AfD als «gesichert rechtsextremistische Partei» seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz macht den Umgang mit ihr eher schwieriger. Denn noch ist sie nicht verboten, und sie kann auch auf lautstarke Unterstützer im Ausland zählen.

Bislang war die AfD vom Verfassungsschutz 2019 als «Prüffall», dann 2021 als «Verdachtsfall» eingeschätzt worden. Die unterschiedlichen Bewertungen geben dem Verfassungsschutz abgestufte Massnahmen zur Beobachtung an die Hand. Das jetzige Verdikt als «gesichert rechtsextremistisch», das sich auf die gesamte Partei bezieht, öffnet nicht nur die Tür zu nachrichtendienstlichen Überwachungsmassnahmen, sondern kennzeichnet einzelne Positionen der Partei als kriminell. Entsprechend können Beamte, die AfD-Mitglieder sind, nach jeweiliger Einzelfallprüfung entlassen werden, und Jäger müssen ihre Waffen abgeben.

Verbotsverfahren

In der Erklärung des Bundesamtes für Verfassungsschutz heisst es: «Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmässige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.» Mit anderen Worten: Die Partei sollte verboten werden und gehört entsprechend in kein Parlament. Die Frage nach einer punktuellen Zusammenarbeit ist für die demokratischen Parteien damit in der Theorie beantwortet: Mit Kriminellen macht man keine Politik. Aber was bedeutet das für den politischen Alltag?

Ein Verbotsverfahren wäre die logische Konsequenz. Das kann aber nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Die Risiken sind beträchtlich, die Verfahren langwierig, und die Ergebnisse können angefochten werden. Was, wenn sich die Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor Gericht nicht erhärten lässt? Das Risiko einer solchen Blamage hat Politiker wiederholt davor zurückschrecken lassen, einen Verbotsantrag zu stellen.

Die Frage nach einem möglichen Verbot der AfD in vergleichsweise ferner Zukunft – man rechnet mit mehreren Jahren – ist aber noch das geringste Problem für Friedrich Merz. Im Bundestag stellt die AfD mit ihren 152 Abgeordneten die zweitgrösste Fraktion. Damit verbinden sich Ansprüche, zum Beispiel an die Mitwirkung in Ausschüssen. Nur weil ihr möglicherweise irgendwann ein Verbot droht, verschwindet die AfD nicht einfach von der Bildfläche. Und es ist ja auch nicht so, als wäre die Einstufung des Verfassungsschutzes unumstritten. Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio und Vizepräsident JD Vance sehen darin einen Angriff auf die Demokratie in Deutschland. Und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban fragte am Wochenende auf der Plattform X: «Was zur Hölle ist da los in Deutschland?» Das könnte man als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abweisen, aber es ist auch klar, welche Melodien gepfiffen werden.

Megatrend zurück

Marine Le Pen zeigt Alice Weidel zwar die kalte Schulter, und überhaupt ist die AfD im Europaparlament ziemlich isoliert. Denn sie hat auch in den Augen mancher Rechtspopulisten überzogen und ist mit ihrem ständigen Hantieren mit Nazi-Symbolen und Nazi-Parolen unheimlich. Aber das ändert nichts daran, dass es in Europa insgesamt einen Trend in Richtung Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus gibt und mit Giorgia Meloni in Italien die Vertreterin einer Partei mit faschistischen Wurzeln die Regierung anführt. Der politische Megatrend bewegt sich eindeutig in eine Richtung, die in die dunkle Vergangenheit zurückführt.

Wie will Friedrich Merz begründen, dass er aussenpolitisch mit zweifelhaften Gestalten zusammenarbeitet, innenpolitisch aber an unübersteigbaren «Brandmauern» festhält? Und wie will er Wähler zurückgewinnen, die zwar keine verbohrten Anhänger der AfD sind, es aber nicht einsehen, dass diese Partei kriminalisiert wird? Schliesslich setzt er manches von dem, was diese Partei schon seit Langem fordert, um, wobei er sich von der AfD nur in der Wortwahl unterscheidet.

Das Trauma

Umgekehrt könnte die AfD eine Art politische Geldwäsche betreiben, indem sie sich hin und wieder demonstrativ hinter Vorhaben der neuen Regierungskoalition stellt, um zu zeigen, wie normal und vernünftig sie doch ist. Und nicht nur das. Indem sie bestimmten Gesetzesvorhaben zustimmt, entsteht eine Art Label «mit den Stimmen der AfD». Es müssten äusserst schwierige Eiertänze aufgeführt werden, um die Gesetzesvorlagen jeweils so zu formulieren, dass ihnen die AfD nicht zustimmen kann.

Das Verdikt des Bundesamtes für Verfassungsschutz sorgt einerseits für Klarheit, aber die erleichtert nicht den politischen Alltag. Denn hier treffen unterschiedlichste Positionen aufeinander, und was dabei herauskommt, ist ein Potpourri mit teilweise unappetitlichen Zugaben. Mit dieser Feststellung kann man sich aber nicht beruhigen. Denn zum deutschen Trauma gehören nicht nur die abscheulichen Parolen und Verbrechen der Nationalsozialisten. Zu diesem Trauma gehört auch die Tatsache, dass Adolf Hitler und seine Verbrecherbande in Wahlen ganz legal an die Macht gekommen sind. Planmässig haben sie sich zeitweilig von Schlagworten und Parolen getrennt, um so lange unangreifbar zu sein, bis sie die Wahlen gewonnen hatten. Umso härter und schneller schlugen sie dann zu.

Dieses Trauma schwingt bewusst oder unbewusst immer mit, wenn in Deutschland Demokraten notgedrungen mit der AfD jeweils einen Modus Vivendi finden müssen. Das ist vielleicht mehr als ein blosser Stolperstein für Friedrich Merz.

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