Der neue Friedensplan beruht auf zweijährigen intensiven Verhandlungen. Die Reaktionen in der Region erlauben vorsichtigen Optimismus. Sollten die Ultras in Israel oder die Hamas den Plan torpedieren, so verfielen sie der endgültigen politischen Isolation.
Vor einigen Tagen kursierten Nachrichten über einen Friedensplan, den US-Präsident Donald Trump für Gaza verkünden werde. Nun wurde der Plan offiziell vorgestellt. In 20 Punkten wird ein Prozess beschrieben, der zu einer Befriedung Gazas führen soll. Der Plan hat weltweite Unterstützung gefunden. Auch der türkische Präsident Erdoğan und die Palästinensische Autonomiebehörde haben ihm zugestimmt. Doch wie realistisch ist dieser ehrgeizige Plan?
Das Werk vieler Beteiligter
Zunächst muss betont werden, dass es nicht Trumps Plan ist. Trump hat sich lediglich das Recht ausbedungen, als Autor gefeiert zu werden; sonst hätte er sich wohl schmollend zurückgezogen. Tatsächlich beruht die Akzeptanz des Plans darauf, dass er viele ältere Planungen zusammenfasst und die Vorstellungen beteiligter Akteure in einem Kompromiss vereint.
Massgeblich waren vor allem Planungen Saudi-Arabiens, Frankreichs und Grossbritanniens, die seit Dezember 2023 kursierten. Offenbar war es der französische Präsident Macron, der zusammen mit saudi-arabischen Diplomaten den Grundstein für den Kompromiss auf der jüngsten Konferenz der Uno in New York legte und auch den Kompromiss zwischen Grossbritannien und Saudi-Arabien herbeiführte. Die diplomatischen Bemühungen während der Uno-Vollversammlung ermöglichten schliesslich den Durchbruch, für den sich Donald Trump nun beglückwünscht.
Autoritative Stellung der USA in Nahost
Es waren diese multilateralen Bemühungen, die den Kompromiss und seine breite internationale Akzeptanz ermöglicht haben. Trumps Rolle war die eines Moderators. Er hat dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu klargemacht, dass er sich den Erfolg dieses Mal nicht nehmen lassen werde. Eine zweite Blamage, wie sie ihm bei seinen «Verhandlungen» mit dem russischen Präsidenten Putin in Alaska widerfahren war, wollte er auf jeden Fall verhindern. Daher hat Trump im Vorfeld lautstark ein kategorisches Nein in Bezug auf israelische Annexionspläne verkündet. Netanjahu konnte Trump lediglich ein Zugeständnis abringen: Die Klausel, in der sich Israel verpflichtete, keine Einrichtungen in Katar mehr anzugreifen, wurde gestrichen. Die Würdigung der Rolle Katars im Verhandlungsprozess, die in derselben Klausel festgelegt worden war, wird nun auch in den übrigen 20 Klauseln berücksichtigt.
Trump hat die realpolitische Tatsache ausgenutzt, dass die Umsetzung des Plans nur unter Beteiligung der USA eine Chance hat. Das Land hat immer noch eine autoritative Stellung im Nahen Osten, nicht nur in Israel. Doch man sollte die Rolle der USA und Trumps nicht überbewerten. Entscheidend wird sein, wie sich die Weltgemeinschaft aktiv in den Friedensprozess einbringt.
Letzte Chance für Hamas
Natürlich gibt es noch eine Vielzahl offener Fragen. Dies betrifft vor allem den Zeitplan und die Frage der Entwaffnung der verbliebenen Hamas-Einheiten. Angesichts der breiten internationalen Unterstützung gibt es derzeit nur noch zwei Gegner dieses Plans: die Hamas und die nationalreligiösen Parteien in Israel. Laut ihrem Sprecher Mahmud Mardawi in Katar würde die Hamas die Entwaffnung verweigern, da sie ein Schutzmandat für die palästinensische Bevölkerung in Gaza habe. Damit die Bevölkerung in Gaza für sich selbst sorgen könne, müsse sie auch ihre eigene Sicherheit organisieren können – und das sei nur mit den Waffen der Hamas möglich.
Doch solche Einlassungen werden keine politischen Konsequenzen mehr haben. Zudem stellt sich die Frage, ob die Hamas überhaupt noch ein Verhandlungsmandat für Gaza hat. Da die Palästinensische Autonomiebehörde und wichtige Kräfte in Gaza dem Plan zustimmen, beruht die Relevanz der Hamas nur noch auf der Tatsache, dass sie bzw. der Palästinensische Islamische Jihad die verbliebenen Geiseln in den Händen haben. Damit ist klar: Die Hamas steht vor ihrer letzten Chance, Teile ihrer Organisation durch einen Abzug zu retten. Andernfalls wird die Hamas als parastaatliche Macht in wenigen Wochen Geschichte sein. Die Hamas ist weitgehend isoliert und hofft nur noch auf die Wirkung öffentlicher Proteste gegen den Gazakrieg.
Daher wird es schon in der ersten Phase der Umsetzung kurzfristiger Ziele wichtig sein, dass internationale Sicherungseinheiten, sogenannte Gaza Forces, in Gaza aufgestellt werden. Diese sollen der lokalen Bevölkerung ein Leben in geordneter Sicherheit ermöglichen und erste Schritte in Richtung Bewältigung der Notlage ermöglichen.
Militärische Strategie mit politischer Perspektive
Für Israel wird es wichtig sein, wie die Kontrolle über die Sicherheitslage gewährleistet werden kann. Die israelische Regierung hat schliesslich versprochen, dass sich eine Terrorattacke wie am 7. Oktober 2023 nie wieder ereignen werde. Die israelischen Stellen verfügen über Geheimdienstinformationen, die Auskunft darüber geben, ob die Entwaffnung tatsächlich umgesetzt wird – selbst wenn sich noch zahlreiche unterirdische Stollen und Tunnel in der Hand einzelner Hamas-Trupps befinden sollten. Die Situation wird in Kürze eher jener ähneln, als in Europa in den 1970er Jahren terroristische Trupps agierten und verschiedentlich auch noch über Waffenverstecke und Depots verfügten.
Über die Zahl der verbliebenen Hamas-Kombattanten gibt es keine verlässlichen Angaben. Man darf aber davon ausgehen, dass sich vielleicht noch 3’000 bis 4’000 Kombattanten in den Anlagen der Hamas verstecken. Sie agieren schon lange nicht mehr in Bataillonsstärke, sondern sind nur noch als kleine, schwach vernetzte Kampfgruppen organisiert. Auf eine umfassende Offensive der israelischen Streitkräfte in Gaza-Stadt werden diese Kampfgruppen nicht koordiniert reagieren können. Ihr letzter Trumpf sind und bleiben die Geiseln.
Insofern dürfte die militärische Frage nicht mehr über die Chancen des 20-Punkte-Plans entscheiden. Wichtiger ist, dass der Plan eine militärische Strategie mit einer politischen Perspektive verbindet. Bislang hatte die israelische Regierung die politische Dimension der Konfliktlösung auf einen Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Nun ist sie fester Bestandteil des mit kurz-, mittel- und langfristigen Zielen ausgestatteten Plans geworden. Diese politische Dimension betrifft vor allem die Verwaltung und die politische Repräsentation.
Hierbei orientiert sich die Planung an früheren Erfahrungen. Eine Rolle dürfte vor allem die Verwaltung des Kosovo durch die United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) mit etwa 4’500 Soldaten der KFOR (Kosovo Force) gespielt haben. Sie beruht auf Verwaltungssäulen, für die verschiedene Institutionen der Weltgemeinschaft zuständig sind. Auch die Schaffung von «Institutionen der provisorischen Selbstverwaltung» im Kosovo wird im Gazastreifen in Gestalt der Partizipation an der Exekutive dupliziert. Entsprechend soll es für Gaza einen Verwaltungsrat und einen Aufsichtsrat geben, der den Namen «Friedensrat» tragen wird. Bemerkenswert ist, dass diese politische Struktur auch dann umgesetzt werden könnte, wenn in Gaza noch einzelne Hamas-Kämpfer von einem Endsieg träumen.
Trumps Narzissmus
Ziemlich vorschnell wurden Vorschläge für die personelle Besetzung der Führungspositionen dieser Institutionen gemacht. So werden der ehemalige britische Premier Tony Blair als Verwaltungsratschef und Trump selbst als Chef des Aufsichtsrats, also als Friedensfürst für Gaza, gehandelt. Beide Personalvorschläge sind absurd und in der arabischen Welt kaum zu vermitteln. Blair gilt als Hardliner im Irakkrieg 2003 und Trump ist trotz seiner Affinität zu arabischen Potentaten einer arabischen Öffentlichkeit nicht zu vermitteln.
Daher dürften solche Vorschläge eher als Zugeständnisse an Trumps unstillbaren Narzissmus zu verstehen sein, um ihn an Bord zu halten und sein schmollendes Abziehen zu verhindern. Wichtiger als diese Personalfragen wäre es, dem Plan ein explizites Mandat der Vereinten Nationen zu verleihen. Eine Resolution der Vollversammlung wäre sogar bedeutender als die des Sicherheitsrats.
Hoffnung auf breite regionale Friedenslösung
Viele Beobachter sind sich einig: Der Plan hat das Potenzial, den Weg zu einer Gesamtlösung des Palästinakonflikts zu eröffnen – wenn er richtig angegangen wird. Dementsprechend wird er auch in der arabischen Welt mehrheitlich positiv bewertet. Störfeuer ist kaum noch zu erwarten. Lediglich das Regime der Huthi im Nordjemen und einige Milizen im Irak dürften versuchen, den Prozess zu unterlaufen. Das iranische Regime ist jedoch weitgehend mit sich selbst beschäftigt, da es angesichts der Wiederinkraftsetzung der Uno-Sanktionen durch die Europäer innenpolitisch massiv unter Druck steht.
Die Hisbollah befindet sich in einem fulminanten Prozess der Transformation in eine neue politische Rolle im Libanon und wird dem Geschehen um Gaza keine besondere Beachtung mehr schenken. Während vor wenigen Monaten noch ein grosser kriegerischer Flächenbrand befürchtet wurde, keimt nun die Hoffnung auf eine breite regionale Friedensordnung auf.
Doch bislang ist die Tür zu einer solchen Ordnung nur einen Spalt breit geöffnet. Gerade darin liegt jedoch Hoffnung. Der Plan entwirft die Lösung nicht vom Grossen zum Kleinen, sondern sieht die Befriedung Gazas als Chance für eine Neugestaltung der Zweistaatenlösung und diese wiederum als Raum für eine Gesamtlösung im Nahen Osten. Der Plan impliziert eine politische und ökonomische Autonomie Gazas. Diese wird schon lange als wichtige Bedingung für eine umfassende Befriedung des Gazastreifens angesehen, da sie der lokalen Bevölkerung neue politische und wirtschaftliche Handlungsräume eröffnet, in denen sie ihre Souveränität verwirklichen kann. Diese Autonomie würde die Grundlage für eine spätere Wiedereingliederung des Gazastreifens in einen palästinensischen Gesamtstaat bieten. Damit sichert der Plan auch vor Annexionsplänen ab, sodass Israel trotz gegenteiliger Beschlüsse eine neue Zweistaatenlösung akzeptieren müsste.
Ein Wendepunkt auch für Israel
Damit könnte der Gaza-Plan eine politische Wende in Israel einleiten. Es ist abzusehen, dass die nationalreligiösen Koalitionspartner des rechtsnationalistischen Likud von Benjamin Netanjahu – der Religiöse Zionismus und die Jüdische Stärke – den Plan ablehnen werden. Netanjahu bräuchte in diesem Fall eine neue Mehrheit in der Knesset, um seine Zustimmung zum Plan parlamentarisch abzusichern.
Entweder wird Netanjahu die Koalition platzen lassen oder er wird versuchen, die Nationalreligiösen mit einem Gegengeschäft zu beschwichtigen. Letzteres könnte darauf hinauslaufen, dass die Regierung den Siedlungsprojekten im Westjordanland neue Spielräume eröffnet. Das wäre dann eine klassische Politik des «divide et impera». Netanjahu könnte auch versucht sein, Trumps Nein zur Annexion allein auf den Gazastreifen zu beziehen und die Annexion des Westjordanlands zu forcieren. Damit würde er jedoch alle europäischen und arabischen Unterstützer des Gaza-Plans verlieren.
Vorsichtiger Optimismus
Je nach Sichtweise ist das Glas also halb voll oder halb leer. Optimismus ist angebracht, wenn man den Prozess in seiner Gesamtheit betrachtet und versteht, dass jeder kleine Schritt die Voraussetzung für eine Gesamtlösung darstellt. Pessimismus ist angezeigt, wenn man von dem Plan den grossen Sprung nach vorn erwartet und dem Enthusiasmus verfällt, mit dem Trump «seinen» Plan und sich selbst feiert. Allerdings bleiben Zweifel und Skepsis bestehen. Die machtpolitischen Realitäten in Israel und Palästina haben in der Vergangenheit mehr als einmal solche Gelegenheiten verstreichen lassen. Auch die Diskurse in Kreisen der Palästinasolidarität, die den Plan als US-amerikanische Verschwörung deuten und die Forderung nach politischer Deradikalisierung in Gaza als neokoloniale kulturelle Aneignung brandmarken, könnten eine Stimmung schaffen, in der die Akzeptanz des Plans sinkt.
So ist denn das Scheitern auch dieses Plans nicht ausgeschlossen. In diesem Fall würden die israelischen Streitkräfte Gaza-Stadt erobern und die letzten Kampfeinheiten der Hamas vernichten. Eine politische Lösung für Gaza wäre dann endgültig vom Tisch und die Annexion Gazas und anschliessend des Westjordanlands würde Realität werden. Israel würde sich vollständig gegen den Nahen Osten abschotten und die Eiserne Mauer, die das Land von seinen Nachbarn trennt, würde für Jahrzehnte die Geschicke Israels bestimmen. Israel würde sich weitgehend isolieren und hoffen, dass die US-amerikanische Politik allen politischen Volten Trumps und möglicher Nachfolger zum Trotz eine stabile Stütze des Landes bleibt. Aber darauf zu wetten, wäre für Israel ein Hochrisikospiel.
Der Wendepunkt, der sich jetzt abzuzeichnen beginnt, ist Teil eines Prozesses, der vor fast zwei Jahren begann, als die Grundzüge der heutigen Friedensplanung erstmals von verschiedenen Akteuren – darunter Saudi-Arabien und Frankreich – entwickelt wurden. Trumps Dramatisierung und Inszenierung des Plans suggerieren, der Nahe Osten stünde genau jetzt an einem Kipppunkt.
Die Bemühungen der vergangenen Monate zeigen, dass es keine Alternative zu der Richtung gibt, die der Nahostprozess mit diesem multilateralen Friedensplan einschlagen kann.