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Fotografie

Der lange Weg mit der Kamera

16. Januar 2024
Stephan Wehowsky
Bentivoglio
Bentivoglio, Italien 1980 © Pia Zanetti

Die Bildstrecke des Bandes von Pia Zanetti reicht vom Jahr 1961 bis ins Jahr 2017. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Reportagen, für die ihr Mann, Gerardo Zanetti, die Texte schrieb. Zusammen bereisten sie zahlreiche Länder auch ausserhalb Europas.

Die Bilder des Bandes sind chronologisch geordnet. Viele von ihnen hat Pia Zanetti mit kurzen kommentierenden Bemerkungen versehen, so dass sie auch eine Art biografischer Bericht sind. Die Beharrlichkeit und die Konstanz ihrer Arbeit kommen in diesem Band gut zum Ausdruck. Man erkennt, wie sie die Welt im Laufe der Jahrzehnte gesehen hat.

Die Konstanten des Lebens

Es gibt für alle Fotografen Leitthemen, die sich über alle Zeiten gleich bleiben: Trauer und Glück, Armut und Reichtum, Arbeit und Freizeit oder auch Einsamkeit und Zusammenhalt. Pia Zanetti fühlt sich in diese Themen ein, aber sie achtet auf Diskretion. So zeigt sie Trauernde im Jahr 1967 in Capistrello, Italien. Der Vater dieser Familie ist bei Bauarbeiten am Staudamm Mattmark ums Leben gekommen: «Das Schreckliche vermitteln, die Trauer spüren lassen und dabei die Würde der Betroffenen zu wahren – das ist in solchen Situationen immer eine grosse Herausforderung.»

Capistrello
Capistrello, Italien 1965 © Pia Zanetti

Der Weg von Pia Zanetti in die Fotografie war geradlinig, allerdings galt es, zunächst ein grosses Hindernis zu überwinden. Als die 1943 Geborene den Wunsch äusserte, Fotoreporterin zu werden, fand sie zunächst keinerlei Unterstützung, nur Vorbehalte. Erst ihr 15 Jahre älterer Bruder, Werbefotograf, war bereit, sie im Jahr 1960 als Lehrling aufzunehmen. Während ihrer Lehre besuchte sie berufsbegleitend die Fotoklasse an der Kunstgewerbeschule Basel. Danach zog es sie und ihren Mann Gerardo Zanetti erst einmal ins Ausland. Sie lebten acht Jahre in Rom und London.

Glanz und Grosszügigkeit

Das Paar erarbeitete gemeinsam Reportagen. Sie fotografierte, er verfasste die Texte.  In Schweizer und internationalen Printmedien waren ihre Reportagen sehr gefragt. 1967 unternahmen die beiden eine ausgedehnte Reise in die USA. Und da zeigt sich eine andere Seite der ansonsten speziell in Europa prekären 1960er Jahre. In den USA gab es einen Glanz und eine Grosszügigkeit, an die man heute mit einem gewissen Neid denkt. Davon erzählt ein Foto aus den Ford-Werken in Detroit:

Detroit
Detroit, USA 1967 © Pia Zanetti

Pia Zanetti schreibt dazu: «Wir hatten unsere Reise im kanadischen Montreal begonnen. In den Ford-Werken in Detroit kauften wir ein Auto, einen Station Wagon, in dem wir auch schlafen konnten. Die Leintücher besorgten wir in einem US-Army-Store. Mit diesem Auto sind wir bis nach Mexiko gefahren. Nach einem halben Jahr waren wir zurück in New York und konnten den Wagen mit einem Verlust von fünf Dollar wieder verkaufen.»

Die Nähe zu den Menschen

Pia Zanetti bezeichnet sich selbst als Fotoreporterin, und die meisten ihrer Bilder haben Reportagecharakter. Allerdings fällt immer wieder auf, dass sie es schafft, eine grosse Nähe zu den Menschen herzustellen, denen sie mit ihrer Kamera begegnet. Diese Bilder berühren die Betrachter unmittelbar durch die Zuneigung und Herzlichkeit für Pia Zanetti. Das sind Momente des Glücks. 

Indien
Tiruppur, Indien 1997 © Pia Zanetti

Manche Bilder gehen über die Reportagefotografie weit hinaus. Sie leben von der freien künstlerischen Gestaltung, dem Spiel von Formen und Farben. Klug verzichtet Pia Zanetti bei diesen Bildern auf jeden erläuternden Kommentar. Die Ortsangabe und das Jahr genügen. Der Rest geschieht im Kopf des Betrachters.

Ganz am Anfang ihrer Karriere hat Pia Zanetti Bilder von Jazzmusikern gemacht, zum Beispiel von dem Schlagzeuger Art Blakey 1961. Damals arbeitete sie noch mit einer Rolleiflex, die zwar vorzügliche Qualität im Mittelformat lieferte, aber jeweils nur mit einem Film von 12 Aufnahmen bestückt werden konnte. Der war natürlich schnell zu Ende, aber sie schreibt zu dem Bild, dass sie danach noch zum Schein weiterfotografiert habe: «Ich kam mir vor wie ein Groupie.»

Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt

Frisch, Dürrenmatt
Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt in Rüschlikon 1968 © Pia Zanetti

Porträts von Künstlern sind für sie immer wieder ein Thema gewesen. Der Zufall wollte es, dass sie während ihres Rom-Aufenthaltes Max Frisch kennen lernte. Im Jahr 1968 fand ein Treffen der Gruppe 47 im Gottlieb Duttweiler Institut in Rüschlikon statt. Da beobachtete sie, wie Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt nebeneinander sassen und, statt wie sonst zu streiten, sich köstlich über einen schmalen Band mit Mundartgedichten von Ernst Eggimann amüsierten. Sie zückte ihre Kamera und machte einige Fotos. Am Ende blickte Max Frisch auf und erkannte sie. Heitere Überraschung. Dieses Foto steht am Ende des Viererblocks im Band.

Das seltsame Outfit

Das Buch von Pia Zanetti ist sehr ungewöhnlich. Das beginnt schon mit dem Coverfoto. Zunächst nimmt man an, dass es ein Reportagefoto aus ihrer Kamera ist. Schliesslich hat sie so ziemlich alle Themen bearbeitet, die sich mit der Kamera einfangen lassen. Aber diese Aufnahme stammt von ihrem Ehegatten Gerardo Zanetti. Sie entstand 1967 am Kohlebergwerk Blegny in Belgien. Die Pointe dabei besteht in der Tatsache, dass sie mit ihrem Outfit nicht einfach kokettiert hat. Minuten später ist sie tatsächlich in den Stollen eingefahren, allen Vorbehalten und Widerständen zum Trotz.

Cover Zanetti

Pia Zanetti: Eine fotografische Zeitreise. 352 Seiten. Edizioni Periferia, Dezember 2023, CHF 70.00

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