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Glosse

Der Kampf um die Wurst

1. September 2013
Heiner Hug
Gespräch mit einem französischen Kriegsreporter über Schweizer Cervelats und Bratwürste

Pierre ist ein alter Freund. Er kommt mich in Zürich besuchen. Er arbeitet für eine internationale Nachrichtenagentur. Letzte Woche noch berichtete er aus dem Nahen Osten über Syrien.

Wir schlendern durch die Altstadt Richtung Bellevue. Im Odeon wollen wir ein Bier trinken.

Wir sprechen über Syrien, die Cruise Missiles, das Flüchtlingslager, das er im Libanon besucht hat, die Gasangriffe. Pierre spricht kein Deutsch.

Vor einem Abstimmungsplakat bleibt er stehen.

- Was heisst das? fragt er.
- „Bratwürste legalisieren“, übersetze ich: „Légaliser les saucisses à rôtir“


- Légaliser les saucisses? Pierre staunt.
- Ja. Wir stimmen darüber ab, ob während der Nacht in einigen Autobahnrestaurants nicht nur Cervelats, sondern auch Bratwürste verkauft werden dürfen.


- Comment?
Ja, so ist es. Bisher dürfen nur Cervelats verkauft werden. Bratwürste liegen in Regalen, die nachts abgeschlossen werden.


- Ah bon, et pourquoi?
Cervelats kann man roh essen, Bratwürste muss man braten oder grillieren. Nachts dürfen nur Dinge verkauft werden, die man schnell verzehren kann und die durch keine Küche müssen. Müde Sandwiches zum Beispiel.


- Ah bon, und dafür geht ihr jetzt zu den Urnen?
- Ja, so ist es, am 22. September stimmen wir darüber ab.


- Gibt es denn jemand, der dagegen ist, dass man auch Bratwürste kaufen kann? fragt er.
- Ja, kirchliche Kreise und die Gewerkschaften.


- Die Gewerkschaften? Wieso?
Es geht um Grundsätzliches, um den Wert der Arbeit, um den Wert der Nachtruhe, um die Versklavung der Menschen, um ein Nein zum 24-Stunden-Arbeitstag. Es geht um die Würde des Menschen.


- Ah bon, und wenn die Bratwürste legalisiert werden, ist die Würde des Menschen gerettet?
- Genau.


- Und die Gewerkschaften, haben die keine andern Probleme?

Da mir nicht sofort eine Antwort einfiel, schwieg ich. Pierre beginnt sich immer mehr für das Thema zu interessieren.

- Gibt es da einen richtigen Abstimmungskampf? fragt er.
Klar, die Wirtschaftsverbände haben einige hunderttausend Franken in diese Plakate gesteckt.


- Und wer wird die Abstimmung gewinnen?
Alles ist offen.

Vor ein paar Tagen stand Pierre in einem Flüchtlingslager in Libanon. Jetzt steht er vor einem Abstimmungsplakat mit einer Bratwurst.

Er zückt sein Handy und fotografiert das Plakat. „Das will ich meinen Freunden zeigen, eine gute Geschichte“, sagt er. „Wäre ich nicht Kriegsreporter, würde ich sie schreiben“.

Jetzt trinken wir im Odeon ein Bier. „Und welchen Titel hätte deine Geschichte?“ frage ich. Antwort: „Heureux Suisses“ – glückliche Schweizer.

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