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Medien

Das Messen mit ungleichen Ellen

1. Juli 2025
Ignaz Staub
Gaza
Nach einem israelischen Angriff auf ein Internet-Café bei Gaza-Stadt am Montag: 41 Tote (Foto: AP)

Während Politiker und Medien antisemitische Hassrede im Kontext des Krieges in Gaza zu Recht scharf verurteilen, hält sich die Empörung der Öffentlichkeit im Fall Menschen verachtender Aussagen aus israelischen Quellen meist in Grenzen. Das zeigt ein Vergleich zwischen Grossbritanniens öffentlicher BBC und Israels Privatfernsehsender «Channel 14».

In Pilton (Somerset) ist am Wochenende das Glastonbury Festival zu Ende gegangen, ein traditionelles fünftägiges Event mit zeitgenössischer Musik, Theater und Tanz. Doch dieses Jahr sind beim ansonsten friedlichen «Glasto» Aufsehen erregende Misstöne laut geworden. Bei seinem Auftritt provozierte Pascal Robinson-Foster, ein Sänger des Rap-Punk Duos «Bob Vylan», mit dem Sprechgesang «Tod, Tod den IDF! (der israelischen Armee)». Der Rapper erzählte auch, für einen «fucking Zionist» gearbeitet zu haben und zitierte den unter Israel-Feinden populären Slogan «vom Fluss bis zum Meer», der das Existenzrecht des Judenstaates leugnet.

In der Folge geriet die BBC, die das Festival zwar nicht direkt, aber im Livestream zeigte, ins Kreuzfeuer heftiger öffentlicher Kritik seitens britischer Medien und Politiker. Premier Keir Starmer nannte die Äusserungen des Duos «erschreckende Hassrede» und forderte den Sender auf, zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass sie Bob Vylans umstrittenen Auftritt übertrug. Die israelische Botschaft in London liess verlauten, die Rhetorik auf der Festivalbühne werfe ernsthafte Bedenken bezüglich der Normalisierung extremistischer Sprache und der Verherrlichung von Gewalt auf.

Vorwurf der Einseitigkeit

Die BBC hat inzwischen eingeräumt, dass einige der Äusserungen während des Auftritts von Bob Vylan in der Tat «zutiefst anstössig» gewesen seien. Der Sender liess aber auch wissen, dass er das Zuschauerpublikum ausdrücklich vor «äusserst unverblümter und diskriminierender Sprache» gewarnt habe. 

Die Kritik an der BBC erfolgt zu einem Zeitpunkt, da Grossbritanniens öffentlichem Rundfunk sowohl von pro-israelischer wie von pro-palästinensischer Seite Einseitigkeit bei der Berichterstattung des Nahost-Konflikts vorgeworfen wird. Erst unlängst hat der Sender beschlossen, einen Dokumentarfilm über Sanitäter in Gaza nicht auszustrahlen, da er den Eindruck von Einseitigkeit erwecken könne.

Soweit, so berechtigt: Antisemitismus und Hassrede gehören unter keinen Umständen auf eine Bühne oder anderswohin. Doch der Zufall will es, dass Arwa Mahdawi, eine US-Kolumnistin des Londoner «Guardian» mit palästinensischen Wurzeln, am vergangenen Freitag einen Beitrag publizierte, der 20 erschreckende Äusserungen israelischer Politiken und Personen des öffentlichen Interesses auflistete, ohne dass es deswegen in Grossbritannien (oder anderswo) seinerzeit einen öffentlichen Aufschrei gegeben hätte. Die Zitate stammen alle aus Online-Datenbanken und sind der Kolumnistin zufolge eine Auswahl aus Hunderten ähnlicher Reaktionen. 

«Macht alles platt»

«Macht alles [in Gaza] platt, so wie es heute in Auschwitz ist», sagte etwa im Dezember 2023 David Azoulay, Ratsvorsitzender der nordisraelischen Stadt Metulla, in einem Interview mit einem israelischen Radiosender. «Es ist eine ganze Nation, die dafür verantwortlich ist. Die Behauptung, dass die Zivilbevölkerung nichts davon weiss und nicht daran beteiligt ist, ist absolut falsch …», liess Israels Präsident Isaac Herzog am 13. Oktober 2023 auf einer Pressekonferenz verlauten. 

«Jetzt haben wir alle ein gemeinsames Ziel – den Gazastreifen von der Erde zu tilgen», schrieb derweil Nissim Vaturi, stellvertretender Sprecher des israelischen Parlaments, am 7. Oktober 2023. Der Rechtspolitiker sagte ausserdem: «Der Krieg wird niemals enden, wenn wir nicht alle vertreiben.» (2. November 2023) und «Gaza auslöschen. Nichts anderes wird uns zufriedenstellen … Lasst kein einziges Kind dort zurück, vertreibt am Ende alle, die verbleiben, damit sie keine Chance auf Erholung haben.» (9. Oktober 2023). 

«Wir sind zu rücksichtsvoll»

Und derselbe Nissim Vaturi im Februar 2025 in einem Interview mit dem Radiosender Kol BaRama: «Die Kinder und Frauen müssen getrennt werden, und die Erwachsenen in Gaza müssen eliminiert werden. Wir sind zu rücksichtsvoll.» Im Gespräch bezeichnete er die Palästinenser auch als «Untermenschen» und prophezeite, dass das Westjordanland als nächstes in Gaza verwandelt werden würde.

Derweil antwortete Meirav Ben-Ari von der Oppositionspartei Yesh Atid in der Knesset einem palästinensischen Abgeordneten, der den Verlust von Menschenleben in Gaza beklagte: «Die Kinder in Gaza haben sich das selbst zuzuschreiben.» «Sie [die Kinder] sind unsere Feinde», sagte Simcha Rothman, Parlamentarier einer religiösen Partei, die Mitglied von Premier Benjamin Netanjahus Regierungskoalition ist. Rothman antwortete auf die Frage eines Interviewers des britischen Channel 4 nach Kindern im Krieg.

Die Hetze auf Channel 14

Menschenrechtsorganisationen kritisieren auch Israels rechtsextremen Fernsehsender «Channel 14», der als früheres Nischenmedium zu einer der am stärksten beachteten Nachrichtenquellen des Landes geworden ist. «Es handelt sich hier eindeutig nicht um ein paar vereinzelte Stimmen, die in der Hitze des Gefechts unverschämte Dinge sagen», hat Ran Cohen, Direktor des oppositionellen Demokratischen Blocks, in einer Stellungnahme gegenüber dem «Guardian» erklärt: «Das Muster der Hetze, das sich bei Channel 14 abzeichnet, ist systematisch, nachhaltig und orchestriert – es ist kein Zufall.» 

«Wenn das Ziel dieser Operation (in Gaza) nicht Zerstörung, Besetzung, Vertreibung und Besiedlung ist, dann haben wir nichts erreicht», sagte zum Beispiel auf «Channel 14» der ehemalige Knesset-Abgeordnete Moshe Feiglin am 12. Oktober 2023. «Der Feind ist nicht die Hamas, sondern Gaza. Der Feind ist nicht die Fatah, sondern die Araber im Westjordanland», liess Kommentator Eliahu Yusian, ein häufiger Gast des Senders, am 24. Oktober 2023 am Bildschirm verlauten: «Es gibt keine Unschuldigen. Wenn man von ‹Bevölkerung› spricht, gibt es keine Bevölkerung. Es gibt zweieinhalb Millionen Terroristen.»

«Ein Holocaust in Gaza»

Und noch unlängst, wohl am erschreckendsten, hat der mit «Channel 14» assoziierte Fernsehproduzent Elad Barashi am 27. Februar 2025 auf Twitter geschrieben: «Gaza verdient den Tod. Die 2,6 Millionen Terroristen in Gaza verdienen den Tod! … Männer, Frauen und Kinder – wir müssen ihnen auf jede erdenkliche Weise einen Holocaust antun – ja, lesen Sie das noch einmal – H-O-L-O-C-A-U-S-T! Für mich: Gaskammern. Eisenbahnwaggons. Und andere grausame Todesarten für diese Nazis. Ohne Angst, ohne zu zögern – einfach vernichten, auslöschen, abschlachten, dem Erdboden gleichmachen, zerlegen, zerschlagen, zertrümmern … Gaza verdient den Tod. Lasst es einen Holocaust in Gaza geben.»

Immerhin, Barashis obszöner Tweet ist später gelöscht worden. Keir Starmer brauchte nicht zu reagieren und Leitartikler hatten sich nicht zu empören. Sie habe, sagt Arwa Mahdawi, ihre dokumentarische Kolumne geschrieben, weil wir alle hätten wissen können, was nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Gaza geschehen würde: «Niemand kann Unwissenheit vortäuschen. Niemand kann so tun, als habe er nichts gewusst.»

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