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Guatemala

Er kam aus dem Nichts

27. Juni 2023
Heiner Hug
Bernardo Arévalo
Bernardo Arévalo (Foto: Keystone/(AP/Moises Castillo)

Meinungsumfragen hatten ihm zwei Prozent prophezeit. Jetzt ist der Mitte-links-Kandidat Bernardo Arévalo die grosse Überraschung des ersten Durchgangs der guatemaltekischen Präsidentschaftswahlen. Mit gut 12 Prozent der Stimmen sicherte er sich einen Platz für die Stichwahl am 20. August.

Er trifft auf die frühere Präsidentengattin Sandra Torres, die mit gut 15 Prozent den ersten Platz belegt. Keine Chance hatte die als Favoritin gehandelte Zury Ríos, die Tochter des früheren Diktators Efraín Ríos Montt.

Der 64-jährige Arévalo, eine Diplomat, Soziologe und Schriftsteller, ging als völliger Aussenseiter ins Rennen. Sein versprochener Kampf gegen die im Land endemisch grassierende Korruption hat offenbar verfangen. «Ich glaube, die Leute haben die Nase voll von unseren politischen Eliten, die sich nur um sich selbst und nicht um das Land und Bevölkerung kümmern», sagte Arévalo nach Eintreffen der ersten Ergebnisse.

Er war Botschafter in Israel, stellvertretender Aussenminister und Botschafter in Spanien. Er arbeitete auch als Berater für die Vereinten Nationen und das US-Friedensinstitut. Arévalo gehört der sozialdemokratischen Partei «Semilla» (Saat) an. Er spricht neben Spanisch auch Englisch, Französisch, Portugiesisch und Hebräisch. Er studierte an der Universität Utrecht und an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Sein Vater Juan José Arévalo war von 1945 bis 1951 der erste demokratisch gewählte Präsident Guatemalas.

Selbst bezeichnet er sich als «Sozialdemokrat» und beruft sich auf das Erbe seines Vaters und des ehemaligen Präsidenten Jacobo Árbenz (der vom CIA gestürzt wurde und dessen Vater aus Andelfingen im Kanton Zürich stammte). Die Regimes in Venezuela und Nicaragua bezeichnet er als «diktatorisch». Er sprach sich energisch gegen den Einmarsch Russlands in der Ukraine aus und verurteilt das Putin-Regime.

Sollte er zum Präsidenten gewählt werden, würde er die 55-jährige Karin Larissa Herrera Aguilar, eine Biologin, Soziologin und Professorin, zur Vizepräsidentin machen.

Die ewige Kandidatin

An erster Stelle liegt die 67-jährige Sandra Torres, eine ehemalige Präsidentengattin. Sie erhielt 15,7 Prozent der Stimmen. Da sie jetzt zum dritten Mal kandidiert, gilt sie «als ewige Präsidentschaftskandidatin». In Guatemala gilt das Bonmot: Wer in der Stichwahl gegen Sandra Torres antritt, hat schon gewonnen.

Ehefrauen von ehemaligen Staatspräsidenten dürfen sich gemäss der Verfassung nicht um das höchste Amt im Staat bewerben. Um trotzdem kandidieren zu können, liess sich Sandra Torres von ihrem Mann, dem ehemaligen Präsidenten Álvaro Colom, scheiden. Ihr haften Korruptionsvorwürfe an. Auch sie nennt sich «sozialdemokratisch», ist aber vor allem eine Opportunistin und gehört dem reichen Establishment an.

Sandra Torres
Sandra Torres (Foto: Keystone/EPA/Esteban Biba)

Zu den grossen Überraschungen des ersten Wahlgangs am vergangenen Sonntag gehört das schlechte Abschneiden von Zury Ríos. Sie war in Meinungsumfragen als grosse Favoritin gehandelt worden.

Zury Ríos
Zury Ríos im Wahllokal (Foto: Keystone/AP/Wilder Lopez)

Ihr Handicap ist ihr Vater. Efraín Ríos Montt wurde 2013 wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 80 Jahren Gefängnis verurteilt. Zwar wurde später der Prozess neu aufgerollt. Bevor das zweite Urteil gefällt wurde, starb Ríos Montt im Hausarrest.

Er hatte Massenmorde und Massenvergewaltigungen angeordnet und ging vor allem gegen die Maya-Völker vor. Er befahl die Zerstörung von 400 Dörfern. Mehr als 1100 Menschen wurden umgebracht und über 1400 Frauen vergewaltigt. Schwangeren Frauen wurden von Soldaten die Bäuche aufgeschnitten und die Föten zerstückelt.

Guatemala mit seinen 17 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen gehört zu den ärmsten, unterentwickeltsten und korruptesten Ländern der Welt. Die organisierte Kriminalität und der Drogenhandel sind eng mit der Politik verknüpft. Die demokratischen Institutionen sind aufgeweicht. Die beiden Spitzenkandidatinnen gehören zum politischen Establishment. Es wird nicht erwartet, dass sie die Armut und die Korruption ernsthaft bekämpfen.

Die Bevölkerung ist von der Politik desillusioniert. Das äussert sich auch in der hohen Wahlabstinenz: Zudem haben 17 Prozent der Wahlberechtigten bewusst einen ungültigen oder leeren Wahlzettel eingereicht.

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