Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Kommentar 21

Cento metri dall’Italia

8. September 2014
Urs Meier
Ist es eigentlich peinlich, ordentlich zu sein?

Das kleine Amateurvideo wurde auf Youtube schon über 250'000 Mal angeschaut: Ein italienischer Bähnler zeigt, wie es auf einem italienischen und einem schweizerischen Bahnhof aussieht. Hier grauslig versprayte Wände, blätternder Putz, fortgeschrittene Verwahrlosung. Dort, im Bahnhof von Chiasso – «cento metri dall’Italia», wie der aufgebrachte Bähnler refrainartig ausruft –, blitzsaubere Hallen und Durchgänge, Telefonzellen ohne Vandalenspuren, nicht mal die Unterführung zum Perron ist versifft. Und als der italienische Bähnler im bereitstehenden Tilo-Regionalzug der Videokamera die intakte Einrichtung samt grosszügiger blitzblanker Toilette zeigt, merkt man, dass die Kluft zu seinem eigenen Land ihn fast übermannt.

Der saubere Bahnhof von Chiasso und die perfekten Tilo-Züge entsprechen einem verbreiteten Klischee der Schweiz (das, wie jedes Klischee, selbstverständlich nicht ganz zutrifft). Interessanterweise scheint aber diese so positive Zuschreibung manchen Schweizern etwas peinlich zu sein. Das Bild des sauberen Ländchens vermischt sich allzu leicht mit Charakterzügen kleinlicher Hauswarte. Zudem eignet es sich fatal als populäre Kulisse für die schmutzigen Geschäfte, die in diesem Land betrieben werden (und die auch ein Klischee der Schweiz sind). Und offensichtlich kann einem Ordentlichkeit auch deshalb peinlich sein, da sie landläufig als unkreativ gilt, der Lebensfreude nicht förderlich, beengend.

Der aufgebrachte italienische Bähnler mit seinem wohlbegründeten Wutausbruch rückt solch schräge Blicke auf saubere öffentliche Räume und funktionierende Einrichtungen ins Lot: Nein, es ist kein Gewinn an Lebensqualität, wenn Wände versprayt, Einrichtungen beschädigt und öffentliche Räume versaut sind. Nein, man muss sich nicht dafür entschuldigen, wenn man solches verhindert und wo nötig beseitigt sehen möchte. Und ja, eine gewisse Ordentlichkeit – etwa in Form präsentabler, nutzbarer Bahnhöfe und bequemer, sauberer Züge – sollte in entwickelten, zivilisierten Ländern nichts Exotisches sein, sondern Normalität.

Letzte Artikel

Wie weiter mit dem Klimaschutz?

Jörg Hofstetter 5. Dezember 2025

Der Papst und der Patriarch von Istanbul in Nizäa – Nur der Kaiser fehlte

Erwin Koller 4. Dezember 2025

EU berechenbarer als USA

Martin Gollmer 4. Dezember 2025

Dröhnendes Schweigen um Venezuela

Erich Gysling 1. Dezember 2025

Spiegel der Gesellschaft im Wandel

Werner Seitz 1. Dezember 2025

Bücher zu Weihnachten

1. Dezember 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.