Dieser ukrainische Kämpfer hat zehn Wochen lang die Sonne nicht gesehen. Erstmals sind Bilder aus dem Innern des Asow-Stahlwerks in Mariupol veröffentlicht worden. Im Werk herrschen nach Angaben der Belagerten «apokalyptische Zustände». Etwa tausend Kämpfer und hundert Zivilisten harren hier aus. «Es gibt Menschen mit schweren Verletzungen, die dringend evakuiert werden müssen», erklärt die stellvertretende Ministerpräsidentin. Leichen würden in Kühlräumen aufbewahrt.
- Bilder von Verletzten im Stahlwerk Mariupol
- US-Geheimdienst: «Vor einem langen Krieg»
- US-Hilfe auf 53 Milliarden aufgestockt
- Kämpfe auf der Schlangeninsel
- 26'000 getötete Russen?
- Guterres in Moldawien
- Pussy Riot-Aktivistin flieht
- 8 Millionen Binndenflüchtlinge
«Wir sind im Grund genommen tote Männer»
Am Wochenende sind die meisten Zivilisten, die im Stahlwerk Zuflucht gesucht hatten, evakuiert worden. Doch nicht alle, wie es anfänglich hiess. Noch immer befinden sich Dutzende Frauen und Männer, die keine Kombattanten sind, in den Bunkeranlagen des Werks.
Zur Pflege der teils schwer Verletzten fehlt es an allem: an Medikamenten, Verbandstoff, Desinfektionsmaterial und medizinischen Geräten.
Die Russen weigern sich, die Kämpfer im Stahlwerk zu evakuieren. Die russischen Kräfte versuchen seit Tagen, das Werk zu stürmen. Falls ihnen das gelingt, fürchten ukrainische Beamte, dass die Russen im Innern des Werks ein Blutbad anrichten werden. «Wir sind im Grunde genommen tote Männer», hatten am Wochenende zwei Kommandanten des Werks erklärt.
Veröffentlicht wurden die Bilder auf dem Kanal «Asow-Mariupol» via die Messaging-App Telegram. Als Fotograf der Bilder wird ein Dmytro 'Orest' Kozatskyi angegeben. Er arbeitet im Auftrag des «Azow-Spezialregiments». Die Fotos wurden über das Pressebüro der Ukrainischen Nationalgarde der Agentur Associated Press (AP) zugestellt.
In einem Begleittext zu den Bildern heisst es: «Die ganze zivilisierte Welt muss sehen, in welcher Lage sich die verwundeten, verkrüppelten Verteidiger von Mariupol befinden und handeln.» Die Kämpfer appellieren an die Uno und das Rote Kreuz, «ihre Menschlichkeit zu zeigen» und die Verwundeten zu retten, die «keine Kämpfer mehr sind».
«Wir fordern die sofortige Evakuierung der verwundeten Soldaten in die von der Ukraine kontrollierten Gebiete», heisst es im Begleittext.
Das «Asowstal»-Werk in Mariupol stammt aus sowjetischen Zeiten. Der riesige Industriekomplex verfügt über dicke Betonwände, Stahltüren, Bunkeranlagen und unterirdische Gänge. Er war so konzipiert, dass er einem Atomkrieg standhalten könnte. «Es ist im Grunde eine Stadt unter der Stadt», erklärte Yan Gagin, ein russischer Berater in der sezessionistischen «Volksrepublik» Donezk gegenüber der New York Times.
Das Industriegelände ist vier Quadratkilometer gross. Es verfügt über einen eigenen Hafen am Asowschen Meer. Jährlich produzierte das Werk etwa zehn Millionen Tonnen Stahl und war damit eines der grössten Stahlwerke Europas.
«Vor einem langen Krieg»
Zwei hochrangige amerikanische Geheimdienstbeamte rechnen mit einem langen Krieg in der Ukraine. Scott Berrier, Direktor der Defense Intelligence Agency, und Avril Haines, Direktorin des Nationalen Nachrichtendienstes, zeichneten ein ernüchterndes Bild. Berrier sagte: «Die Russen gewinnen nicht, und die Ukrainer gewinnen nicht, und wir befinden uns in einer Art Pattsituation.» Beide Kriegsparteien würden in einer Sackgasse stecken.
Es sei unwahrscheinlich, dass die russischen Streitkräfte ihre expansiven Kriegsziele in den kommenden Wochen erreichen würden, sagte Haines. Putin bereite sich wahrscheinlich auf einen langen Krieg vor, in dessen Verlauf die Inflation und die Energiepreise die USA und Europa zermürben könnten.
53 Milliarden
Die USA weiten ihre finanzielle Unterstützung für die Ukraine aus. Das amerikanische Repräsentantenhaus stimmte am Dienstagabend mit 368 zu 57 Stimmen für ein Hilfspaket in Höhe von 39,8 Milliarden Dollar. Damit erhöht sich die amerikanische Hilfe auf insgesamt 53 Milliarden Dollar. Es gab kaum Widerstand gegen die Aufstockung des Ukraine-Engagements. Der Senat muss dem Vorschlag noch zustimmen.
Russen bei Charkiw zurückgedrängt
Die ukrainische Gegenoffensive bei Charkiw hat weiterhin Erfolg. Nördlich der Stadt sind nach ukrainischen Angaben die russischen Streitkräfte zurück- und in die Defensive gedrängt worden. Präsident Wolodimir Selenskyj bestätigte, dass die Ukrainer einige Dörfer zurückerobert hätten. Er warnte jedoch davor, allzu euphorisch zu sein.
Russen kontrollieren 80% des Donbass
Während die Russen im Norden des Donbass bei Charkiw zurückgedrängt werden, verzeichnen sie südlich davon einige Gebietsgewinne. Das russische Verteidigungsministerium erklärt, seine Truppen seien bis zur Grenze zwischen Donezk und Luhansk vorgedrungen.
Ukrainische Beamte räumten ein, dass Russland nun 80 Prozent des Donbass kontrolliert. Es gelinge den russischen Verbänden aber nicht, weitere Angriffe durchzuführen.
Noch immer Kämpfe auf der Schlangeninsel
Die Kämpfe auf der Schlangeninsel gehen nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums weiter. Die kleine Insel liegt 20 Kilometer vor Odessa im Schwarzen Meer. Gestern hatten die russischen Streitkräfte erklärt, sie hätten mehrere ukrainische Flugzeuge und Helikopter über der Insel abgeschossen. Zahlreiche ukrainische Soldaten seien getötet worden.
Die Insel ist von strategischer Bedeutung, da sie den Zugang zu den grossen ukrainischen Hafenstädten, insbesondere Odsessa, ermöglicht.
Gemäss den Angaben des britischen Militärgeheimdienstes versuchen die Russen, ihre Stellungen auf der Insel zu verstärken. Die russischen Versorgungsschiffe und die russische Luftabwehr würden aber durch bewaffnete ukrainische Bayraktar-Drohnen angegriffen.
26'350 getötete Russen?
Russland hat seit Beginn des Krieges 26'350 Soldaten verloren. Dies erklärt das ukrainische Verteidigungsministerium am Mittwoch. Überprüfen lässt sich dies nicht.
Zerstört wurden laut ukrainischen Angaben
- 1’187 Panzer
- 528 Artilleriesysteme
- 185 Mehrfachraketenabschuss-Systeme
- 8 Luftabwehrsysteme
- 199 Flugzeuge
- 160 Helikopter
- 290 unbemannte Luftfahrzeuge (Drohnen)
- 94 Marschflugkörper (Cruise Missiles)
- 12 Schiffe oder Boote
- 1’997 Autos und Tankwagen
- 41 spezielle Ausrüstungseinheiten
- 2’856 gepanzerte Kampffahrzeuge
Guterres besucht Moldawien
Uno-Generalsekretär António Guterres hat bei seinem Besuch in Moldawien (Republik Moldau) ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge besucht. Bei einem Treffen mit der moldawischen Präsidentin Maia Sandu drückt Guterres seine Wertschätzung für die Grosszügigkeit der moldawischen Regierung und der Bevölkerung des Landes gegenüber der Ukraine aus. Kein Land hat pro Kopf seiner Einwohner so viele Flüchtlinge aufgenommen wie Moldawien, nämlich 457’000.
Pussy Riot-Aktivistin geflohen
Maria Aljochina, eine Aktivistin der Putin-kritischen Punkband «Pussy Riot», ist trotz polizeilicher Überwachung die Flucht in die litauische Hauptstadt Vilnius gelungen. Dies berichtet die New York Times. Maria V. Alyokhina war 2012 wegen «Rowdytums» zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Später musste sie sechs weitere Male zu je 15 Tage ins Gefängnis. Im letzten Monat kündigten Behörden an, sie müsse jetzt eine 21-tägige Strafe in einer Strafkolonie absitzen. Daraufhin entschloss sie sich, zu flüchten. Mit Hilfe eines Freundes fuhr sie – verkleidet als Lebensmittelkurierin – an die belarussische Grenze. Ihr Mobiltelefon liess sie bewusst zurück. Eine Woche später gelangte sie in die litauische Hauptstadt Vilnius, wo sie der New York Times ein Interview gab.
Acht Millionen Binnenflüchtlinge
Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es in der Ukraine mehr als acht Millionen Binnenflüchtlinge (Internally Displaced People, IDPs), also Menschen, die ihre Häuser verlassen haben, aber nicht ins Ausland geflüchtet sind, sondern in der Ukraine selbst irgendwo Zuflucht suchen.
Laut jüngsten Erhebungen des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge UNHCR haben 5’917’703 Menschen die Ukraine seit Februar verlassen.
Baerbock eröffnet Botschaft in Kiew
Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock hat, symbolisch, die deutsche Botschaft in Kiew wieder eröffnet und die deutsche Flagge gehisst. «Wir sind zurück in Kiew», twitterte das Aussenministerium. Baerbock erklärte jedoch, der Betrieb werde mit Minimalbesetzung aufrechterhalten. Zahlreiche westliche Länder hatten ihre Botschaften in Kiew zu Beginn des Krieges geschlossen.
(Wird laufend aktualisiert)
Journal 21