Die Ukraine erhält von den USA Hightech-Raketen-Systeme. Mit dem M142 High Mobility Artillery Rocket System (HIMARS) können mehrere präzisionsgelenkte Raketen auf Ziele in bis zu 70 km Entfernung abgefeuert werden – weitaus weiter als die Artillerie, über die die Ukraine derzeit verfügt. Ausserdem gilt das US-Raketensystem als präziser als das russische Pendant.
- Die Ukraine erhält US-Hightech-Raketen
- Bidens Gastbeitrag in der New York Times im Wortlauf
- Sewerodonesk vor dem Fall
- Ukrainische Vorstösse im Süden
- Wiederholen die Russen die alten Fehler?
Die neuen Satelliten-gesteuerten Raketen sollen den ukrainischen Verbänden in der Ostukraine bei ihrer Verteidigung helfen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj bittet seit langem um solche Präzisionswaffen.
Biden schrieb am Mittwoch in einem Gastbeitrag in der New York Times: «Ich habe beschlossen, dass wir den Ukrainern fortschrittlichere Raketensysteme und Munition zur Verfügung stellen werden, die es ihnen ermöglichen, wichtige Ziele auf dem Schlachtfeld in der Ukraine präziser zu treffen.»
«Entscheidend» im Kampf gegen die Russen
Wie viele M142 High Mobility Artillery Rocket System geliefert werden, ist unklar. Der ukrainische Armeechef hatte erklärt, dass die Beschaffung der HIMARS-Einheiten «entscheidend» sei, um russische Raketenangriffe abwehren zu können.
Die Ukrainer werden dieses System im Donbass einsetzen, wo zur Zeit heftigste Kämpfe um mehrere Städte, unter anderem um Sewerodonesk, toben. Die ukrainischen Verbände hatten dem pausenlosen russischen Artilleriefeuer bisher wenig entgegenzusetzen.
Putin warnte vor solcher Waffen
Biden gab schliesslich grünes Licht für die Lieferung von Hightech-Raketensysteme, nachdem ihm Präsident Selenskyj die Zusicherung gegeben hatte, dass die Raketen nicht gegen Ziele in Russland eingesetzt würden. «Wir werden keine Raketensysteme in die Ukraine schicken, die in Russland einschlagen können», schrieb Biden am Mittwoch in der New York Times.
«Wir streben keinen Krieg zwischen der Nato und Russland an. So sehr ich auch mit Herrn Putin nicht einverstanden bin und seine Handlungen für einen Skandal halte, werden die Vereinigten Staaten nicht versuchen, ihn in Moskau zu stürzen», schrieb Biden. «Wir werden die Ukraine nicht dazu ermutigen oder befähigen, jenseits ihrer Grenzen zuzuschlagen.»
Einige Diplomaten im Westen äussern die Besorgnis, dass die Lieferung solcher leistungsfähiger Waffen die Nato in einen Konflikt mit Russland hineinziehen könnte. Putin hatte mehrmals vor der Bereitstellung von amerikanischen Hightech-Waffen gewarnt und von einer «Roten Linie» gesprochen.
Keine Absetzung Putins geplant
Die amerikanische Regierung will am Mittwoch weitere Details zum neuen amerikanischen 700-Millionen-Unterstützungspaket, dem elften, bekanntgeben. Neben Hightech-Raketensystemen sollen Helikopter, Panzerabwehrwaffen, taktische Fahrzeuge und Ersatzteile geliefert werden. Biden schrieb in der New York Times, dass einziges Ziel der USA eine «demokratische, unabhängige und souveräne Ukraine» sei – und nicht die Absetzung Putins als russischer Präsident oder ein breiterer Konflikt mit Moskau.
Biden machte Russland für die anhaltende Aggression verantwortlich. Die USA würden niemals Druck auf die Ukraine ausüben, um im Gegenzug für Frieden ukrainisches Terrain an Russland abzutreten.
Russisches Säbelrasseln
Kurz nach der Veröffentlichung von Bidens Beitrag gaben russische Militärs bekannt, dass die Atomstreitkräfte des Landes in der Provinz Iwanowo in der Nähe von Moskau Übungen abhalten, wie die Nachrichtenagentur Interfax berichtete.
Zuvor hatte der russische Aussenminister Sergej Lawrow den Westen beschuldigt, «die ukrainischen Nationalisten mit Waffen vollzupumpen», und erklärt, dass jede für die Ukraine bestimmte Waffenladung «ein legitimes Ziel für Moskau» darstellen würde. Das Aussenministerium erklärte, dass die Nato-Länder mit der Lieferung von Waffen an die Ukraine «mit dem Feuer spielen».
Bidens Gastbeitrag in der New York Times im Wortlaut
(deutsche Übersetzung)
«Die Invasion, von der Wladimir Putin dachte, sie würde nur wenige Tage dauern, dauert nun schon den vierten Monat an. Das ukrainische Volk hat Russland überrascht und die Welt mit seiner Aufopferung, seinem Kampfgeist und seinem Erfolg auf dem Schlachtfeld inspiriert. Die freie Welt und viele andere Nationen, allen voran die Vereinigten Staaten, haben sich mit beispielloser militärischer, humanitärer und finanzieller Unterstützung auf die Seite der Ukraine geschlagen.
Während der Krieg weitergeht, möchte ich die Ziele der Vereinigten Staaten bei diesen Bemühungen klarstellen.
Das Ziel Amerikas ist klar und deutlich: Wir wollen eine demokratische, unabhängige, souveräne und wohlhabende Ukraine, die über die Mittel zur Abschreckung und Verteidigung gegen weitere Aggressionen verfügt.
Wie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj gesagt hat, wird dieser Krieg letztlich ‘nur durch Diplomatie endgültig beendet werden’. Jede Verhandlung spiegelt die Fakten vor Ort wider. Wir haben schnell gehandelt und der Ukraine eine beträchtliche Menge an Waffen und Munition zukommen lassen, damit sie auf dem Schlachtfeld kämpfen und am Verhandlungstisch eine möglichst starke Position einnehmen kann.
Deshalb habe ich beschlossen, dass wir den Ukrainern fortschrittlichere Raketensysteme und Munition zur Verfügung stellen werden, die es ihnen ermöglichen, wichtige Ziele auf dem Schlachtfeld in der Ukraine präziser zu treffen.
Wir werden weiterhin mit unseren Verbündeten und Partnern bei den russischen Sanktionen zusammenarbeiten, den härtesten, die jemals gegen eine grosse Volkswirtschaft verhängt wurden. Wir werden die Ukraine weiterhin mit modernen Waffen versorgen, darunter Javelin-Panzerabwehrraketen, Stinger-Flugabwehrraketen, leistungsstarke Artillerie- und Präzisionsraketensysteme, Radargeräte, unbemannte Luftfahrzeuge, Mi-17-Hubschrauber und Munition. Ausserdem werden wir, wie vom Kongress genehmigt, weitere Milliarden an finanzieller Unterstützung bereitstellen. Wir werden mit unseren Verbündeten und Partnern zusammenarbeiten, um die weltweite Nahrungsmittelkrise zu bewältigen, die durch Russlands Aggression noch verschärft wird. Und wir werden unseren europäischen Verbündeten und anderen helfen, ihre Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen zu verringern und unseren Übergang zu einer sauberen Energiezukunft zu beschleunigen.
Wir werden auch die Ostflanke der Nato mit Streitkräften und Fähigkeiten der Vereinigten Staaten und anderer Verbündeter weiter verstärken. Und erst kürzlich habe ich die Anträge Finnlands und Schwedens auf Beitritt zur Nati begrüsst, ein Schritt, der die Sicherheit der USA und des transatlantischen Raums insgesamt stärken wird, indem zwei demokratische und äusserst fähige militärische Partner hinzukommen.
Wir streben keinen Krieg zwischen der Nato und Russland an. So sehr ich auch mit Herrn Putin nicht einverstanden bin und sein Handeln für einen Skandal halte, werden die Vereinigten Staaten nicht versuchen, ihn in Moskau zu stürzen. Solange die Vereinigten Staaten oder unsere Verbündeten nicht angegriffen werden, werden wir uns nicht direkt in diesen Konflikt einmischen, weder durch die Entsendung amerikanischer Truppen in die Ukraine noch durch einen Angriff auf russische Streitkräfte. Wir ermutigen oder ermöglichen der Ukraine nicht, jenseits ihrer Grenzen zuzuschlagen. Wir wollen den Krieg nicht verlängern, nur um Russland Schmerzen zuzufügen.
Mein Grundsatz in dieser Krise lautet: ‘Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine’. Ich werde die ukrainische Regierung weder privat noch öffentlich zu irgendwelchen territorialen Zugeständnissen drängen. Das wäre falsch und würde gegen bewährte Grundsätze verstossen.
Die Gespräche der Ukraine mit Russland sind nicht ins Stocken geraten, weil die Ukraine der Diplomatie den Rücken gekehrt hat. Sie sind ins Stocken geraten, weil Russland weiterhin einen Krieg führt, um so viel von der Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen, wie es kann. Die Vereinigten Staaten werden sich weiterhin für die Stärkung der Ukraine einsetzen und ihre Bemühungen um eine Verhandlungslösung des Konflikts unterstützen.»
Zu spät
Zur Verteidigung der ostukrainischen Stadt Sewerodonesk kommen die neuen Hightech-Raketen zu spät. Der Leiter der regionalen Militärverwaltung der Ukraine, Serhij Haidai, sagte am späten Dienstag, dass russische Truppen den grössten Teil der Stadt eingenommen hätten. Nach Angaben einer Hilfsorganisation befinden sich noch etwa 12’000 Zivilisten in der Stadt. Vor dem Krieg wohnten hier 120'000 Menschen.
Sewerodonezk vor dem Fall
Russische Truppen haben die strategisch wichtige Stadt Sewerodonezk fast vollständig erobert. Die russischen Verbänden stürmen aus drei Richtungen auf das Stadtzentrum zu, erklärt Serhiy Haidai, der Leiter der ukrainischen Militärverwaltung in der Region Luhansk. «Die russischen Streitkräfte haben den Kern der Stadt erreicht», erklärt Haidai.
Der endgültige Fall von Sewerodonezk wäre ein schwerer militärischer und psychologischer Schlag für die Ukraine. Er bringt die Russen ihrem Ziel näher, die gesamte Ostukraine unter ihre Kontrolle zu bringen. Zudem wird nun der Weg für die Russen Richtung Slowjansk und Kramatorsk frei. Diese beiden Städte liegen in der Provinz (Oblast) Donezk. Nach der Eroberung der Region Luhansk richten sich nun die russischen Angriffe auf Ziele in der Region Donezk. 2014 nach der Eroberung der Krim hatten pro-russische Separatisten die «Volksrepubliken» Luhansk und Donezk ausgerufen. Diese wurden von Russland anerkannt.
Ukrainische Vorstösse im Süden
Da die Russen fast alle Kräfte zur Eroberung von Sewerodoneszk in die Schlacht warfen, fehlten ihnen Truppen zur Verteidigung und für Angriffe in den südukrainischen Städten Cherson und Saporischschja. Dies nutzten die ukrainischen Streitkräfte aus. In seiner abendlichen Ansprache sagte Präsident Selenskyj am Dienstag, die ukrainischen Verbände hätten in der Nähe von Cherson und Saporischschja «Erfolge» verzeichnen können.
«Die Lage an der Front muss umfassend bewertet werden», sagte er. «Nicht nach einem Gebiet, in dem die Lage am schwierigsten ist und das die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern nach der gesamten Frontlinie.»
Sewerodonezk und Lyssytschansk
Das jetzt von russischen Truppen fast ganz eroberte Sewerodonezk und die benachbarte Zwillingsstadt Lyssytschansk liegen zu beiden Seiten des Flusses Siverskij Donez. Sie liegen im Herzen der Kohleregion des Donbass.
In Sewerodonezk befindet sich das riesige Chemiewerk Azot, das Düngemittel auf Stickstoffbasis herstellt und in normalen Zeiten ein wichtiger Arbeitgeber der Region war. In Lyssytschansk befindet sich die zweitgrösste Ölraffinerie der Ukraine.
Russische Streitkräfte haben letzte Woche eine der drei Brücken zwischen den beiden Städten gesprengt.
Der Mir-Hotelkomplex und der Busbahnhof am nordöstlichen Rand von Sewerodonesk gehörten zu den ersten Gebieten, die von russischen Kämpfern eingenommen worden war. Jetzt haben die Russen fast die ganze Stadt erobert. Der aus Sewerodonezk stammende Regionalchef Serhiy Haidai ruft seit langem die Zivilbevölkerung zum Verlassen der Stadt auf. Früher lebten hier 120'000 Menschen, zur Zeit es noch etwa 15'000. Sewerodonesk war 2014 kurze Zeit von pro-russischen Separatisten erobert worden. Diese wurden dann jedoch zurückgeschlagen. Seit war die Stadt das Hauptverwaltungszentrum von Luhansk.
Wiederholden die Russen alte Fehler?
Das russische Militär, das nach drei Monaten Krieg niedergeschlagen und demoralisiert ist, begehe in seiner Kampagne zur Eroberung eines Teils der Ostukraine dieselben Fehler, die es dazu gezwungen haben, seinen Vorstoss zur Einnahme des gesamten Landes aufzugeben, erklären gemäss der New York Times hochrangige amerikanische Beamte.-
Die russischen Truppen würden zwar Territorium erobern, aber ihr «schwerfälliges und schrittweises» Tempo würde die zermürben. Die Gesamtkampfkraft des Militärs sei um etwa 20 Prozent gesunken ist. Seit Beginn des Krieges habe Russland 1’000 Panzer verloren.
Im April hatte Putin General Aleksandr W. Dwornikow zum neuen Befehlshaber, der in der Ukraine kämpfenden russischen Truppen ernannt. Dies galt als Eingeständnis des Scheiterns des ursprünglichen russischen Eroberungsplans. Kurz nach seiner Ankunft versuchte General Dvornikov nach Angaben amerikanischer Beamter, die unzusammenhängenden Luft- und Landeinheiten dazu zu bringen, ihre Angriffe zu koordinieren.
In den letzten zwei Wochen wurde er jedoch nicht mehr gesehen, was einige Beamte zu Spekulationen veranlasste, ob er weiterhin verantwortlich ist.
Die russischen Piloten zeigen auch weiterhin das gleiche risikoscheue Verhalten wie in den ersten Wochen des Krieges: Sie überfliegen die Grenze, um Angriffe zu starten, und kehren dann schnell auf russisches Gebiet zurück, anstatt im ukrainischen Luftraum zu bleiben, um ihren Gegnern den Zugang zu verwehren. Das Ergebnis ist, dass Russland noch immer keine Luftüberlegenheit erlangt hat, so die Beamten.
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Journal 21