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Saisoneröffnung am Zürcher Opernhaus

All together

20. September 2016
Annette Freitag
Wenn 400 Laien zusammen singen

Ach! Dieses Gefühl! Der Vorhang hebt sich, wir stehen auf der Hauptbühne des Zürcher Opernhauses, der Zuschauerraum ist vollbesetzt … und alle im Publikum applaudieren schon mal im Voraus. Zur Begrüssung und in froher Erwartung dessen, was auf dem Programm-Flyer mit «All together» angekündigt wird: Chorgesang zur Saisoneröffnung am vergangenen Wochenende. Chorgesang aus 400 Kehlen. Chorgesang – vielleicht nicht von der allerfeinsten Art, aber was soll’s. Schliesslich sind wir eine bunt zusammengewürfelte Schar von Amateuren.

Der grosse Auftritt: einmal im Leben auf der Bühne
Der grosse Auftritt: einmal im Leben auf der Bühne

Ein paar Einleitungsklänge auf dem Klavier, dann geht es los: «C’est l’Espada, la fine lame, celui qui vient terminer tout …» Ernst Raffelsberger, Chorleiter des Zürcher Opernhauses, steht vor dem grössten Chor, den er je geleitet hat. Auch für ihn ist es eine Premiere. Und für uns sowieso.

Das Los entscheidet

Noch vor der Sommerpause hatte das Opernhaus die Idee, einen Laien-Chor zusammenzustellen, der am Tag der Saisoneröffnung – neben vielen verschiedenen Veranstaltungen für Gross und Klein – Kostproben aus berühmten Opernchören zum Besten geben sollte. Also wurden per Inserat sangesfreudige Laien gesucht. Gehofft hatte man so ungefähr auf hundert Interessenten. Intern im Opernhaus kamen aber schnell Zweifel auf, ob dieses Ziel auch nur annähernd erreicht werden könne. Zwei Tage später stapelten sich bereits über 600 Anmeldungen. Das Interesse war riesig, die Anmeldefrist musste sozusagen notfallmässig sofort beendet werden … Aber was tun, mit allen diesen Möchte-gern-Sängern? Man beschloss, das Los entscheiden zu lassen. Vierhundert durften bleiben, zweihundert Überzähligen musste man dankend absagen. Junge, Alte, Frauen, Männer, Gesangsgeübte und Leute, die kaum je zwei Noten gesungen haben, sind da zusammengekommen. Darunter: ich.

Eine Woche vor dem grossen Auftritt hiess es: antreten zur ersten Probe im Kirchensaal der «Christian Science» am Kreuzplatz. «Gott ist Liebe» steht gross auf der Wand des Saales, in dem sonst Sänger und Musiker des Opernhauses ein- und ausgehen und stundenlang ihre Opern einstudieren. Im Saal: munteres Gewusel, jeder sucht sich einen Platz. Die Alt-Stimmen eher auf der linken Seite, die Soprane rechts. Und die Männer in der Schalterhalle einer Bank an der Bahnhofstrasse. Ein paar einleitende Worte, der Pianist greift in die Tasten, wir fassen die Notenblätter und Chorleiter Ernst Raffelsberger lässt gleich einmal singen. Die einen schmettern mit kräftiger Stimme, die anderen schummeln sich irgendwie durch.

«All together» - konzentriertes Singen aus 400 Kehlen
«All together» - konzentriertes Singen aus 400 Kehlen

Hmmm. Irgendwie klingt das nicht ganz so, wie man das als Zuschauer von der Bühne her gewohnt ist. Als Kakophonie könnte man das bezeichnen. Das unschöne Wort beschreibt genau das, was wir da produzieren. Laut Duden nämlich «eine schlecht klingende Folge von Lauten, also Missklang und Dissonanz». Ernst Raffelsberger schaut betreten drein, sieht die Sache aber nicht als hoffnungslos an. Und wir? Wir lachen verlegen, holen tief Luft und probieren’s nochmal. Diesmal zerlegt Raffelsberger das Stück in leichter verdauliche Tranchen. Und schon geht es besser. Raffelsberger strahlt. Wir auch. Wir singen etwas aus «Carmen», dann ein Trinklied aus der «Fledermaus», «Stosst an! Stosst an!»

Ernsthafter wird es dann beim Zigeunerchor im «Trovatore» und vor allem beim vielleicht berühmtesten der grossen Opernchöre: «Va pensiero ...» aus Nabucco.

Geduldiges Anstehen

Mit Witz und Charme, vor allem aber auch mit Können und Geduld erreicht Raffelsberger schon am ersten Tag Verbesserungen. Am zweiten Tag geht es im gleichen Tempo weiter. Immer ein bisschen besser, immer ein bisschen klarer, immer ein bisschen musikalischer. Und trotzdem: «Jetzt klingt es wieder wie bei André Rieu ….» Oh jee. Schnell wieder die Notbremse ziehen und die Richtung wechseln. «Na also, es geht ja …» lobt Raffelsberger.

Am dritten, vierten und fünften Probentag sind auch die Männer dabei. Und plötzlich klingt es ganz anders, voluminöser, irgendwie professioneller. Es ist eindeutig keine halbe Sache mehr. Natürlich, «all together» ist mehr als zweimal die Hälfte.

Zeit also, sich Gedanken zu machen, was man zum Konzert anzieht. Das Problem wurde aber bereits vom Opernhaus gelöst. T-Shirts gibt es. Rot oder grün, gross oder klein, alle mit dem gleichen Motto: «All together». Das verbindet.

Am Samstag dann: schier endlose Schlangen an den Billettausgabestellen. Das ist unser Publikum, denken wir voller Stolz beim Vorbeigehen. Rings ums Opernhaus und quer über den Sechseläutenplatz stehen die Leute geduldig in einer Reihe an. Andere verdrücken bereits die erste Bratwurst, Kinder flitzen durch die Menge, Luftballone werden verteilt; überall ist irgendetwas los.

Sie geben den Takt an: Chorleiter Ernst Raffelsberger (links) und Pianist Damian Whiteley
Fotos: Opernhaus Zürich
Sie geben den Takt an: Chorleiter Ernst Raffelsberger (links) und Pianist Damian Whiteley
Fotos: Opernhaus Zürich

Während auf der Hauptbühne bereits der professionelle Opernchor, unterstützt vom Kinderchor, singt, schleichen wir fast lautlos auf die Hinterbühne und warten hinter einem Vorhang. «Toi toi toi» ruft der Inspizient und wir sind dran. Der Vorhang geht auf, das Publikum applaudiert und wir singen, was wir geübt haben. «C’est l’Espada, la fine lame, celui qui vient terminer tout … » bis zu «Va pensiero … ». Applaus, Applaus … Ernst Raffelsberger strahlt. Wir strahlen ebenfalls und das Publikum sowieso.

Wie eine Droge

Ach! Dieses Gefühl! So muss es Anna Netrebko zumute sein, wenn sie ihre Arie gesungen hat. Das ist der Antrieb für Jonas Kaufmann, immer wieder auf der Bühne zu stehen. Ein bisschen wie eine Droge ist es, aber ganz legal.

Für uns war es grossartig. Die vor Aufregung roten Backen und die glänzenden Augen sprechen Bände. Und für Ernst Raffelsberger, «unseren» Chorleiter, der sonst mit den Profi-Chören auf der Opernhausbühne oder an den Salzburger Festspielen arbeitet, war es ebenfalls eine höchst vergnügliche Angelegenheit. «Wir wollten mit dieser kleinen Auswahl auch die Bandbreite zeigen, die Chöre zu bewältigen haben: also in verschiedenen Sprachen, mal lustig, mal traurig und möglichst verständlich sollten sie auch singen». Und was hat ihm selbst am besten gefallen an dieser Woche mit uns Laien? «Die Begeisterungsfähigkeit! Die positive Stimmung.»

Ja, da geht es Raffelsberger wie uns. Wir waren nämlich ebenfalls begeistert und zwar von Raffelsberger. Und seiner positiven Stimmung.

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