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Schweiz / EU

Ärgerlich, aber nicht überraschend

17. Februar 2014
Dieter Imboden
Ausgerechnet Bildung und Forschung und damit vor allem junge Menschen gehören zu den ersten Opfern des Ja zur Massenein­wanderungsinitiative. Doch die EU folgt ihren eigenen Regeln und tut das, was sie vorher angekündigt hat.

Es ist bittere Ironie, dass es zuerst ausgerechnet Bildung und Forschung und damit vor allem diejenigen trifft, welche noch lange in diesem Europa in der einen oder andern Form leben werden.

Grundpfeiler der europäischen Forschungszusammenarbeit

Sicher, es ist von Seiten der EU auch eine gute Portion politischer Taktik dabei, wenn sie die Verhandlungen über die zwei Abkommen ‚Erasmus’ (Mobilität von Studierenden) und ‚Horizon 2020’ (Forschungszusammen­arbeit) vorläufig sistiert. Aber der EU deswegen Erpressung nachzusagen, wäre zu billig, denn eigentlich tut sie genau das, was sie vorher klar kommuniziert hat, wohl am deutlichsten am 14. Januar in Bern anlässlich des Besuches einer Delegation aus Brüssel unter Leitung der für die Forschung zuständigen Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn. Generalsekretär Robert-Jan Smits, ein Bewunderer der Schweizer Forschung, drückte damals ziemlich deutlich seine grosse Besorgnis über die möglichen Folgen eines Ja zur Masseneinwanderunginitiative aus (dazu journal21 vom 27.1.14 Die Schweizer Forschung in Europa). Hätte er es noch deutlicher gesagt, wäre ihm wohl Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Schweiz vorgeworfen worden.

Die EU folgt ihren Regeln

Die EU hat sich klare Regeln gegeben, denen sie nun folgt. Das sollten wir demokratischen Schweizer eigentlich bestens verstehen. Darum darf man sich auch über den Ausdruck ‚vorläufige Sistierung’ nicht allzu grosse Hoffnungen machen; er will wohl eher das abrupte Türezuschlagen vermeiden als eine Hintertür öffnen. Jedenfalls ist die damit verbundene Unsicherheit für die Schweizer Forschung Schaden genug, nicht einmal primär wegen der Finanzen (die nicht nach Brüssel transferierten Forschungsgelder könnten ja im Inland ausgegeben werden), sondern weil ein kleines Land wie die Schweiz ohne den internationalen Wettbewerb und die freie Zirkulation von Personen und Ideen in der Spitzenforschung keine langfristigen Perspektiven hat.

Im direkten Machtkampf hat der Kleinere keine Chance

Eigentlich hätten wir es wissen müssen, dass der Kleine gegenüber dem Stärkeren nur dann eine Chance hat, wenn er klug taktiert. Bei frontalen Auseinandersetzungen hat die Schweiz schon immer den Kürzeren gezogen. Erinnern Sie sich noch, als vor einigen Jahren das Parlament trutzig den von Bundesrat Leuenberger mit Deutschland ausgehandelten Vertrag über den Zürcher Flughafen bachab schickte? Beleidigt rieb man sich danach die Augen, dass unsere Nachbarn so handelten, wie sie es  vorher gesagt hatten. An den Konsequenzen der damaligen Dummheit laborieren wir noch immer.

Der tapfere Bundesrat und die Schadensbegrenzung

Was mir zu denken gibt: Die Anführer verstecken sich jetzt hinter vagen Aussagen darüber, wie sie sich die Umsetzung ihrer Attacke auf Europa eigentlich gedacht haben und wie es nun weitergehen soll. Sie überlassen es grosszügig dem Bundesrat, die Suppe auszulöffeln. Ich meine es ernst: Hut ab vor diesem Bundesrat, wie er zur Geschlossenheit und überlegtem Handeln mahnt. Aber er ist nicht zu beneiden.

Andere sprechen von Schadensbegrenzung, ein verräterisches Wort, denn eigentlich würde man denken, souveränes politisches Handeln führe nicht zu Schaden, sondern zu Nutzen. Von Nutzen spricht plötzlich niemand mehr. Es gibt ja auch keinen, denn alle die „Massen“, die da sind, dürfen ja bleiben, wie die Initianten beteuern, also bleiben auch die vollen Strassen, die überfüllten Züge, die überteuerten Wohnungen.

Auch die ‚Schweizer Trümpfe’ werden nicht stechen

Also Schadensbegrenzung! Als Mittel zaubert der Schweizer die liebsten Accessoires seines Nationalspiels aus dem Ärmel, auch im journal21: Trümpfe! Der Transitverkehr, der Banken-Informationsaustausch, der Handel, und – man höre und staune – die Kohäsions-Milliarden. Und einige Optimisten sehen unseren Volksentscheid gar schon als Fanfarenstoss für den Aufstand des nicht direkt-demokratischen Volkes gegen seine Regierungen. Dabei ist es ja gerade diese Angst, welche die EU völlig kompromisslos macht. Die Schweiz, die nicht dazu gehört, bietet sich als Exempel für das eigene Publikum geradezu an. Die Schwächen des Feindes und die sich daraus ergebenden Folgen einzuberechnen gehört eben auch zur Taktik des Kleinen.

Es ist leider abzusehen, wie es weitergehen wird: Die Landesregierung wird alles versuchen, einen gangbaren Weg zwischen der EU und der sich bedeckt haltenden SVP zu suchen, aber das wird noch schwieriger werden als bei der Verwahrungsinitiative. Am Schluss wird der Bundesrat an der unmöglichen Mission scheitern. Und die Schweiz wird beides haben, den Schaden in Form aufgekündigter Abkommen und die vollen Strassen und Züge. Das ist die Würze, aus der die SVP ihr nächstes Süpplein kocht, denn der Souverän wird vergessen haben, dass die Initianten vor der Abstimmung immer der auch ihnen wohlbekannten Wahrheit ausgewichen sind, nämlich dass man nicht das Weggli und den Batzen haben kann.

Aus Schaden wird man klug – oder schon ein bisschen vorher

Wie finden wir aus diesem Schlamassel heraus? – Man hört sagen, an der Weisheit des Souveräns dürfe nicht gezweifelt werden. Unsinn! Die Geschichte aller Staaten ist voller politischer Fehlentscheide, das ist weder eine Schande noch ein Zeichen von Dummheit. Wieso sollen nur Regierungen und Parlamente Fehler machen? Auch das Volk hat dieses Recht. Dumm wäre es hingegen, aus falschem Pflichtbewusstsein heraus diese Fehler wider besseren Wissens durchzustehen. Auch der Souverän kann seine Meinung aufgrund neuer oder erst jetzt wahrgenommener Fakten ändern.

Ich hoffe, der Bundesrat wird in einigen Monaten dem Volk ebenso mutig die Grenzen seines Tuns kommunizieren, wie er heute seine Verantwortung gegenüber dem Volksentscheid bekundet. Und unterdessen kann ja schon einmal mit dem Sammeln von Unterschriften für die nächste Initiative begonnen werden.

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