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Kunsthaus Zürich

Zeitgenössischer Blick auf Klassische Moderne

25. Oktober 2025
Niklaus Oberholzer
Yves Netzhammer
Yves Netzhammer baute eine bunte Ausstellungsarchitektur auf, in der er Portraitbüsten Wilhelm Lehmbrucks zeigt. Im Hintergrund eine computeranimierte Wandzeichnung Netzhammers.

Yves Netzhammer (*1970) nimmt Bezug auf den «Klassiker» Wilhelm Lehmbruck (1881–1919). Wolfgang Laib (*1950) zeigt seine Werke zusammen mit jenen der Klassischen Moderne aus der Sammlung des Kunsthauses Zürich. Damit folgt es heutigen Trends. 

«O Mensch! Wilhelm Lehmbruck – Die letzten Jahre»: Pathetisch und mit Ausrufezeichen versehen wie zu Expressionismus-Zeiten titelt das Kunsthaus Zürich für die Ausstellung des bedeutenden Plastikers, der, an Depressionen leidend, 1919 im Alter von 38 Jahren freiwillig aus dem Leben schied. Im Ausstellungssaal im obersten Geschoss des Kunsthaus-Neubaus bereitet der Schaffhauser Künstler Yves Netzhammer, dessen Werke jenen aus den letzten Schaffensjahren Wilhelm Lehmbruck gegenübergestellt werden, eine mehrheitlich grell-blaue, markige und auf Wirkung angelegte Bühne. 

Die Frage mag sich schon beim Betreten des Raumes stellen: Passt Netzhammers Inszenierung auch zu den zurückhaltenden Skulpturen Wilhelm Lehmbrucks, die auch ein Menschenbild, aber ein so ganz anderes entwerfen als die  mit allen Möglichkeiten der Computer-Animation spielenden, verschiedene mediale Techniken nutzenden Arbeiten von Netzhammer? Zudem mag man sich fragen, ob die Licht- und Beleuchtungsanlagen dieses Raumes den Skulpturen Lehmbrucks dienlich sind: Der Raum selber ist dunkel. Auf die Bronze-Figuren und Steingüsse sind intensive Spots gerichtet. Das hat Schlagschatten und Glanzlichter auf der Bronze zur Folge,  die effektvoll sein mögen, aber den Kontakt zur sensiblen Oberfläche von Lehmbrucks Werken und zu den erfindungsreichen Raumkonzepten, die diesen Skulpturen zugrunde liegen, in hohem Masse erschweren. Vielleicht lässt die Lichtanlage des Saales kein weiches Streulicht zu. Dann allerdings wäre der Saal im Neubau des Kunsthauses von David Chipperfield trotz seines Kultstatus als «Stararchitekt» für solche Ausstellungen (im Gegensatz zum Bührle-Saal der 1950er Jahre der Gebrüder Pfister) für  Lehmbruck nicht geeignet.

Mangelnde Sensibilität?

Oder: Fehlt es Netzhammer (und den Kuratorinnen?) an jener Sensibilität, die den Skulpturen Lehmbrucks  jenen Raum geben kann, der das Leben aufblühen lässt, das diesen Werken innewohnt? Dann allerdings wäre der Kombination Lehmbruck-Netzhammer mit genereller Skepsis zu begegnen – obwohl Netzhammer schon mit dem Lehmbruck-Museum in Duisburg zusammengearbeitet hat. Es macht den Anschein, als sei Aktualisierung um jeden Preis heute das gängige Rezept, um Publikum ins Museum zu locken – obwohl Lehmbruck einer solchen Aktualisierung nicht bedarf: Sowohl seine grossen Figuren wie «Der Gestürzte», «Emporsteigender Jüngling» und «Sitzender Jüngling» als auch die kleineren plastischen Arbeiten wie die Portrait-Büsten sowie die Gemälde und Zeichnungen – Hauptleihgeber ist das Lehmbruck-Museum Duisburg – sprechen die Betrachterinnen und Betrachter ganz direkt und unmittelbar an, wohl mit einem Hang zum Sentimentalen, vor allem aber mit einer melancholisch-wehmütigen Grundstimmung, die dem Zeitgeist der Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entspricht und von den Nazis auch als «entartet» abgelehnt wurde. Umgekehrt bedürfen auch Yves Netzhammers eigene, verspielte und zweifellos eigenständige Arbeiten, die teils in ständiger Bewegung sind, kaum der Unterstützung von Seiten des «Klassikers» Lehmbruck.

«Der Gestürzte»
Wilhelm Lehmbruck: «Der Gestürzte», eines der bekanntesten Werke des Künstlers.

Was die Kuratorinnen Angelika Affentranger-Kirchrath und Sandra Gianfreda bei der Kombination Lehmbruck-Netzhammer gedacht haben, sei allerdings nicht verschwiegen. Mit folgendem Text begrüssen sie das Publikum am Eingang zur Ausstellung. Sie sagen damit deutlich, wo sie eine Vergleichsbasis der so unterschiedlichen Künstler sehen: «Wie kann man dem Menschen in einer Zeit der Verunsicherung und des  Wertewandels ein adäquates Bild geben? Mit welchen Ausdrucksformen kann man ihm in seiner Bedrohung und Verletzlichkeit, aber auch in seiner Resilienz, künstlerisch gerecht werden? Diese zentralen Fragen zum Menschsein und zur Menschlichkeit in einer Zeit der Angst und Not umkreisen die beiden Künstler der Ausstellung in ihrem Schaffen auf je eigene Weise.»

Das Kunsthaus Zürich tat sich für das Lehmbruck-Projekt mit dem Kunstmuseum Moritzburg in Halle (Saale) zusammen. Dort wird die Ausstellung im kommenden März mit dem Titel  «Ewig menschlich – Wilhelm Lehmbruck» gezeigt. Man verzichtet, aus dem Katalog zu schliessen, auf Netzhammer, bezieht aber Werke von Künstlern ein, die aus ähnlicher Grundstimmung wie Lehmbruck arbeiteten: Karl Hofer vor allem, aber auch Otto Mueller, Erich Haeckel, Ludwig Meidner und Ernst Ludwig Kirchner. In Zürich gibt es einige Blicke auf die örtliche Dadaismus-Szene.

Wolfgang Laib und die Klassische Moderne

Das Kunsthaus Zürich kann auch andere Wege beschreiten, wenn es um die Kombination von Gegenwartskunst und Klassischer Moderne geht. So lud es Wolfgang Laib zu Interventionen in den Sammlungsräumen ein. 

Wolfgang Laib
Wolfgang Laib giesst im Kunsthaus Zürich sorgfältig Milch auf einen Marmorstein.

Das Resultat ist um einiges einfühlender als im Fall Lehmbruck-Netzhammer, ohne dass Wolfgang Laib mit seinen stillen Gesten auf Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit verzichtet hätte: Wie er seine eigene Skulptur «Reishaus» zum Triptychon von Sophie Taeuber-Arp (um 1918) und zu einer Malerei von Verena Loewensberg (1948) fügt, wirkt beispielhaft. Ebenso überzeugt «Brahmanda V» (schwarzer indischer Granit und Sonnenblumenöl) vor Kandinskys «Schwarzem Fleck» von 1921.

«Reishaus»
Wolfgang Laib setzt seine Skulptur «Reishaus» (Roter Briefsiegel auf Holz) wie ein Meditationsobjekt behutsam in Beziehung zu Werken von Sophie Taeuber-Arp (rechts) und Verena Loewensberg (links) aus der Zürcher Kunsthaus-Sammlung.

Kunsthaus Zürich. «Wilhelm Lehmbruck – Die letzten Jahre», kuratiert von Angelika Affentranger-Kirchrath und Sandra Gianfreda. Bis 18.01.2026. Wolfgang Laib. Interventionen in der Sammlung, kuratiert von Philipp Büttner. Bis 2026. Zu beiden Ausstellungen erschienen Kataloge. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Museum Moritzburg in Halle (Saale).

Wilhelm Lembruck wurde 1881 in der Nähe von Duisburg geboren. Ausbildung an der Akademie Düsseldorf. 1910 verlegt er den Wohnsitz nach Paris. Bekanntschaft mit Alexander Archipenko und Auguste Rodin, Ludwig Mies van der Rohe und dem Kunstkritiker Julius Meier-Graefe. Lehmbruck stellte sich dem Hagener Sammler Karl Ernst Osthaus vor, der ihm 1912 eine Präsentation einiger Werke in seinem Folkwang Museum ermöglichte. Ausstellungen in Berlin, Köln, München, Düsseldorf und 1913 in der Armory Show in New York . Kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges Rückkehr nach Deutschland und Wohnsitz in Berlin. Ab Dezember 1916 lebte und arbeitete er in Zürich. Hier lernte er pazifistisch gesinnte Künstler und Literaten wie Ludwig Rubiner, Else Lasker-Schüler, Leonard Frank, Yvan Goll und Claire Studer kennen. Lehmbruck stellte in Basel und Zürich aus. Während der Kriegsjahre schuf er Werke, die zu den Höhepunkten seines Schaffens zählen. Lehmbruck litt zunehmend an Depression und setzte seinem Leben 1919 ein Ende. 

Yves Netzhammer wurde 1970 geboren, wuchs in Schaffhausen auf und lebt in Zürich. Seine ersten Ausstellungen mit Videoinstallationen, Diaprojektionen, sowie Zeichnungen und Objekten hatte Yves Netzhammer im Jahr 1997. 2007 vertrat er die Schweiz an der Biennale Venedig.

Wolfgang Laib, geboren 1950, lebt in Süddeutschland und unterhält Ateliers in Indien und New York. Zahlreiche Ausstellungen u. a. an der Biennale Venedig (1982),  im Zürcher Kunsthaus (1987), im Kunstmuseum Luzern (1990), an der documenta Kassel (1982 und 1987), in der Fondation Beyeler in Riehen (2006), Kunstmuseum Chur (2022).

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