Apokalyptisches Denken kommt auf. Und zwar nicht in theologischen, sondern in technologischen Zirkeln. Peter Thiel hausiert neuerdings mit Endzeitideen. Und damit reanimiert er ein Denken, das bereits vor gut einem Jahrhundert die Köpfe erhitzte.
Ausgelöst hatte den populärphilosophischen Sturm der deutsche Philosoph Oswald Spengler mit seinem Buch «Untergang des Abendlandes». Darin postulierte er das geschichtsphilosophische Muster eines notwendigen Dreischritts von Aufstieg, Höhepunkt und Verfall. Dieses Muster zeige sich bei allen Kulturen und in allen Epochen. Spengler fürchtete, dass das faustische Streben nach Wissen, Macht und Transzendenz, einst der geistige Motor der westlichen Kultur, zunehmend durch eine genussorientierte Haltung des Sozialismus und Liberalismus ersetzt werde. Was den Beginn einer Endphase der westlichen Zivilisation bedeute.
Verlust der Zukunftshoffnung
Auch Thiel sieht die moderne westliche Gesellschaft von Verfall bedroht: zu wenig Fortschritt, ja, Stagnation seit etwa den 1970er Jahren. Seiner Meinung nach «gibt es viele Erklärungen für diese Verlangsamung (…), aber die Erklärung, an die ich glaube, lautet: Technologie wurde beängstigend. Wir sind ihr gegenüber heute misstrauisch, wir umarmen sie nicht mehr wie früher».
Thiel diagnostiziert darin ein Versagen, den technologischen Fortschritt aufrechtzuerhalten, der frühere Perioden der westlichen Entwicklung prägte. «Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist eine Geschichte des Verlusts der Hoffnung auf die Zukunft. Mit dem Blick zurück mag der Beginn des Atomzeitalters und das Manhattan-Projekt einen entscheidenden Wendepunkt darstellen, ein grosses Ereignis, das zu enormer Enttäuschung führte. Diese Enttäuschung traf in den 1970er Jahren mit voller Wucht, als das Nachfolgeprogramm Apollo zusammenbrach und die Baby-Boomer ihre Energien auf endlose Kulturkämpfe lenkten. Ob aus Zufall oder Absicht, die Wissenschaftler wurden an die kurze Leine genommen und mussten ihre Zeit mit dem Schreiben von Förderanträgen für bescheidene Erweiterungen bestehender Paradigmen verbringen.» (1)
Das ist keine Erklärung, sondern simple Polemik, aber man kann durchaus fragen: Was ist schiefgelaufen? Ein Axiom der aufklärerischen Moderne lautet: Die menschliche Gesellschaft ist nicht nur fähig, sondern verpflichtet zum Fortschritt. Dabei gilt die technische Innovation als treibende Kraft.
Nun könnte man es allerdings als Ironie des technischen Fortschritts betrachten, dass er im Zeitalter rasanter «disruptiver» Entwicklungen und drohender existenzieller Bedrohungen das Endzeit-Szenario reanimiert. Das heisst, es geht in diesem Szenario nicht einfach mehr um «Pragmatismus», um die Lösung von konkreten planetarischen Problemen wie Umweltzerstörung, Klimawandel, Migration, Armut und Hunger, Überwachung des Individuums, Zerfall des sozialen Gewebes etcetera. Es geht um das Ganze, das planetarische «Schicksal», das «letzte Drama» der Geschichte schlechthin: das «Eschaton» – um etwas, so Thiel, das sich nur im Horizont biblischer Vorstellungen begreifen lässt. Im Horizont einer «dunklen Aufklärung».
Barometer der kulturellen Wetterlage
Sie öffnet den vermeintlich aufgeklärten Menschen endlich die Augen. Seht, sagt Thiel in seinem Essay «Against Edenism», ihr habt euch geirrt: «Wenn eine wissenschaftlich-technologische Utopie das Markenzeichen der Aufklärung war, dann ist vielleicht das Misstrauen gegenüber dieser Utopie das Markenzeichen des postaufklärerischen, postmodernen Westens.
Der weit verbreitete Charakter dieses Misstrauens ist ein guter Massstab dafür, wie weit die Postmoderne die Moderne verdrängt hat.» Das Misstrauen hat die «sogenannt christlichen Rechten», die «Hollywood-Linken», sowie alle dazwischen erfasst, «mit nur kleinen Unterschieden in den genauen Details dessen, was abgelehnt wird – sei es die Stammzellforschung als entgegen dem Willen Gottes (…) oder die Fracking-Technologie als schädlich für die Umwelt. (2) Aufs Ganze gesehen, herrscht wieder einmal Untergang des Abendlandes.
Die Wiederkehr gewisser Denkfiguren wie jener des Verfalls gehört zu den faszinierendsten Themen der Ideengeschichte. Man kann dieses Phänomen zweifellos durch bestimmte historische «Atmosphären» erklären, die ein Wiederaufleben begünstigen. An Thiels Apokalypsedenken ist so gesehen nicht der Inhalt von Bedeutung, sondern die Barometerfunktion einer kulturellen Wetterlage.
Aber wir sollten die innere, erkenntnistheoretische Struktur der Denkfigur «dekonstruieren»: Die Logik des Untergangs ist gefährlicher als der Untergang. Betrachten wir kurz drei Merkmale.
Je querer die Idee, desto «wahrer»
Erstens sieht sich Thiel als Denker, der gegen den Mainstream schwimmt. Je querer die Idee, desto «wahrer» ist sie. Das reflektiert ziemlich genau die Startup-Ideologie von Silicon Valley: Verrückte Ideen finden eher einen Investor als plausible. Aber als Argument in einer philosophischen Diskussion ist diese Auffassung von Wahrheit dünn und erinnert an pubertäre Renitenz. Wer Wahrheit sucht, ist vielleicht mutig und verrückt, aber er muss damit rechnen, dass er falsch liegt. Das ist die fallibilistische Tradition der Erkenntnis. Sie lässt Thiel kalt.
Thiels Vision der Endzeit ist «wahr», weil sie von einem «Contrarian» als entschlossene Erklärung in die Welt gesetzt wird, ihn als heroischen Denker hervorhebt und seiner Gefolgschaft elitäre Distinktion verleiht. Umberto Eco sah das klar: «Im Grunde genommen tröstet der Apokalyptiker den Leser; er lässt ihn (…) die Existenz einer Gemeinschaft von ‘Übermenschen’ erahnen, die sich über die Banalität und den ‘Durchschnitt’ zu erheben vermögen.» (3) Das liberale Engagement für Gleichheit und universelle Menschenrechte ist nicht moralischer Fortschritt, sondern eine gefährliche Nivellierung des Humanpotenzials, das eben gerade in der Ungleichheit der Menschen besteht.
Ein eklektisches Gebräu
Zweitens kredenzt Thiel ein seltsames eklektisches Gebräu aus modernen und biblischen Ideen. Er schwimmt nicht nur gegen den Mainstream westlichen Denkens, sondern möchte einem Paradigma zum Durchbruch verhelfen, das Geschichte, Macht und die Möglichkeit menschlichen Handelns auf neue alte Art – quasi neoarchaisch – verstehen will.
Und hier ruft Thiel eine biblische Figur auf die apokalyptische Bühne: den «Katechon». Der Ausdruck bedeutet «Aufhalter» – eine Ordnungsmacht gegen den Verfall, die Dekadenz, das Chaos. In Thiels Augen sind die USA der Katechon. Dabei muss man genauer hinsehen, was Thiel aufhalten will, nämlich den ganzen «Mob» der Umweltschützer, Klimaaktivisten, Wachstumskritiker, Umverteiler, woken Sozialisten. Sie alle gelten ihm als falsche Friedensbringer und Wegbereiter zu einem bevormundenden Weltstaat mit Institutionen wie die Uno und die WHO – für Thiel Verkörperungen des «Antichristen». Merke: Der konspirative Duktus darf nicht fehlen.
Apokalyptischer Optimismus
Thiel ist drittens ein strategischer Apokalyptiker, nach dem Hölderlin-Vers «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch» (Hymnus «Patmos», vollendet 1803, Erstdruck 1808). Das Endzeit-Argument bezieht gerade aus dem paradoxen Charakter seine Schlagkraft: optimistisch und apokalyptisch zugleich. Man malt die Apokalypse an die Wand, um die optimistische Vision zu stärken: Hört, Leute, das Ende der Welt droht – falls ihr nicht eine postliberale Ordnung wählt, gestützt auf religiöse Transzendenz, technologische Risikobereitschaft, Monopolstellung grosser Konzerne, Herrschaft weniger, Deregulierung des Staates und – Moneten verdienen. Der Historiker David Edgerton nennt dies «apokalyptischen Optimismus».
Er ist eine giftige Denkfigur, wenn er sich in die Politik einmischt. Günter Anders warnte vor einer «Apokalypse-Blindheit» – vor der mangelnden Angst angesicht der damaligen Bedrohung einer nuklearen Weltzerstörung in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Heute wäre eher vor einer anderen Blindheit zu warnen: gegenüber dem Ideengezücht von Risikokapitalisten, die, wie es scheint, den Untergang als profitables Investitionsobjekt entdecken.
(2) https://firstthings.com/against-edenism/
(3) Umberto Eco: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur, 1964/1978