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Zwischenruf

Wie helvetische Putinisten sich den Frieden vorstellen

3. Oktober 2025
Reinhard Meier
Reinhard Meier
Weltwoche, Aushang
Weltwoche-Aushang. Plattform für putinistische Visionen (Foto: KEYSTONE/Gaetan Bally)

Wie kann der Ukraine-Krieg beendet und Frieden in Europa hergestellt werden? Ganz einfach, behauptet der «Friedensforscher» und Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser: Durch eine «neue Freundschaft zwischen Berlin und Moskau», was die USA immer wieder zu verhindern versuchten. Vom Schicksal der Ukraine ist nirgends die Rede. Der Putinist Köppel findet solche wirren Klitterungen grossartig. 

Welches sind eigentlich die genauen Friedensrezepte zur Beendigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in den heterogenen westlichen Reihen der sogenannten Putin-Versteher und Selenskyi-Verächter? Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach, weil die Vorstellungen in diesem Lager selten detailliert ausformuliert werden. Klar, die Ukraine darf auf keinen Fall dem Nato-Bündnis beitreten, wie das Putin verlangt.

Schlüssel zum Frieden: Deutsch-russische Freundschaft

Doch diese Forderung ist zumindest von Trump und andern wichtigen Stimmen im Westen praktisch akzeptiert – allerdings mit dem Vorbehalt anderer, europäischer Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Dass Putin die erbarmungslosen Angriffe gegen die Ukraine trotz dieser De-facto-Konzession ungerührt fortsetzt und offensichtlich nicht daran denkt, mit dem ukrainischen Präsidenten ernsthafte Friedensverhandlungen zu beginnen, wird von der Putinisten-Szene mit diskretem Stillschweigen übergangen. 

Dieser Tage bin ich bei einem Kiosk-Aushang auf eine Schlagzeile auf der Titelseite der «Weltwoche» aufmerksam geworden, die bekanntlich dem bekennenden Putinisten Köppel gehört. Die Schlagzeile lautet: «Frieden in Europa. Was es braucht ist eine deutsch-russische Freundschaft».  Als Autor wird der angebliche Friedensforscher Daniele Ganser aufgeführt, der im realistischen Sprachgebrauch besser unter der Bezeichnung Verschwörungstheoretiker bekannt ist. Bei aller Skepsis über diesen Autor machte mich der Verweis auf eine «deutsch-russische Freundschaft» als Schlüssel für eine Friedenslösug in Europa doch neugierig. Da ich aus einsehbaren Gründen kein «Weltwoche»-Abonnent bin, suchte ich in der Stadt eine naheliegende Bibliothek auf, um mich im dort aufliegenden Exemplar dieser Postille über das politische Zauberrezept näher zu informieren. 

Gleich im ersten Satz des erwähnten Textes heisst es programmatisch: «Wenn Europa den Frieden will, muss es den Krieg in der Ukraine beendigen und zwischen Deutschland und Russland wieder eine gute Nachbarschaft aufbauen.» Dazu gehöre eine «gewaltfreie Kommunikation, das Aufheben der Wirtschaftssanktionen und ein Umgang auf Augenhöhe». Wie Europa den Krieg in der Ukraine, der schliesslich von Putin geführt wird, beendigen könnte – darüber schweigt der Autor konsequent. Anscheinend nimmt er blauäugig an, dass Putin sofort aufhören würde, die Ukraine zu erobern, wenn die Europäer, inklusive die Schweiz, ihre Sanktionen aufgeben würden. 

Biden lässt die Nord-Stream-Pipeline sprengen

Immerhin weiss Ganser genau Bescheid, weshalb eine deutsch-russische Freundschaft zurzeit nicht funktioniert: Es sind die Amerikaner, die dies verhindern. Zum Beweis zitiert er einen obskuren amerikanischen «Geostrategen», der behauptet haben soll, für die US-Interessen sei es schon immer zentral, «dass Deutschland und Russland nicht kooperieren, sondern sich bekämpfen». Dafür habe Amerika  schon im Ersten und im Zweiten Weltkrieg (!) und auch im Kalten Krieg gekämpft. 

Als weiterer «Beweis» für die Verhinderung einer gedeihlichen deutsch-russischen Kooperation durch die USA wird behauptet, es sei Präsident Biden persönlich gewesen, der im September 2022 «den Befehl für den Anschlag» auf die Erdgaspipeline Nord Stream gegeben habe, durch die billiges russisches Erdgas nach Deutschland fliessen sollte. Ganser beruft sich auf völlig unbelegte Recherchen des amerikanischen Sensationsjournalisten Seymour Hersh, der seinen einst in Amerika respektierten Ruf längst verspielt hat und dessen halbseidene Enthüllungsgeschichten heute hauptsächlich von dubiosen Winkelpostillen publiziert werden. Dass in den Medien ganz andere «Narrative» über die Auftraggeber und Drahtzieher für die Sprengung der Nordsee-Pipeline herumgeboten werden, wertet Ganser kurzerhand als Ablenkungsmanöver, um den Urheberverdacht von Biden zu kaschieren. 

Am Ende seiner wirren Argumentation gibt der selbsternannte «Friedensforscher» Ganser noch einmal seine Kernthese zum Besten: Die Europäer sollten nun einsehen, dass Frieden in Europa nur möglich ist, wenn auch die Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigt würden «und wenn zwischen Berlin und Moskau wieder eine Kultur der Freundschaft und des Friedens einzieht». Auch für die Schweiz sei es übrigens «an der Zeit, den Wirtschaftskrieg gegen Russland zu beenden». 

Meinungsvielfalt und die Unterscheidung von Lüge und Wahrheit

Was mit der Ukraine geschehen soll, wenn zwischen Berlin und Moskau wieder Friede und Freundschaft herrschen sollten, darüber verliert der «Friedensforscher» wie gesagt kein einziges Wort. Entweder ist er treuherzig der Meinung, Putin würde seinen mörderischen Krieg gegen das Nachbarland sofort einstellen, sobald ihm Berlin die Freundeshand reiche. Oder aber er findet, Deutschland sollte sich ruhig auch dann mit dem Kriegsherrn in Moskau versöhnen, wenn dieser wie bisher ukrainische Städte und Dörfer bombardieren lässt und seine Truppen in Richtung Kiew antreibt. 

Kann gesunder Verstand solchen hanebüchenen Unsinn ernst nehmen? Roger Köppel tut das jedenfalls. In seinen täglichen Dampfplaudereien via Internet lobt er Ganser in hohen Tönen als «profilierte Stimme für Friedenspolitik in Europa». Und offensichtlich würde er dessen geisterhafte Visionen von einem Frieden in Europa, in denen die Ukraine ausgeblendet wird, kaum in seinem Wochenblatt auf der Titelseite anpreisen, wenn solche aus den Fingern gesogenen Konstrukte nicht mit seinem eigenen Weltbild kompatibel wären. 

Um seine eigene putinistische Schlagseite als Geschäftsmodell zu vernebeln, behauptet der «Weltwoche»-Chef gerne salbungsvoll, sein höchster journalistischer Wert sei die Meinungsvielfalt. In einer freien Gesellschaft gehe es darum, gerade bei kontroversen Themen allen Meinungen eine Plattform zu geben. Richtig – aber zum demokratischen Diskurs gehört auch die Freiheit, zwischen Wahrheit und Lüge deutlich zu unterscheiden. Wenn, wie in der Köppelschen «Weltwoche», der Kriegsherr Putin als «Missverstandener» verharmlost und Selenskyj als Präsident eines sich verteidigenden Landes als «Kriegstreiber» beschimpft wird, dann geht es  weniger um die Kategorie Meinungsvielfalt als vielmehr um die notwendige Klarstellung von Wahrheit und Lüge. 

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