Der Winterthurer Schriftsteller Peter Stamm hat das Buchfestival «Zürich liest ’15» mit einer Rede eröffnet, in der er eingangs bekannte: «Mein Kerngeschäft besteht aus Nichtstun.»
Das ist wohl ein bisschen kokett, aber nur vordergründig und in selbstironischer Art. Faszinierend an Stamms Rede ist der Blick hinter dieses Bekenntnis zum Nichtstun. Literarisches Schreiben ist selbstverständlich Arbeit, und zwar eine, die ans Lebendige geht, weil sie immer um Wahrheit ringt. Den Schreibenden jedoch fällt es gelegentlich schwer, die Bedeutsamkeit ihres Tuns glaubhaft zu machen. Stamm hierzu:
«Menschen bauen Maschinen, planen Häuser, heilen Krankheiten, backen Brot, pflanzen Bäume. Sie erweitern die Welt, machen sie schöner oder erträglicher oder bequemer. Schriftsteller hingegen schaffen andere Welten. Das ist nicht wenig, aber es gibt wohl kaum einen Autor, der sich nicht schon geschämt hat, nicht viel zur realen Welt beizutragen.»
Billiger als mit dem Anspruch, sich um Wahrheit zu bemühen, ist Literatur nicht zu haben. Darin liegt auch der Grund, weshalb das Schreiben eine Distanz zur normalen Betriebsamkeit erfordert – ein Nichtstun, wie Stamm sagt. Erst aus solchem Abstand heraus kommt literarische Arbeit in Gang. Der Redner fasste deren Anspruch in ein Paradox, entlehnt bei einem Grossen der schreibenden Zunft: «Es gibt eine Wahrheit in der Literatur, die tiefer geht als jede Essayistik. Sie entsteht dann, wenn der Text – wie Lichtenberg einmal sinngemäss sagte – klüger ist als sein Autor.»
Klüger schreiben als man ist: Die Lösung des Widerspruchs liegt zum einen in der Klugheit, die in der Sprache eingelagert ist und wie der Diamant im Gestein gefunden werden will, und zum anderen im Wissen um den Menschen, das im Kosmos der literarischen Überlieferung aufbewahrt wird. Autoren sind zuerst und vor allem Leserinnen und Leser. Ob sie mit dem eigenen Schaffen nun respektvoll an Traditionen anschliessen oder diese unwirsch niedermachen: Sie müssen die Literatur ausreichend kennen und sich an ihr messen. Nur so entstehen Texte, die klüger sind als ihre Autoren. Und nur solche Texte sind Literatur.
Peter Stamms Rede ist hier nachzulesen.