Was wäre, wenn die Gebeine des Jesus von Nazareth entdeckt und bei Sotheby’s auktioniert würden? Absurder Gedanke. Doch genau dies wäre um ein Haar dem Begründer des Buddhismus zugestossen.
Anfangs Mai wurde bekannt, dass das Auktionshaus Sotheby’s plante, die Reliquien des historischen Buddha dem Meistbietenden zu verkaufen. Es war vorgesehen, die Auktion In Hongkong durchzuführen. Der Schätzwert wurde auf knapp zehn Millionen US-Dollar festgelegt.
Geschäft und «metaphysische Bedeutung»
Eine Preisetikette um den Hals eines der grossen Religionsgründer, dessen Bedeutung sich nur mit Jesus, Mohammed, allenfalls Konfuzius vergleichen lässt? Könnte man sich überhaupt vorstellen, dass die Gebeine etwa eines Jesus Christus oder Mohammed je unter den Hammer des Marktes kämen (oder, wenn man darüber nachdenkt, die sterblichen Überreste irgendeines Menschen)?
Reliquien sind ja nicht einfach Kunstware. Man erinnert sich, dass Europa beinahe 300 Jahre Kriege führte und Expeditionen nach Vorderasien durchführte – die sogenannten Kreuzzüge, unter anderem, um die heiligen Stätten mit den urchristlichen Reliquien vor dem Zugriff der arabischen Ungläubigen in Sicherheit zu bringen. Unzählige Reliquien, über Kontinente und Religionen verteilt, sind bis heute das Ziel von Millionen von Pilgern.
Seltsamerweise war es Sotheby’s selber, das im Begleit-Prospekt für die Auktion die «metaphysische» Bedeutung des Loses hochredete und es in der Stratosphäre jenseits jeder monetären Bezifferung verortete. Es war eine Aussage, die sich selber widersprach, war sie doch nicht mehr als ein Marketing-Argument.
Im Besitze eines britischen Adels-Clans
Bereits die Besitzer der Reliquien, der britische Adels-Clan Peppé, hatte in den letzten Jahren offenbar mehrfach versucht, unter der Decke der Vertraulichkeit einen Käufer zu finden und damit einer öffentlichen Kontroverse aus dem Weg zu gehen. Sie hatte dafür ein halbes Dutzend führender Museen angeschrieben, darunter angeblich auch das Rietberg-Museum Zürich. Keines ging auf das Angebot ein.
Man kann nur spekulieren, was die Museen bewog, die Hände davon zu lassen. Finanzielle Vorbehalte waren wohl nicht entscheidend. Weit grösser war wohl die Furcht vor dem Risiko, dass die religiöse Explosivkraft der Objekte den kunstgeschichtlichen Wert – und damit die museologische Raison d‘être der Häuser – weit hinter sich lassen würde. Die Besucherzahlen wären wohl so hochgeschnellt, dass das Museum eher einem Pilgertempel als einer Kunstsammlung gleichen würde.
Fünf Urnen und ihre Inschriften
Die Museen würden damit weit mehr als einen Kunstschatz erwerben, nämlich ein zentrales religiöses Kultobjekt einer der am schnellsten wachsenden Weltreligionen. Selbst die ästhetisch hochstehenden rituellen Kultobjekte, die Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit der Asche der Gebeine in einem «Stupa» nahe der indisch-nepalischen Grenze gefunden worden waren, gelten im buddhistischen Verständnis nicht einfach als beigelegte Opfergaben. Sie sind vielmehr ein ritueller Bestandteil des quasi-göttlichen «Avatars.
An der Authentizität der Objekte ist, so meint der indische Kunsthistoriker Naman Ahuja, nicht zu zweifeln. Die Inschriften auf den fünf Urnen waren in einer archaischen Form der Brahmi-Schrift abgefasst, die zur Zeit Buddhas gebräuchlich war und dann verschwand. Aus ihnen geht hervor, dass die «Depositäre» des Grabschatzes Mitglieder des königlichen Sakhya-Clans waren. Sie begruben hier also die Gebeine ihres berühmtesten Mitglieds, Gautama.
Asche, Knochenreste und 1800 Gegenstände
William Peppé, der Verwalter eines grossen kolonialen Landwirtschaftsguts in Piprahwa, auf dessen Boden mehrere Stupa-Grabhügel standen, hatte die Grabung 1898 angeordnet. Der Fund ging an die englische Krone, die Teile davon an den König von Siam (dem heutigen Thailand), an buddhistische Klöster in Burma und dem damaligen Ceylon verschenkte, und dem Indian Museum in Kolkata überliess (in dessen Kellern er verschwand).
Insgesamt waren in den Urnen neben Asche und Knochenresten über 1800 Gegenstände hinterlegt. Die Peppé-Familie durfte den grösseren Teil des Schatzes, darunter 431 Edelsteine, behalten und repatriierte ihn nach England.
Kolonialer Raub und Geschäftsinteresse
Zwei Urenkel versuchen nun, sich dieses Erbes zu entledigen – oder es zu versilbern. Einer von ihnen machte als Grund sogar geltend, dass diese Geste eine Form der Sühne wäre für die kolonialen Plünderungen Grossbritanniens. Der Beizug von Sotheby’s lässt allerdings vermuten, dass die beiden Cousins nicht an eine Schenkung dachten. Es klingt pharisäisch: Man bedauert den Raub, möchte aber an ihm verdienen.
Die Versteigerung in Hongkong war auf den 4. Mai angesetzt worden. Das Ausweichen des Londoner Auktionshauses auf einen Nebenschauplatz und die eingeschränkten Einladungen zur Teilnahme verstärken im Nachhinein den Eindruck, dass die weltweite Öffentlichkeit davon wenig erfahren sollte und man dennoch ins Geschäft kommen wollte.
Sotheby’s bekommt kalte Füsse
Am Ende kam der Buddha dann doch nicht unter den Hammer. Die indische Regierung hatte dank dem Kunsthistoriker Ahuja Wind davon bekommen und drohte mit einem rechtlichen Verfahren und machte gleichzeitig geltend, dass der Staat Indien der einzige legitime Hüter dieser heiligen Relikte sei, als eigentliches Ursprungsland des Buddhismus wie auch der unangefochtenen Tatsache, dass sie in Indien gefunden worden waren.
Sotheby’s reagierte rasch und sistierte die Auktion, und zog sie kurz darauf ganz zurück. Es ist unklar, warum die Firma so rasch reagierte. Man kann aber davon ausgehen, dass ihr neuer Besitzer, der Franzose Patrick Drahi, seine Hände im Spiel hatte. Nicht nur ist dessen Sohn der Leiter der Hongkonger Filiale. Drahi hat auch den Ruf, ein eigenmächtiger Patron zu sein, der Sotheby’s wie ein CEO führt.
Modi feiert Rückkehr der Relikte als Freudentag
Aber es wird Drahi auch rücksichtslose Profitgier nachgesagt. Wie konnte er dann diesen fetten Brocken davonschwimmen lassen? Denn es war klar, dass Indien als legitimer Depositär keine Rupie zahlen würde. Dies mag die seltsame Wendung erklären, die das Geschäft nun nahm. Plötzlich wurde bekannt, dass ein Mitglied des indischen Familien-Unternehmens Godrej sich mit Sotheby’s und den britischen Besitzern auf eine «Übernahme» geeinigt hatte. Über allfällige finanzielle Handwechsel wurde Stillschweigen geübt.
Knapp drei Monate nach dem Platzen der Versteigerung erschienen in den indischen Zeitungen plötzlich Fotos vom Flughafen Delhi. Sie zeigen den jungen Godrej-Spross – Chef der Immobilien-Abteilung im Familien-Konzern –, der eine grosse Kassette vor sich herträgt und von tibetischen Mönchen empfangen wird.
Die Reaktion der Regierung zeigte, dass sie in den Deal eingeweiht war. Premierminister Narendra Modi selber liess es sich nicht nehmen, die Ankunft zu einem «Freudentag» zu erklären, der die enge Verbindung Indiens mit «Gott Buddha und dessen edler Lehre» bewies. Das Kulturministerium pries die Transaktion als exemplarischen Akt einer engen «public-private partnership».
Abteilung für «religiöse Diplomatie»
Über die Folgeschritte herrscht seitdem Schweigen. Aber man kann davon ausgehen, dass der Staat – im Gegensatz zu den internationalen Museen – wenig Zurückhaltung bekunden wird, im Umgang mit den Relikten das Religiöse mit dem Politischen und Diplomatischen zu vermengen.
Das indische Aussenministerium verfügt über eine eigene Abteilung in «religiöser Diplomatie». Regelmässig werden etwa Relikte von «Boddhisattvas» (etwa: buddhistische Heilige) in Länder mit grossen buddhistischen Gemeinschaften entsandt, mit dem Status und dem Protokoll, die jenem der Staatspräsidentin entsprechen. Ein kürzlich aus Vietnam zurückgekehrtes Relikt habe mehrere Millionen Pilger angelockt.
Beijing ausmanövriert?
Ein weiterer Aspekt von Kulturdiplomatie (sprich: -rivalität) mag zum raschen Handeln der Regierung vor der Sotheby’s-Auktion im Mai beigetragen haben. Hongkong ist heute vollständig in die Volksrepublik China integriert. Man weiss von dessen Regierung, dass sie seit Jahrzehnten offensiv im internationalen Kunstmarkt tätig ist, und zwar auch auf der Jagd nach religiösen Kunstschätzen.
Die Modi-Regierung habe rasch erkannt, meint Naman Ahuja, dass die sterblichen Überreste des Buddha in den Händen Beijings und dessen Tibet-Politik eine kostbare Waffe wären; dies gerade im Blick auf den nahenden Augenblick, wenn der Vierzehnte Dalai Lama nicht mehr unter den Lebenden sein wird. Es evoziert ein emblematisches Bild für unsere Zeit: das in Meditation versunkene Gesicht des Erleuchteten als politischer Zweihänder.