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Ukrainekrieg

Warum Frieden so schwer zu finden ist

30. August 2025
Rolf App
Kiew, Bombenopfer
Leute bringen Blumen und Spielzeug an den Ort in Kiew, wo am 29. August 2025 ein fünfstöckiges Wohnhaus getroffen wurde. Mindestens 23 Menschen, darunter vier Kinder, sind bei dem nächtlichen Drohnen- und Raketenangriff auf die Ukraine getötet und 50 verletzt worden. (Keystone/EPA, Sergej Dolschenko)

Während Kiew sondiert, wo Friedensverhandlungen stattfinden könnten, wird es von Russland rücksichtslos bombardiert. Wer das paradox findet, kennt die Geschichte schlecht. – Ein Blick zurück auf die vielen Versuche, Kriege zu einem Ende zu bringen.

Als Michail Gorbatschow 1985 vom Politbüro zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt wird, liegt ein aussenpolitisches Problem tonnenschwer auf den Gemütern der sowjetischen Führung. Seit mehr als fünf Jahren tobt in Afghanistan ein Krieg, dem immer mehr sowjetische Soldaten zum Opfer fallen, während die afghanischen Kommunisten sich als unfähig erweisen, ihre Macht gegen die von den USA mit Waffen versorgten Mudschaheddin aus eigener Kraft zu verteidigen. 

Gorbatschow erkennt, «dass wir aus diesem Scherbenhaufen herauskommen mussten», wie sein Vertrauter Georgi Arbatov berichtet hat. Aber er meint auch: «Wir dürfen unter keinen Umständen einfach aus Afghanistan abziehen, sonst verderben wir unsere Beziehungen zu sehr vielen ausländischen Freunden.» Denn wer soll danach noch auf die Unterstützung der Sowjetunion vertrauen? Ausserdem: «Das Ergebnis darf nicht wie eine schmähliche Niederlage aussehen, als ob wir, nachdem wir so viele junge Männer verloren hatten, einfach aufgegeben hätten.»

Afghanistan und Vietnam: zwei Niederlagen

Genauso aber kommt es dann. Unter feindlichem Beschuss müssen sich die sowjetischen Truppen im Mai 1988 zurückziehen. Gorbatschows Befürchtung, das russische Abenteuer in Afghanistan werde sich entwickeln wie jenes der Amerikaner in Vietnam, hat sich bewahrheitet. Dort hat sich zwei Jahrzehnte zuvor Vergleichbares zwischen der Supermacht USA und dem nordvietnamesischen Vietcong abgespielt. 

1964 greifen die USA unter Präsident Lyndon B. Johnson in den Konflikt zwischen dem kommunistischen Nordvietnam und Südvietnam ein. Es soll ein kurzes Engagement werden, zieht sich aber mehr und mehr in die Länge und mündet schliesslich in ein militärisches Patt. Dem Dschungelkrieg sind die militärisch hochgerüsteten US-Truppen nicht gewachsen. Und es bestätigt sich, was Sicherheitsberater Walt Rostow auf die Kurformel gebracht hat: «Wenn der Krieg gut läuft, ist das amerikanische Volk auf unserer Seite. Wenn der Krieg schlecht läuft, ist es gegen uns.» 

Damit dies nicht geschieht, intensiviert die US-Regierung unter dem Präsidenten Richard Nixon ab 1969 den Krieg, um doch noch einen Sieg zu erzwingen. «Wir müssen gewinnen. Wir dürfen dort einfach nicht verlieren», sagt Nixon im Frühjahr 1972 zu seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger. Und fügt zur Begründung an: «Weil es nämlich mit China zu tun hat. Mit Russland. Mit dem Nahen Osten. Mit Europa. Darum dreht sich die ganze Sache.» Eine Niederlage werde Domino-Effekte im Nahen Osten haben, fürchtet Nixon. Deshalb droht er: «Ich werde das gottverdammte Land zerstören. Ich meine wirklich zerstören, wenn nötig. Und ich will mal so sagen: Auch mit Atomwaffen, wenn nötig.»

Warum sich Kriege verlängern können

So kommt es parallel zu den vertraulichen Verhandlungen zwischen Kissinger und dem nordvietnamesischen Politiker Le Duc Tho auch zu massiven Bombenangriffen gegen nordvietnamesische Ziele, und obwohl 1973 ein Friedensvertrag abgeschlossen wird, dauert der Krieg noch bis 1975 an – bis die Amerikaner das Land fluchtartig verlassen. 

Der Vietnamkrieg zeige exemplarisch, «durch welche Mechanismen sich der Weg in den Frieden verlängern konnte, und erklärt, warum viele Kriegsparteien gerade in der Endphase von Konflikten darauf setzten, die Gewalt noch einmal enorm zu steigern. Solange die Beteiligten kalkulierten, dass sie selbst den Konflikt noch zu ihren eigenen Bedingungen gewinnen oder mindestens günstige Bedingungen für eine absehbare Friedensverhandlung herstellen konnten, verlängerte sich der Krieg.» So beschreibt der Historiker Jörn Leonhard das Phänomen in seinem Buch «Über Kriege und wie man sie beendet – Zehn Thesen». 

Putins Risikobereitschaft als Problem

2023 in der ersten Phase des Ukrainekriegs veröffentlicht, birgt diese Schrift einen reichen Schatz an Erkenntnissen, die mithelfen, die gegenwärtige Lage zu verstehen – auch wenn jeder Krieg seinen eigenen Weg zu einem Ende nimmt. Aber ein paar Grundeinsichten lassen sich aus der Geschichte doch gewinnen – neben der etwas deprimierenden Erkenntnis, dass der Weg zum Frieden meist länger dauert, als es sich eine ungeduldige öffentliche Meinung erträumt.

Das hat, im Fall der Ukraine, sicherlich mit dem Angreifer Putin zu tun. Bewusst hat er über eine längere Zeit darauf hingearbeitet, das zurückzugewinnen, was die frühere Sowjetunion bei ihrem Auseinanderbrechen an Terrain verloren hat. Seine «bewusste Entscheidung, mit der Mobilisierung den Krieg und seine Opfer mitten in die russische Gesellschaft hineinzutragen», spreche «für eine erhebliche Risikobereitschaft – nach innen und aussen», schreibt Jörn Leonhard. 

Über die Mittel zum Krieg verfügt Putin nach wie vor. Und: Nach mehr als drei Jahren Krieg ist die russische Gesellschaft auf Putins Kriegsziele eingeschworen. Was allerdings auch für die Ukraine gilt. Sie schafft es zwar nicht, verlorene Gebiete in nennenswertem Umfang zurückzugewinnen, kann sich aber mit tatkräftiger Unterstützung des Westens gut behaupten. Mehr noch: Eine sehr leistungsfähige Rüstungsindustrie ist in der Zwischenzeit in der Ukraine herangewachsen.

Das Resultat ist, wenig überraschend, ein Patt. Auflösen könnte es der US-Präsident, wenn er denn wollte. Er will aber nicht. Stattdessen sucht er den raschen Erfolg, der aber hier nicht zu gewinnen ist. Nicht unbegründet ist deshalb Leonhards Warnung vor einem «faulen Frieden». Er zitiert einen Brief des französischen Schriftstellers Roger Martin du Gard vom September 1936: «Alles, nur nicht Krieg! Alles … sogar Faschismus in Spanien … sogar Faschismus in Frankreich. Nichts, kein Leid, keine Knechtschaft ist mit dem Krieg zu begleichen. Alles, lieber Hitler als den Krieg.» 

Nur hat der «liebe Hitler», dem England und Frankreich 1938 im Münchner Abkommen Teile der Tschechoslowakei auf dem Silbertablett servieren, danach keineswegs genug. Er will den Krieg, auch wenn der britische Premierminister Neville Chamberlain verkündet, dieses Abkommen bedeute «Frieden für unsere Zeit». 

Hängt es am Ende an den Ressourcen?

Jeder Krieg sucht sich sein eigenes Ende. Manchmal werfen mächtige Vermittler ihr Gewicht in die Waagschale – wie die Amerikaner in den Jugoslawienkriegen, als sie 1995 in einer Doppelrolle als militärischer Akteur und Vermittler die bosnischen Serben gefügig machten. Manchmal erodiert die Heimatfront und erzwingt ein Nachgeben, was aber häufiger in Demokratien geschieht (siehe Vietnam) als in Diktaturen oder Autokratien, deren Herrscher einen Sturz befürchten müssen. Putin weiss das, er wird im Kreml davon alpträumen.

Die Frage stellt sich: Wird es am Ende an den Ressourcen hängen, wenn Russland sich auf ernsthafte Friedensverhandlungen einlässt? Man könnte an Napoleon denken, dessen Scheitern in Russland 1812 ganz wesentlich mit den immer längeren Nachschubwegen zu erklären ist. Oder an das abrupte Kippen der Kräfteverhältnisse im Ersten Weltkrieg, als es den Amerikanern 1918 gelingt, in kurzer Zeit grosse Mengen an Soldaten und Material an die Front zu bringen. 

Falsche Hoffnungen aber sollte man sich mit Blick auf die Ukraine nicht machen. Die Sanktionen wirken zwar, allerdings nur langsam. An der Front mangelt es auf russischer Seite an vielerlei, nicht aber an Soldaten, die man verheizen kann. Und so merkt Jörn Leonhard denn auch an: «Die Hoffnung, den Gegner durch die Verknappung von Ressourcen zeitnah zu Konzessionen und Friedenssondierungen zu bewegen, wurde häufig enttäuscht.»

Jörn Leonhard: Über Kriege und wie man sie beendet – Zehn Thesen. Verlag C. H.Beck, München 2023, 208 Seiten

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