Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
Die ersten Atombomben

War Hiroshima nötig?

6. August 2025
Rolf App
Hiroshima
Hiroshima, 6. August 1945 (Keystone/AP/US-Army)

In seinem Buch «Hiroshima – Wie die Atombombe möglich wurde» geht der Militärhistoriker Richard Overy der Frage nach, warum vor genau achtzig Jahren die ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Er zieht dazu nicht nur die amerikanischen, sondern auch die japanischen Archive zu Rate – und fragt nach der Rolle der Russen.

In Tinian auf den Marianeninseln sind sie in den frühen Morgenstunden des 6. August 1945 gestartet, nachdem ein Militärpfarrer die Crew gesegnet und Gott für sie um Kraft gebeten hat mit dem Wunsch an die Adresse des Allerhöchsten: «Mögen sie, gewappnet mit Deiner Macht, diesen Krieg zu einem schnellen Ende bringen.» Es ist ein B-29-Bomber der Amerikaner, eine sogenannte Fliegende Festung, mit zwei Begleitflugzeugen. Gegen acht Uhr sollen sie das Zielgebiet erreichen, die Stadt Hiroshima auf der japanischen Insel Honshū. Im Bombenschacht des (nach der Mutter des Piloten Paul Tibbets) Enola Gay getauften Bombers hängt Little Boy, die erste Atombombe, die gegen Menschen eingesetzt werden soll. In einem Rohr befindet sich eine hochexplosive Ladung des Sprengstoffs Kordit, welche bei der Zündung der Bombe eine sogenannte unterkritische Masse von Uran-235 auf eine weitere unterkritische Masse von U-235 schiesst. Sobald die getrennten Teile von Uran-235 aufeinandertreffen, wird durch eine Kettenreaktion eine unvorstellbare Energiemenge freigesetzt.

Es funktioniert wie geplant. In einem Umkreis von anderthalb Kilometern löscht die Bombe alles Leben aus, im Umkreis von fünf Kilometern verbrennen alle Menschen. Die nachfolgende Explosionswelle reisst allen, die die anfängliche Strahlung überlebt haben, die Haut vom Leib und beschädigt die inneren Organe. Nakamuro Setsuko, die als dreizehnjährige Schülerin von einem Soldaten aus einem eingestürzten Schulgebäude gerettet wird, schliesst sich einem Zug von «Geistergestalten» an, die in die Berge fliehen: «Sie sahen nicht wie Menschen aus. Ihre Haare standen zu Berge; ihre Kleidung war zerrissen, oder sie waren nackt. Alle bluteten, hatten Brandwunden und schwarze Flecken und waren aufgeschwollen. Ihnen fehlten Körperteile; Fleisch und Haut hingen von den Knochen herab.» Weil viele Tausende erst Monate danach an den erlittenen Strahlenschäden sterben, bleibt die Zahl der Toten lange umstritten. 1976 meldet Hiroshima 140’000 Tote als offizielle Zahl.

War Hiroshima nötig? Das fragt der Militärhistoriker Richard Overy in einem gerade erschienen Buch, das achtzig Jahre nach dem Abwurf der ersten Atombombe hinter die Kulissen schaut. Und er korrigiert diese Frage sogleich, indem er sie präzisiert: Warum hat man den Abwurf einer derartigen Bombe damals für notwendig gehalten? Was hat die Verantwortlichen, an der Spitze Präsident Franklin Delano Roosevelt und, nach seinem Tod am 12. April 1945, sein Nachfolger Harry S. Truman, dazu gebracht, diese schrecklichste aller Waffen entwickeln zu lassen und sie dann auch einzusetzen gegen ein Land, das schon beinahe am Boden liegt?

Heisenberg und die Atombombe

In den Jahren vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs haben neue Erkenntnisse der Atomphysik auch die Frage aufgeworfen, ob es wohl möglich wäre, diese Erkenntnisse für die Waffentechnik zu nutzen. In Deutschland ist es Werner Heisenberg, der zum führenden Kopf dieser Bestrebungen wird. «Wir sahen eigentlich vom September 1941 an eine freie Strasse zur Atombombe vor uns», sagt er 1965 in einem Interview. Dass praktische Hindernisse zusammen mit dem Desinteresse Hitlers die Bombenentwicklung schon bald zum Erliegen kommen lässt, das wissen Amerikaner und Briten nicht. 

Als Roosevelt erfährt, welche Möglichkeiten die moderne Atomphysik birgt, wird er sofort aktiv. Eine neue Abteilung mit dem Codenamen S-1 wird eingerichtet. Mit Oberst Leslie Groves als administrativem und J. Robert Oppenheimer als wissenschaftlichem Kopf kommt durch Zufall – beide sind sie nicht erste Wahl – jenes Tandem zusammen, das in aller Stille ein einzigartiges Projekt aus dem Boden stampft. Von dem auch Vizepräsident Truman erst erfährt, als er die Präsidentschaft antritt.

Mit dem Überraschungsangriff auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbour auf Hawaii hat Japan am 7. Dezember 1941 den Zweiten Weltkrieg im Pazifik entfesselt. Lange befindet sich das hochgerüstete Japan auf der Siegerstrasse, mit brutaler Gewalt beherrschen die kaiserlichen Truppen den pazifischen Raum. Japan selbst scheint für die amerikanischen und britischen Truppen nahezu unerreichbar zu sein. Das ändert sich erst, als Flugzeuge mit grösserer Reichweite entwickelt und in grosser Zahl gebaut werden.

Rücksichtslos gegen die Städte

Mindestens ein Bombenkrieg wird jetzt möglich, mit der Regie betraut wird General Curtis LeMay, der zwischen März und August 1945 eine absolut rücksichtslose Brandbombenkampagne gegen japanische Städte entfesselt. Als die Briten die deutschen Städte ins Visier nahmen, haben die Amerikaner diesen Angriff auf Zivilisten als barbarisch abgelehnt. Jetzt, unter dem Druck einer zunehmend unzufriedenen Öffentlichkeit, nehmen sie eine deutliche Kurskorrektur vor. «Die Städte des Feindes wurden pulverisiert und zu einer Kruste verbrannt. Sie haben es so gewollt, also bekamen sie es auch», rechtfertigt sich LeMay.

Allerdings: Einschüchtern lassen sich die Japaner nicht. Im Gegenteil, ihr Heer bereitet sich auf einen brutalen Endkampf vor für den Fall, dass die Alliierten eine Invasion wagen. Auch die Alliierten stellen ihre Rechnungen an und befürchten 500’000 eigene Tote bei einer Invasion der Hauptinseln. Was sie nicht wissen: In Japans führenden Kreisen tobt ein heftiger Machtkampf. Kriegs- und Friedenspartei blockieren einander, während die Atombombe ihrer Fertigstellung entgegen geht. Kaiser Hirohito, obwohl auch oberster Feldherr, ist zur Kapitulation entschlossen, kann sich aber lange nicht durchsetzen. Erst am 10. August informiert das japanische Aussenministerium via die Schweiz den US-Aussenminister Byrnes, man akzeptiere eine Kapitulation, sofern es möglich sei, «die Vorrechte seiner Majestät als souveräner Herrscher» zu bewahren.

Diese Bedingung sorgt in Washington für rote Köpfe, bis Byrnes resolut erklärt: «O nein, das akzeptieren wir jetzt. Wir müssen das so, wie es dasteht, akzeptieren, weil die Army und Navy das Kämpfen satthaben.» Zumal sich auch die strategische Lage verändert hat. Am 8. August hat auch die Sowjetunion Japan den Krieg erklärt, Stalin greift jetzt nach der Mandschurei im heutigen China, nach Korea und den zu Japan gehörenden, heute russisch verwalteten Kurilen. Jetzt gilt es, den Eroberungsdrang der Russen zu stoppen, was im japanischen und amerikanischen Interesse liegt.

Truman und die wilden Tiere

Bereits am 9. August ist auf Nagasaki eine zweite Atombombe niedergegangen, 73’884 Tote und weitere 74’909 Verletzte sind die Folge. Tags darauf sagt Präsident Truman in einer Kabinettssitzung, «der Gedanke an die Auslöschung von weiteren 100’000 Menschen sei zu schrecklich». Trotzdem schreibt er am 11. August an den Geistlichen Samuel Cavert einen berühmt gewordenen Satz: «Wenn du es mit einem wilden Tier zu tun hast, musst du es auch wie ein wildes Tier behandeln.» 

In Tokio macht sich derweil Kaiser Hirohito bereit, seinen Landsleuten das Kriegsende zu verkünden und sie zum ersten Mal übers Radio seine Stimme hören zu lassen. Die Begriffe «Niederlage» und «Kapitulation» kommen in dieser Ansprache nicht vor. In letzter Minute stürmen Putschisten den Kaiserpalast und suchen nach der Aufnahme, sie kommen aber zu spät. Kaisertreue Truppe setzen diesem Spuk ebenso ein Ende wie einem zweiten Putschversuch fünf Tage später.

Richard Overy: Hiroshima – Wie die Atombombe möglich wurde. Rowohlt Berlin 2025, 239 Seiten

Letzte Artikel

Der Papst und der Patriarch von Istanbul in Nizäa – Nur der Kaiser fehlte

Erwin Koller 4. Dezember 2025

EU berechenbarer als USA

Martin Gollmer 4. Dezember 2025

Dröhnendes Schweigen um Venezuela

Erich Gysling 1. Dezember 2025

Spiegel der Gesellschaft im Wandel

Werner Seitz 1. Dezember 2025

Bücher zu Weihnachten

1. Dezember 2025

Nichts Dringlicheres als die Rente?

Stephan Wehowsky 1. Dezember 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.