US-Präsident Trump will nun doch wieder die Lieferung von Luftabwehr-Systemen freigeben. Europäische Länder sind bereit, dafür die Kosten zu übernehmen. In der Schweiz hingegen wird eine mögliche Bewilligung zur indirekten Weitergabe von Bestandteilen für die Luftabwehr an die Ukraine seit mehr als drei Jahren verschleppt.
Es ist eine gute Nachricht für die Ukraine, deren Städte und Dörfer jede Nacht von tödlichen und zerstörerischen russischen Luftangriffen heimgesucht werden, dass Präsident Trump den eine Woche zuvor verkündeten Lieferstopp für Patriot-Luftabwehrsystem und anderen Verteidigungswaffen jetzt wieder aufgehoben hat. Restlos vertrauen kann man zwar dieser Trumpschen Sinnesänderung auch wieder nicht. Denn der sprunghafte Herr im Weissen Haus hat in den vergangenen Monaten seine Haltung zum Ukraine-Krieg und zum Aggressor Putin schon häufig genug gewechselt oder in neue Richtungen umgebogen.
Trump macht die Ukraine-Hilfe zum Geschäft
Dennoch dürfte nun die Pipeline für die Lieferung dringend benötigter Luftabwehr-Batterien an die Ukraine umgehend wieder geöffnet sein, zumal die europäischen Nato-Partner Trumps Bedingung, für die Kosten dieses Nachschubs die Bezahlung zu übernehmen, weitgehend zustimmend reagiert haben. Der Präsident kann mit dieser Art von Deal seinen MAGA-Anhängern in den USA vorrechnen, dass seine Ukraine-Hilfe – anders als unter seinem Vorgänger Biden – erstens die Steuerzahler nicht belaste und zweitens ein lukratives Geschäft für die einheimische Waffenindustrie bedeute. Mit ähnlich geschäftstüchtiger Kaltblütigkeit hatte er zuvor ja schon der Regierung Selenskyj einen Vertrag zur Ausbeutung von Rohstoffen in der Ukraine abgerungen.
Ob Trump endlich auch Putins unbedingten Willen, den Angriffskrieg gegen die benachbarte Ukraine bis zu deren De-facto-Kapitulation fortzusetzen, in seiner ganzen Skrupellosigkeit durchschaut hat, steht wieder auf einem ganz anderen Blatt. Und ebenso ungewiss bleibt, ob er tatsächlich bereit sein wird, Russland und seine Verbündeten wie angedroht mit neuen Sanktionen und schweren Strafzöllen zu bestrafen, falls innerhalb von fünfzig Tagen kein Waffenstillstand oder eine Friedensvereinbarung zustande kommen sollte. Das wird man erst Ende August näher beurteilen können.
Vorerst besteht für die Ukraine und ihre Sympathisanten einiger Grund zur Erleichterung, dass das Abwehrpotenzial dieses Landes gegen die russischen Luftangriffe zügig erweitert und verbessert werden soll. Das betrifft in erster Linie die Lieferung von modernen Patriot-Abwehrsystemen, die bisher allein in den USA hergestellt werden. Beabsichtigt ist, dass bereits in europäischen Nato-Ländern stationierte Systeme dieses Typs so rasch wie möglich in die Ukraine transportiert werden sollen und die in diesen Ländern entstehenden Lücken schrittweise durch neue Ankäufe in den USA aufgefüllt werden. Vorgesehen ist aber auch die beschleunigte Lieferung anderer Abwehrwaffen sowohl aus europäischen wie amerikanischen Beständen.
Die Schweiz im neutralitätspolitischen Abseits
Bei diesen Anstrengungen zur Verteidigung eines absolut völkerrechtswidrig überfallenen Landes in Europa steht die Schweiz weiterhin wenig rühmlich im Abseits. Seit Beginn dieses Angriffskrieges im Februar 2022 wird hierzulande ergebnislos darüber diskutiert, ob einheimisches Kriegsmaterial wie Nachschubmunition für den mit Flugabwehrkanonen ausgerüsteten Gepard-Panzer von europäischen Käuferländern an die Ukraine weitergeliefert werden könnten. Seit Jahr und Tag liegt dem Parlament ein Vorschlag vor, der eine Lockerung der bestehenden Restriktionen für eine Anzahl von 25 Ländern vorsieht.
Der Ständerat hat diesen Vorschlag inzwischen angenommen, doch die Gesetzesänderung kann erst in Kraft treten, wenn auch der Nationalrat zustimmt, was keineswegs sicher ist. Und selbst wenn das Parlament die Lockerung endlich akzeptieren sollte, muss damit gerechnet werden, dass Neutralitätsfetischisten im rechten und pazifistische Träumer im linken Parteienspektrum dagegen eine Volksinitiative lancieren werden und das Geschäft damit noch jahrelang auf der langen Bank liegen bleibt. So lange wird auch die Schweiz nicht in der Lage sein, konkrete Gesuche wie diejenigen der deutschen oder dänischen Regierung zur Weitergabe von in der Schweiz produzierter Munition an die Ukraine positiv zu beantworten. Wie man in diesen und anderen befreundeten Ländern diese Art von Solidarität mit einem angegriffenen europäischen Land beurteilt, kann man sich vorstellen.
Berufung auf die Uno-Charta als möglicher Ausweg
Dabei gäbe es eine sehr einfache Regelung, um diese komplizierten und moralisch fragwürdigen Hürden für praktische Hilfeleistungen an völkerrechtswidrig attackierte Staaten beiseitezuschieben. Die Schweizer Regierung müsste die Möglichkeit haben, sich bei ihren diesbezüglichen Entscheidungen auf die Uno-Charta zu berufen, die auch die Schweiz 2021 als Uno-Vollmitglied unterschrieben hat. In dieser Charta wird in einem Kriegsfall klar zwischen Aggressor und dessen Opfer unterschieden. Das Opfer hat gemäss Punkt 51 der Uno-Charta das Recht zur militärischen Verteidigung und es kann dabei ausdrücklich auch von anderen Mitgliedsländern unterstützt werden. Wer im Ukraine-Krieg der Angreifer und wer dessen Opfer ist, darüber verbreiten nur die Putin-Propagandisten und deren anbiedernde Nachbeter notorische Lügen oder scheinheilige Zweifel.
Die Berufung auf die Uno-Charta als Handlungsgrundlage für die Praktizierung einer gradlinigen und glaubwürdigen Neutralitätspolitik mag zwar noch in weiter Ferne liegen, obwohl ernsthafte Stimmen innerhalb und ausserhalb des Parlaments schon seit langem dafür plädieren – und sogar der Bundesrat sich beim Nachvollzug der EU-Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland darauf berufen hat. Das Argument, dass verweigerte Hilfe für ein angegriffenes Land in der logischen Konsequenz nicht Neutralität bedeutet, sondern im Gegenteil dem Aggressor in die Hände arbeitet, lässt sich kaum stichhaltig widerlegen.
Verschobene Patriot-Lieferungen für die Schweiz?
Aber es gäbe im Grunde noch andere Möglichkeiten, um die Ukraine in ihrem Existenzkampf zur Abwehr der mörderischen russischen Raketen und Drohnenangriffe wirkungsvoll zu unterstützen. Wie wäre es, wenn die Schweizer Regierung ihre allgemeine Finanzhilfe an Kiew grosszügig aufstocken würde, damit die Ukraine zusätzliche Abwehrsysteme erwerben könnte? Denkbar wäre schliesslich, dass Gelder zu diesem Zweck auch durch private Initiativen in Europa gesammelt würden. Wie der «Spiegel» dieser Tage berichtete, setzt sich der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius energisch dafür ein, bei befreundeten Ländern Finanzkanäle zur Weitergabe von Luftabwehr-Kapazitäten für die Ukraine zu aktivieren und zu koordinieren. Ob er sich mit diesem Anliegen auch schon an die Schweiz gewandt hat, ist unbekannt.
Unklar bleibt auch, ob die Übergabe der von der Schweiz bestellten Patriot-Systeme, die ab 2026 beginnen sollte, nun zeitlich tatsächlich zurückgestellt wird, damit zunächst die Ukraine vorrangig mit diesen Abwehrbatterien beliefert werden kann. Entsprechende Verhandlungen mit den amerikanischen Produzenten sind im vergangenen Jahr geführt worden. Für die Schweiz würde jedenfalls kein plausibler Grund bestehen, sich einer solchen Verschiebung entgegenzustellen. Schliesslich ist es die Ukraine, die pausenlos von russischen Raketen, Drohnen und Flugzeugen attackiert wird und nicht die weit davon entfernte wohlhabende Schweiz. Und wer die Ukraine bei der Abwehr dieser infamen Aggression unterstützt, trägt in einem weiteren Sinne auch zur eigenen Sicherheit bei. Oder glaubt jemand im ernst, Europa werde friedlicher, wenn Putin - wie einst in sowjetischen Zeiten - in Kiew eine Kreml-Marionette installiert hat?