An Diskussionen über die KI mangelt es mitnichten. Wohl aber oft an der philosophischen Substanz der Diskussionen. Der Literaturwissenschaftler Roberto Simanowski hat ein Buch mit dem Titel «Sprachmaschinen» veröffentlicht, das den Untertitel «Eine Philosophie der künstlichen Intelligenz» trägt.[1]
Ein begrüssenswertes Unterfangen, lautet doch die Pointe von Simanowskis Buch gerade, dass die Sprachmaschinen uns das Philosophieren austreiben. Sie unterwandern zunehmend und oft unbemerkt unsere geistigen Aktivitäten, was zu einem «alltäglichen Souveränitätstransfer» führt – allerdings zu einem einseitigen: vom Menschen zur Maschine. Eine schleichende Entmündigung, die sich in vielen Bereichen bereits bemerkbar macht.
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Zunächst einmal in der Frage nach der Autorschaft: Wer oder was spricht eigentlich in der Sprachmaschine? Die Frage erinnert an die berühmte These des Literaturwissenschaftlers Roland Barthes vom «Tod des Autors» vor fast sechzig Jahren. Er beschrieb den Autor als ausführendes Modul des Apparates namens Sprache. Dieses Modul gaukle eine Autor-Identität vor, dabei führe doch eigentlich die Sprache Regie. Und genau das kann man von der heutigen Sprachmaschine sagen. Sie ist ein «summarisches Sprachrohr der Menschen, deren Texte sie gelesen hat und deren Bilder sie gesehen hat». «Die kommende Kommunikation wird vor allem eine Kommunikation mit der Sprachmaschine sein. Die meisten Texte über das Leben werden künftig von jemandem geschrieben werden, der weder am Leben ist, noch wirklich etwas über das Leben aussagen will.»
Das ist bereits heute ein Problem. Man spricht vom «KI-Slop» – dem «KI-Schlamm» – : dem von Text- und Bildgeneratoren produzierten, meist minderwertigen Müll. Er kontaminiert rasant das Netz. Es füllt sich jedenfalls zunehmend mit Content, der von KI-Systemen generiert wird. Die Computerwissenschaftler sprechen vom «Fluch der Rekursion», eingängiger bekannt als KI-Inzest. Haben die Sprachmaschinen einmal das Netz besetzt, wird tendenziell alles Menschengemachte herausgewaschen.
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Die Sprachmaschine übersetzt sprachliche Elemente in messbare Grössen. Sie mathematisiert die Sprache. Sie operiert nicht mit Wörtern, sondern mit Tokens – statistisch auswertbaren Stellvertretern von Wörtern. Das ist ja das wirklich Überraschende an Sprachmaschinen: mit mathematischen Prozeduren simulieren sie linguistisches Verhalten, das sich vom menschlichen kaum unterscheiden lässt. Ihre Eigenheiten färben allerdings auch auf das Sprachverhalten des Menschen ab. Es riskiert, sozusagen «eingemittet» zu werden. «Die KI orientiert die Sprache am Gewöhnlichen, statistisch Normalen und schwächt damit perspektivisch die Toleranz gegenüber allem, was sprachlich und gedanklich von der Norm abweicht. Sie ist eine ‘Technologie des Durchschnitts’, die zur Verarmung unserer kulturellen und intellektuellen Landschaften führt, weil sie das verstärkt, was bereits etabliert und populär ist.» Und der Mensch «hat sich inzwischen so stark an den Standard gewöhnt, dass er Abweichungen als Anstrengung empfindet und Originalität ebenso sanktioniert wie die KI. So wird Durchschnitt Spitze».
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Das Zitat verrät eine stilistische Eigenart Simanowskis, die Tendenz zur Zuspitzung und Dramatisierung. Simanowski gelingt es damit oft, Sachverhalte zu verdichten, riskiert aber auch, sie verzerrt darzustellen. So ist es ja trivial, dass Sprachmaschinen alles auf das Berechenbare reduzieren. Was denn sonst, Sprachmaschinen sind nichts anderes als Rechenmaschinen. Und es stimmt auch, dass mit der Digitalisierung der Einfluss der Statistik wächst.
Simanowski sieht darin eine Entwicklung, in der sich das Schreiben und Denken in Zahlenverhältnisse auflöst. Alles werde «auf die Zahl als dem neuen metaphysischen Prinzip einer universellen Gültigkeit» ausgerichtet. Das «Menschliche wird auf das Berechenbare verkürzt». Das ist nun allerdings eine steile Pauschalthese, die Max Webers Bürokratiekritik echot. Gewiss, es gibt den Datenpositivismus. Und es gibt unter KI-Forschern Maulhelden, die alle Probleme auf solche der Rechenpower herunterzubrechen suchen – Sam Altman ist einer von ihnen. Aber statt diese Tendenz zu einem metaphysischen Prinzip hochzustilisieren, wäre eine Analyse der inneren Grenzen des «Vermessungsparadigmas» hilfreich – das für Simanowski eine Art von technologischem Gottseibeiuns zu sein scheint. Bei aller Lust zur Pointe, von einer Philosophie der KI erwartete man gerade heute einen differenzierteren Blick.
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Eine besondere Dialektik entdeckt Simanowski im Auslagern kognitiver Fähigkeiten (cognitive offloading). Die Sprachmaschine emanzipiert sich von der blossen Assistenz. Sie korrigiert, rezensiert, analysiert, fasst zusammen, berät, schlägt vor, tröstet – kurz, sie entwickelt sich von der Magd zur Herrin, wie sich Simanowski in gut hegelianischer Herr-Knecht-Problematik auszudrücken beliebt. Unsere vermeintliche Verfügungsmacht über die KI verkehrt sich in unsere Abhängigkeit von ihr. Der Weg der Entmündigung erscheint so vorgezeichnet: «Erste Studien bezeugen, was zu erwarten war: Der Mensch wird dümmer durch KI. Je mehr er sie als Hilfsmittel nutzt, umso geringer seine kognitive Aktivität (nachweisbar als geringere Gehirnkonnektivität) und schliesslich die Fähigkeit zum kritischen Denken. Fachleute sprechen von einer ‘Akkumulation kognitiver Schulden’ – das Gehirn bleibt immer mehr hinter dem zurück, was es ohne Sprachmaschine leisten würde.» Na ja, dem wäre noch genauer nachzugehen.
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Sprachmaschinen trainiert man nicht nur zu einem Sprachverhalten, man erzieht sie zu richtigem Verhalten. Man lehrt sie Werte. Wenn die Maschine bestimmte Werte beachten soll, dann stellt sich natürlich die Frage: Welche Werte? Und daran schliesst sich sogleich die weitere Frage: Können sich Menschen überhaupt auf einen Satz gemeinsamer Werte einigen?
Wir bekommen es mit dem dornigen Problem der Universalisierung zu tun, einer «ethischen Weltformel», wie sie Simanowski nennt. Gibt es eine Sprachmaschine, die auf einem «kosmopolitischen» Wertekonsens basiert? Werte sind immer kulturbedingt. Man muss also, um diesen Konsens zu bestimmen, zunächst empirisch die Vielfalt der Werte aus riesigen Datenmengen eruieren.
Aber die Designer der Sprachmaschine wollen diese abrichten zu korrektem Gebrauch, sie wollen sie ethisch «feintunen». «Die aus den Daten erlernten Perspektiven, die so voller Vorurtieile sind wie die Gesellschaft selbst, werden in diesem Prozess durch moralisch erwünschte Perspektiven überschrieben.» Das bedeutet, dass sie unweigerlich von einen Wertekanon imprägniert ist. Chat-GPT von OpenAI, Gemini von Google, Claude von Anthrpoics sind «woke Sprachmaschinen». Sie erlauben keine toxische Sprache, keinen Hass, keine Hetze. Grok, die Sprachmaschine von Elon Musks X, ist eher rechtsaffin. Das chinesische Deepseek transportiert die Weltsicht der kommunistischen Regierungspartei. Für Simanowski stellt deshalb die Sprachmaschine die Menschheit vor ein «fundamentales Dilemma»: «Zum einen kann man das Werteproblem der KI nicht nicht angehen: Auch ohne jegliches ideologische Feintuning wäre die Sprachmaschine ja keineswegs neutral – sie würde jene Ansichten Stereotype und Diskriminierungen vermitteln und bestätigen, die in ihren Trainingsdaten dominieren. Zum anderen ist keine faire Einigung auf ein kulturübergreifendes, universell gültiges Wertesystem der Sprachmaschine in Sicht.» Eher stimmt man sie immer mehr auf die Bedürfnisse des Nutzers ab, und dadurch trägt sie bei zur Zersplitterung eines Wertekonsenses.
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Die KI ist zweifellos eine zivilisationsverändernde Kraft. Niemand weiss heute, wohin uns die Sprachmaschinen und der ganze Prozess des «Souveränitätstransfers» führen werden. Eines lässt sich schon jetzt sagen: Wir delegieren unsere kognitiven Fähigkeiten ziemlich unbesonnen an KI-Systeme, und das heisst auch: unser Entscheidungsvermögen – letztlich unsere Freiheit. Ist dieser Prozess unausweichlich? Simanowski stellt die Frage ausdrücklich: Ist der Mensch «Subjekt seiner Geschichte oder nur der Erfüllungsgehilfe in einem höheren Plan?»
Alan Turing äusserte einmal in einem Brief den Satz: «Es ist durchaus möglich, dass unser Wille keine eigene Bedeutung hat und wir lediglich Werkzeuge eines höheren Willens sind.» Simanowski nimmt den Satz zum Anlass für einen «Ausflug in die höchsten Höhen der philosophischen Spekulation». Im «höheren Willen» erkennt er den absoluten Weltgeist. Und er beginnt zu «hegeln», dass einem die Ohren wackeln: «Den absoluten Geist interessiert, was die Menschen von seiner Schöpfung halten, wie sie diese betrachten (…) Als Nachbildung des menschlichen Denkorgans ist die KI zugleich die letzte Objektivation, die der absolute Geist noch brauchte, um sich zu verstehen. Vielleicht war genau das der geheime, nie klar artikulierte Auftrag des Menschen, nach dem er sich einmal in die Welt aufgemacht hatte, um ihr mit immer mehr Technik immer mehr abzuringen. Vielleicht war es seine historische Mission, die künstliche Intelligenz zu schaffen.»
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Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ob Simanowski seinen Ausflug in die weltgeistigen Sphären ernst meint, bleibt unklar. In den «höchsten Höhen» fehlt meist der Sauerstoff zum klaren Denken. Erfreulich ist immerhin, dass Simanowski zum Schluss wieder heruntersteigt in die Niederungen des Umgangs mit den smarten Geräten. Und «philosophische Medienkompetenz» einfordert. Diese Kompetenz heisst ganz klassisch kantianisch: selber denken. Reflexionskompetenz der Medien nennt sie Simanowski, neben der Nutzungskompetenz. Und er fordert eine lebhafte Diskussion, die «im Umgang mit der KI deutlich macht, dass der Mensch sich das nicht nehmen lassen darf: nicht die Mühe des Denkens und nicht den Spass daran, ob mit oder ohne KI».
Die Einsicht wirft einen nicht gerade um. Lehrpersonen teilt Simanowski jedenfalls kaum Neues mit, wenn er schreibt: «Die Lehrerin, die ich meine, ermuntert zu einem respektlosen, kritischen, experimentellen Umgang mit der Sprachmaschine. Sie befragt ihre Voraussetzungen und die Struktur ihrer Logik, diskutiert ihre Vorannahmen, Ausreden und Schmeicheleien, vergleicht die Outputs verschiedener Modelle.» Die Forderung erscheint etwas dünn, aber was will und kann eine Philosophie der KI anderes angesichts eines Mediums, das aktuell mit einer Rasanz und Unvorhersehbarkeit aller Reflexion vorauseilt, zumal der bildungspolitischen. In die zwischenmenschlichen Beziehungen schiebt sich immer mehr die Sprachmaschine. Zwar haben sich unsere Optionen in Unterhaltung, Kunst und Konsumgütern enorm erweitert – aber es sind Optionen in der zunehmend geschlossenen «Matrix» der algorithmisch erzeugten und regulierten Produkte.
Man hätte als Ausblick eine Reflexion darüber gewünscht, ob und wie es denn auch ohne Sprachmaschine weitergehe – ein bisschen mehr subversiven Groove. Oder sind wir in dieser Hinsicht optionslos? Haben wir das Fragen verlernt? Simanowski plädiert am Ende seiner Ausführungen für die Pflege des Gedankens ausserhalb der KI-Matrix, und er sieht das wahre Biotop dieses Auftrags in den Geisteswissenschaften. Dem kann man vorbehaltlos zustimmen.
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In den KI-Kreisen kennt man das «Gesetz» von Roy Amara: Wir überschätzen kurzfristig die Wirkung einer Technologie, und wir unterschätzen sie langfristig. Wir kennen die langfristigen Folgen einer breiten KI-Akzeptanz nicht. Umso dringender ist eine kritische aktuelle Einschätzung. Simanowski liefert sie, sieht man von gelegentlichen Zuspitzungen oder Ausflügen in spekulative Höhen ab. Sein Blick gilt primär dem, was heute mit uns passiert und nicht, was in Zukunft mit uns passieren wird. Er dämpft Erwartungen. Dadurch unterscheidet er sich wohltuend unterhaltsam und sachkundig von den überkandidelten Weltrettungs- und Weltvernichtungsprognosen der KI-Propheten. Er sagt uns: Da stehen wir. Er klärt uns auf, im besten Sinn des Wortes.
[1] Roberto Simanowski: Sprachmaschinen. Eine Philosophie der künstlichen Intelligenz; Verlag C. H. Beck, München, 2025.