Noch regt sich im US-Kongress nur schwacher Widerstand gegen die Israel-Politik des Weissen Hauses. Doch vereinzelt werden selbst auf republikanischer Seite und im MAGA-Lager kritische Stimmen laut. Trotzdem stehen Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus noch immer fraglos hinter Israel – anders als inzwischen die amerikanische Bevölkerung.
Als am 21. Mai 2025 der 30-jährige Elias Rodriguez in der Nähe des Jüdischen Museums in Washington DC zwei junge Angestellte der israelischen Botschaft kaltblütig erschoss und bei der Festnahme «Free, free Palestine!» rief, war das allgemeine Entsetzen gross. Zu Recht. Die beiden Opfer, die amerikanische Jüdin Sarah Milgrim und der deutschstämmige Jude Yaron Lischinsky, waren ein Paar. Sie planten, sich in einer Woche in Jerusalem zu verloben. Der Täter ist inzwischen des zweifachen Mordes und weiterer Delikte angeklagt worden; mutmasslich droht ihm die Todesstrafe.
Präsident Donald Trump verurteilte auf der Plattform «Truth Social» die Tat umgehend aufs Schärfste: «Diese schrecklichen DC-Morde, zweifellos auf Antisemitismus gründend, müssen aufhören, JETZT!» Der israelische Uno-Botschafter Danny Danon nannte die Tat «antisemitischen Terrorismus». Israels Präsident Isaac Herzog schrieb, Israel und die USA würden «bei der Verteidigung unserer Völker und unserer gemeinsamen Werte» zusammenstehen. Auch international wurden die Morde verurteilt, von der EU, von Deutschland, von Grossbritannien.
«Ein terroristischer Akt»
Als am 11. Juli 2025 jüdische Siedler im Westjordanland den 20-jährigen Amerikaner Saif Musallat laut einem Verwandten mit Keulen und Schlägen zu Tode prügelten, hielt sich die offizielle Reaktion in den USA in Grenzen. Zu Unrecht. Zum Vorfall befragt, verwies Donald Trump auf Aussenminister Marco Rubio, dessen State Department den Tod eines Amerikaners zwar bestätigte, aus Gründen der Wahrung der Privatsphäre der betroffenen Familie aber nicht näher kommentierte. «Wir beschützen alle amerikanischen Bürgerinnen und Bürger überall in der Welt», liess Rubio verlauten: «Wir sammeln noch mehr Informationen.»
Doch Mike Huckabee, Amerikas Botschafter in Jerusalem, nannte die Tötung «einen kriminellen und terroristischen Akt» und forderte die israelischen Behörden auf, die Tat «aggressiv zu untersuchen». Währenddessen bezeichnete ein Sprecher der israelischen Botschaft in Washington DC den Vorfall im Westjordanland als «eine Tragödie», fügte aber bei, erste Ergebnisse einer Untersuchung würden die Behauptung nicht stützen, wonach Saif Musallats Tod die direkte Folge einer physischen Verletzung aufgrund stumpfer Gewalteinwirkung sei.
Der Familie des Opfers zufolge liess die israelische Armee (IDF) drei Stunden lang keine Krankenwagen zum Schwerverletzten durch, der noch bei Bewusstsein war, in den Armen seines jüngeren Bruders nach Atem rang und sich übergab. Auch der 23-jährige Palästinenser Razek Hussein al-Shalabi wurde beim selben Angriff von Siedlern angeschossen und verblutete.
Als die Krankenwagen die beiden Opfer schliesslich erreichten, wurden auch sie attackiert. Der IDF zufolge brach die Auseinandersetzung zwischen Bewohnern des Dorfs Baten al-Hawa und jüdischen Siedlern aus, nachdem Israelis mit Steinen beworfen worden waren. Die Siedler ihrerseits hatten Augenzeugen zufolge Olivenbäume gefällt und Felder angezündet. Wie stets in solchen Fällen teilte die Armee mit, sie werde den Vorfall untersuchen.
«Eine Kultur der Straflosigkeit»
Seither ist zu Saif Musallats Tod nichts Näheres bekannt geworden, schon gar nicht Ergebnisse einer Untersuchung. Der ganze Vorfall in Baten al-Hawa wäre wohl in Vergessenheit geraten, hätten nicht 29 demokratische Senatorinnen und Senatoren, angeführt von Chris van Hollen (Maryland), am 24. Juli Aussenminister Marco Rubio und Justizministerin Pam Bondi aufgefordert, den jüngsten Tod eines amerikanischen Staatsbürgers im Westjordanland näher zu untersuchen.
Die Politikerinnen und Politiker kritisieren «eine Kultur der Straflosigkeit in Fällen, in denen Zivilisten, einschliesslich Amerikanerinnen und Amerikaner, in der West Bank getötet worden sind». Seit Beginn des Krieges in Gaza nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 sind im Westjordanland drei amerikanische Staatsangehörige getötet worden, unter ihnen die Al-Jazeera-Journalistin Shirin Abu Akleh, welche ein israelischer Soldat gemäss forensischen Recherchen des Londoner «Guardian» am 11. Mai 2024 gezielt erschossen hat.
Laut einer Studie der Denkfabrik «Washington Institute for Near East Policy» hat die Siedlergewalt im Westjordanland im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr um 30 Prozent zugenommen. Gleichzeitig nahmen registrierte Fälle von palästinensischem Terrorismus ab. Anlässlich einer Anhörung im US-Senat hat Senator Chris van Hollen (Maryland) das Weisse Haus dafür kritisiert, die von der Regierung Biden gegen militante jüdische Siedler erlassenen Sanktionen aufgehoben zu haben.
Schläfrige demokratische Parteispitze
Anders als demokratische Parteikollegen im Senat gehört Van Hollen zu den offensten Kritikern der Politik Donald Trumps gegenüber Israel. Der Senator unterstützt einen Stopp der Milliarden Dollar teuren Waffenlieferungen Amerikas an Israel und fordert mehr humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza – Resolutionen, die andere Demokraten wie Chuck Schumer (New York), Adam Schiff (Kalifornien) oder Cory Booker (New Jersey) nicht unterstützen. In seiner 25 Stunden langen Rede im Senat, in der Booker Trump unlängst für alles Mögliche kritisierte, erwähnte er Gaza vage ganze drei Mal. Dies, ohne Israels Regierung oder deren Kriegsführung zu kritisieren.
Lieber haben die drei Politiker jüngst in Washington DC gutgelaunt mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu posiert – in Verkennung der Stimmung an der demokratischen Parteibasis, wo nur noch jeder und jede Dritte Israel vorteilhaft sieht. Nach wie vor aber weigert sich die Parteispitze, Waffenlieferungen an den jüdischen Staat von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig zu machen. Stur, wie die Granden sind, machen sie dem Parteimaskottchen der Demokraten, dem Esel, alle Ehre.
Vereinzelt kommt demokratische Kritik immerhin auch aus dem Abgeordnetenhaus, so zum Beispiel von Valerie Foushee (North Carolina), die 2022 mit Hilfe des einflussreichen «American Israel Public Affairs Committe» (AIPAC) gewählt worden ist und sich im vergangenen Jahr in Israel im Rahmen einer gesponserten Reise mit Benjamin Netanjahu getroffen hat. Foushee fordert heute ein Verbot der Lieferung von Offensivwaffen an den jüdischen Staat.
Unzufriedene Parteibasis
Kein Wunder, wünschen sich inzwischen Umfragen zufolge 62 Prozent der Demokraten neue Parteiführerinnen und -führer. Oder dass wie jüngst bei der Vorwahl zum Bürgermeisteramt in New York City eine Mehrheit für den progressiven muslimischen Kandidaten Zohran Mamdani gestimmt hat, was nicht zuletzt auch viele jüdische Wählerinnen und Wähler taten.
Dies, obwohl Mamdanis Gegner, Ex-Gouverneur Andrew Cuomo, ihn für seinen kompromisslosen Einsatz für die Rechte der Palästinenserinnen und Palästinenser im Wahlkampf heftig attackiert hatte. Weshalb politische Kommentatoren und Aktivisten dem 33-Jährigen keine grossen Chancen eingeräumt hatten. Offenbar aber hat der Wind an der demokratischen Parteibasis gedreht, weg von Israel – eine Entwicklung, welche die Parteigranden besser zur Kenntnis nehmen sollten, wollen sie bei den Zwischenwahlen 2026 und der Präsidentenwahl 2028 nicht erneut ein Debakel erleben.
Währenddessen wird auf republikanischer Seite nur höchst selten, dafür teils umso heftigere Kritik am Kurs des Weissen Hauses vis-à-vis Israel und Gaza laut. House Speaker Mike Johnson war unlängst in Israel und hat im Rahmen der Visite illegale Siedlungen im besetzen Westjordanland besucht – der höchste amerikanische Offizielle, der dies je getan hat. Auf dem handgeschriebenen Zettel, den er, wie es Brauch ist, in der Klagemauer in Jerusalem deponierte, stand: «Wir beten, dass Amerika immer an der Seite Israels stehen wird.»
Eine kritische Republikanerin
Allerdings gibt es im amerikanischen Kongress zwei auffällige und relativ hochkarätige Ausnahmen: der Abgeordnete Thomas Massie (Kentucky) und die Repräsentantin Marjorie Taylor Greene (Georgia). Massie plädiert dafür, jegliche Hilfe an Israel einzustellen und keine Steuergelder mehr dafür auszugeben: «Nichts rechtfertigt die zivilen Opfer (Zehntausende Frauen und Kinder), die Israel in Gaza verursacht.»
Marjorie Taylor Greene, eine rechtsextreme Verschwörungstheoretikerin und Ikone der MAGA-Bewegung, weist Vorwürfe von AIPAC zurück, die sie «des Verrats amerikanischer Werte» beschuldigen: «Am wahrsten und leichtesten zu sagen ist es, dass der 7. Oktober in Israel schrecklich war und alle Geiseln freigelassen werden müssen. Schrecklich aber sind aber auch der Völkermord, die humanitäre Krise und der Hunger in Gaza.»
Ausdrücklich kritisiert Greene Randy Fine, einen Parteikollegen im Abgeordnetenhaus, der Berichte über Hunger in Gaza als billige Propaganda abtut. Fine hat einmal verlauten lassen, dass im Küstenstreifen eine Atombombe eingesetzt werden solle, und gepostet, dass Palästinenserinnen und Palästinenser «Teufel» sind, die auf Erden lebten und «nur den Tod verdienen». Weder aus der Politik noch aus den Medien kam laute Kritik.
«Propaganda auf beiden Seiten»
Marjorie Taylor Greene hat im Juni zusammen mit anderen MAGA-Grössen wie Steve Bannon, Tucker Carlson oder Joe Rogan auch Amerikas Angriff auf iranische Atomanlagen verurteilt. «Wir haben Propaganda auf unserer Seite, so wie es die Linke hat, und die amerikanische Bevölkerung ist einer Gehirnwäsche unterzogen worden, um zu glauben, dass sich Amerika in diese fremden Händel einmischen muss, damit wir überleben, was überhaupt nicht stimmt.»
Der frühere Trump-Berater Bannon hielt in einem Interview fest, es mache den Anschein, als ob bei den unter dreissigjährigen MAGA-Anhängern Israel fast keine Unterstützung mehr finde: «Und Netanjahus Versuch, seine politische Karriere zu retten, indem er Amerika in einen weiteren Krieg im Nahen Osten hineinzieht, hat einen grossen Teil älterer eingefleischter MAGA-Leute abgeschreckt.»
Unklar bleibt, welches die Motive für Marjorie Taylor Greenes kritische Haltung zum Krieg in Gaza sind. Sympathien für die palästinensische Sache dürften es kaum sein, mutmassen Kommentatorinnen und Kommentatoren in den USA. Wahrscheinlicher sei, sagen sie, dass die Abgeordnete, eine bekennende christlich Nationalistin, antisemitischen Impulsen nachgebe, die sie bei früherer Gelegenheit schon bewiesen hat. So etwa, als sie behauptete, Laser im Weltall, die der Familie Rothschild gehörten, würden die Waldbrände in Kalifornien auslösen.
Mutmasslich kleine Wirkung
Auf jeden Fall betont Greene, die USA sollten erst ihre internen Probleme lösen, bevor sie in externen Konflikten eine führende Rolle übernehmen. «Ich kämpfe für die Generation meiner Kinder und für «NUR AMERIKA!!!», hat die kämpferische Abgeordnete aus Georgia gesagt. Kritik der finanzstarken AIPAC kümmere sie wenig: «Wahr ist, dass es AIPAC nicht gefällt, weil ICH OHNE SKRUPEL AMERIKA VERTRETE!», hat sie gepostet: «AIPAC sollte sich gemäss amerikanischem Recht als ausländische Lobby-Organisation registrieren lassen, weil wie sie die säkulare Regierung des mit Atomwaffen aufgerüsteten Israels zu 100% vertritt!!!»
Beeindrucken dürften Greenes unverblümte Äusserungen, wie auch Bedenken aus den Reihen der Demokraten, das Weisse Haus kaum. Aller internationalen Kritik zum Trotz, geniesst Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahus nach wie vor Donald Trumps fast uneingeschränkte Unterstützung. Dies hat der US-Präsident denn auch wiederholt bekräftigt. Anders als Grossbritanniens Keir Starmer, Frankreichs Emmanuel Macron oder Deutschlands Friedrich Merz hat Donald Trump auf Israels Ankündigung, den ganzen Gazastreifen einnehmen zu wollen, mit Schulterzucken reagiert: Was da passiere, sagte er, sei weitgehend «Israel Sache».