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Draussen

„Und hinde dra der Firneschnee...“

9. Mai 2019
Helmut Scheben
Foto: Helmut Scheben
Foto: Helmut Scheben
Skitouren im Frühsommer haben einen grossen Vorteil: Man ist meist allein unterwegs.

In den dick verschneiten Baumkronen singen die Amseln: Die heftigen Schneefälle am letzten Wochenende haben die Jahreszeiten durcheinander geschüttelt und aus dem Frühsommer innert weniger Stunden einen Winter gemacht. Wer keinen Allrad-Antrieb hat, für den gilt bei Neuschnee die Devise: fahren bis der Karren stecken bleibt. 

Vorgestern war dies bei etwa 1300 Metern Höhe der Fall. Mir fehlte noch ein gutes Stück bis hinauf zur Alp Sellamatt im Toggenburg. Die Lawinenschaufel ist klein, aber mit ein wenig stoischer Philosophie schafft man es, ein Loch in den Schnee zu graben und den Wagen hineinzufahren, um die Strasse freizumachen. Es könnte ja mal ein Schneepflug oder ein Bauer mit seinem Traktor kommen.

Die Ruhe hors saison

Beim Anlegen der Felle schneidet der Frost in die Finger, und das am 7. Mai. Durch den Wald geht es hinauf zur Ruestel-Sesselbahn und zum Gasthaus „Zinggen Pub“. In der Wintersaison tönt hier morgens schon Älplermusik und das skifahrende Publikum nimmt den Morgenkaffe auf der Terrasse. Jetzt liegt alles still und reglos unter dem hohen Schnee. Auf der gegenüberliegenden Talseite hat der Wind ein Loch in die Wolken gerissen: weiss verschneit in der Sonne leuchten Gemeinenwis, Lütispitz, Gams-Chopf, Schafwis, Stoss, Silberplatten und Säntis. 

Der Aufstieg durch den hohen Schnee ist eine langsame und bedächtige Anstrengung. In der Konzentration auf die Schritte, das Gleichgewicht und die Geländeformen dehnt sich die Zeit in der Gegenwart. Das alles verschmilzt mit der sinnlichen Erfahrung der Kälte und der Schönheit der tief verschneiten Landschaft. Umgestürzte Baumstämme tauchen aus dem Nebel auf. Ein Stück weit geht es einer Felswand entlang, aus dem Kalkstein hängen meterlange Eiszapfen herab. Es gilt die Spur unter den Bäumen hindurch zu legen, dort ist der Schnee nicht so hoch. Die neue Generation der Touren-Ski hat breite Schaufeln, sie sinken also nicht so tief ein, und das ist sehr angenehm und spart Kraft.

Auf der Alp Hinterlüchern ist fast die Baumgrenze erreicht. Von da an geht es aufwärts ins Gluuristal auf der Nordseite der Churfirsten zwischen Hinterrugg und Schibenstoll. Eine breite, flache Platte zieht hinauf bis in die Gluuris-Scharte auf 2045 Meter Höhe. 

Begegnung

Die Felsfluen des Hinterrugg habe ich Gemschi-Garten genannt, denn da oben hocken sie immer, den ganzen Winter. Und tatsächlich, plötzlich ein zischendes Pfeifen: da oben sitzen drei auf den Felsen und schauen mir neugierig zu. Eine zupft ein wenig Gras, das unter einem verschneiten Stein hervorschaut. Sie haben keinen Fluchtreflex, sie sind an die Wanderer gewöhnt. Unter diesen Felsen gehen im Winter regelmässig Skitüreler durch, es ist eine vielbegangene Tour.

Das letzte Stück zur Scharte hinauf erspare ich mir. Da oben ist es sehr düster und neblig, und der Sturm hat auf dem steilen Hang die Steine freigeblasen. Nur ein Schluck aus der Teeflasche, zum Absitzen und Essen ist es zu kalt und zu windig. 

Bei der Abfahrt ist die Sicht schlecht. Nur ab und zu blinzelt ein Sonnenstrahl unverhofft durch die Wolken. Aber bei 40 Zentimeter frischem Pulverschnee braucht man keine Sicht zum Bögeli fahren. Da gleiten die breiten Ski sanft wie auf Wolken und fahren die Kurven fast von ganz allein. 

Weiter unten gibt es steile Waldschneisen zwischen grossen alten Fichten. Da hinab bin ich so oft gefahren, dass mir fast scheint, ich könnte es mit geschlossenen Augen. Das Sausen über weite flache Hänge zur Alp Sellamatt ist am Schluss ein einziger Jubel, denn nun kommt auch noch die Sonne raus. Auf der Alp ist Zmittag angesagt, und es gibt es ein Stück Hirschwurst und Bürlibrot. Der heisse Tee wärmt Bauch und Seele.

Emotionen

Der Blick ins Tal ist überwältigend. Weiter unten ist der Schnee schon getaut, und die grünen Wiesen mit Primeln und Soldanellen kommen zum Vorschein. Darüber stehen die weissen Schneeberge, dass es eine Pracht ist. 

Grüeni Wälder, dunkli Schätte
Hinde dra der Firneschnee.
Wie ne Garte Fäld und Matte
Säg, mys Härz, was wit no meh?

Das Toggenburg ist nicht so grandios wie das Berner Oberland, aber die Emotionen, die das Volkslied „Bärnbiet“ ausdrückt, gelten wohl hier wie da. Und sie gelten für den Bergfrühling in allen Tälern in diesem gossen Alpenbogen Europas. 

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