Die russischen Streitkräfte rücken langsam ins Stadtzentrum von Sewerodonesk vor – allerdings unter schweren Verlusten. Ukrainische Drohnenaufnahmen zeigen, wie russische Soldaten getötete Russen auf Bahren abtransportieren. Die gesamte Region stehe unter ständigem Beschuss, sagte der Gouverneur von Luhansk, Serhiy Haidai: «Raketen aus der Luft, Bomben, Artillerie, Panzer, alles.»
- EU einigt sich auf Öl-Embargo
- Steigende Ölpreise
- Strassenkämpfe in Sewerodonesk
- Ein Drittel der Stadt unter russischer Kontrolle
- Schwere russische Verluste
- Will Russland Getreide-Blockade aufheben?
- Getreide-Korridore?
- 152 Leichen in Mariupol gefunden
- Russisches Frachschiff verlässt Mariupol
- Flucht aus Charkiw
- Beschuss von Slowjansk
- Zwei russische Soldaten verurteilt
- Kein russisches Öl für die Niederlande
«Die Situation in Sewerodonezk ist so kompliziert wie nur möglich», schreibt der Gouverneur der Region Luhansk, Serhiy Haidai, auf Telegram. Die gesamte Region stehe unter ständigem Beschuss: «Raketen aus der Luft, Bomben, Artillerie, Panzer, alles.»
Ein Teil der Stadt sei bereits unter russischer Kontrolle, sagte Haidai. «Vor ein paar Tagen hiess es, die Russen hätten die gesamte Stadt eingenommen – aber das ist nicht der Fall.» «Unsere Jungs kämpfen. Die Russen können nicht ungehindert vorrücken.»
«Inszenierte Szenen»
In Sewerodonezk befinden sich noch etwa 15’000 Zivilisten, sagte Haidai. Eine Evakuierung sei jetzt wegen des ständigen Beschusses nicht möglich.
Die Russen würden Videoclips verbreiten, auf denen zu sehen ist, wie Einwohner von Sewerodonesk die angreifenden Russen freudig begrüssen. Das seien «inszenierte Szenen» sagte Haidai.
In den vergangenen 24 Stunden seien «acht feindliche Angriffe an der Front der Region zurückgeschlagen» worden und Luftabwehreinheiten hätten einen X-59MK-Marschflugkörper abgeschossen, so Haidai.
Beschuss einer Schule in Slowjansk
In Slowjansk, rund 85 Kilometer westlich von Sewerodonezk, wurden drei Menschen getötet und sechs verletzt, nachdem ein russischer Luftangriff in der Nacht eine Schule und mehrere mehrstöckige Gebäude getroffen hatte, sagte Vadym Liakh, Leiter der Militärverwaltung der Stadt Slowjansk. Er rief alle zur Evakuierung auf.
BBC-Interview mit Haidai
«Wir werden nicht aufhören. Wir werden so lange weiterkämpfen, bis wir aus dem Westen genügend schwere Waffen erhalten, um die russische Armee auf Distanz zu stoppen», sagte am Dienstag Serhiy Haidai, der Gouverneur von Luhansk, in einem Interview mit der BBC.
«Wir brauchen Langstreckenartillerie. Die Russen beschiessen uns ständig aus der Ferne. Sie haben einen enormen Vorrat an Granaten und feuern stundenlang auf unsere Stellungen. Erst danach schicken sie ihre Truppen in die Offensive. Wenn die Langstreckenartillerie eintrifft, werden wir in der Lage sein, die russische Armee zu stoppen.»
Ein Drittel der Stadt unter russischer Kontrolle?
Leonid Pasetschnik, der Separatistenführer in der Region Luhansk, sagte die Russen würden zur Zeit etwa einen Drittel von Sewerodonesk kontrollieren. Die russischen Streitkräfte kämen allerdings nicht so schnell voran, wie man es sich erhofft habe. Man wolle vor allem die Infrastruktur der Stadt erhalten. Diese Aussage erstaunt, weil die Russen seit Tagen die Stadt wahllos beschiessen und Teile in Schutt und Asche legen. Präsident Selenskyj hatte am Montag erklärt, neunzig Prozent der Stadt seien zerstört oder schwer beschädigt.
Schwere russische Verluste
Nach Angaben westlicher Geheimdienste haben die Russen im Osten der Ukraine schwere Verluste erlitten. Viele Offiziere seien gestorben. Der britische Geheimdienst hatte am Montag erklärt, die Verluste würden «wahrscheinlich weiter die Moral der Truppe» belasten. Nach ukrainischen Angaben haben die Russen seit Beginn des Krieges über 30’000 Soldaten verloren. Überprüfen lässt sich das nicht.
152 Leichen in Mariupol gefunden
In einem Kühlaggregat im zerstörten Stahlwerk Asowstal in Mariupol haben russische Truppen 152 Leichen gefunden. Russland erklärt, bei den Toten handle es sich um Kämpfer des Asow-Rgiments und um Soldaten der ukrainischen Armee. Die Leichen würden nun der Ukraine übergeben. Während der Belagerung und des Beschusses des Stahlwerks hatten die ausharrenden Kämpfer immer wieder erklärt, es fehle an medizinischem Material und mehrere Menschen seien gestorben und würden in «Kühlschränken» aufbewahrt.
In Erwartung neuer Offensiven
Die russischen Truppen haben sich vorläufig grösstenteils aus der Region Charkiw zurückgehzogen und konzentrieren sich auf Angriffe bei Sewerodonesk. Sollte diese Stadt fallen, erwarten ukrainische Militärs, dass erneut Charkiw angegriffen wird. Viele Menschen in der zweitgrössten ukrainischen Stadt machen sich auf zur Flucht in den Westen. Im Bild: Schulbusse transportieren Einwohner von Charkiw aus der Gefahrenregion.
Siebzig Kilometer Reichweite reicht
Präsident Biden hatte erklärt, die USA könnten der Ukraine keine Raketen liefern, die eine Reichweite haben, um Russland zu treffen. Oleksiy Arestovych, ein Berater von Präsident Wolodimir Selenskyj, sagte, MLRS-Raketen (Long-Range Multiple-Rocket System) mit einer Reichweite von 70 Kilometern «wären mehr als genug», um russische Angriffe abzuwehren.
Russische Soldaten verurteilt
Zwei russische Soldaten sind von einem ukrainischen Gericht wegen Kriegsverbrechen zu 11,5 Jahren Haft verurteilt worden. Alexander Bobikin und Alexander Iwanow bekannten sich schuldig. Beide Männer gehörten einer Artillerieeinheit an, die von Russland aus unter anderem eine Schule in der Region Charkiw beschossen hatte. Die Soldaten wurde später vom ukrainischen Militär gefangen genommen. Sie verfolgten das Urteil in einer Panzerglasbox in einem Gerichtssaal in der Zentralukraine.
Die Anwälte der beiden hatten argumentierten, die Soldaten hätten Befehle ausgeführt und seien zu dem Verbrechen gezwungen worden. Das Gericht wies dieses Argument zurück. Der Kriegsverbrecherprozess war der zweite, den die Ukraine seit der russischen Invasion geführt hat. Im ersten Prozess wurde der gefangene Soldat Wadim Schischimarin wegen der Tötung eines 62-jährigen Zivilisten zu lebenslanger Haft verurteilt.
Öl-Kompromiss
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich auf einen Plan geeinigt, mehr als zwei Drittel der russischen Öleinfuhren zu blockieren.
Nach dem Widerstand Ungarns betrifft das Verbot nur Öl, das auf dem Seeweg ankommt, nicht aber Öl aus Pipelines. Der Chef des Europäischen Rates, Charles Michel, erklärte, dass damit «eine wichtige Finanzierungsquelle» für die russische Kriegsmaschinerie abgeschnitten werde.
Der Kompromiss ist Teil des sechsten Sanktionspakets, das am Montagabend auf dem EU-Gipfel in Brüssel verabschiedet wurde. Alle 27 Mitgliedstaaten mussten der Vereinbarung zustimmen.
Russland liefert derzeit 27% der Öl- und 40% der Gasimporte der EU. Im Gegenzug zahlt die EU jährlich rund 400 Milliarden Euro an Russland.
Steigende Ölpreise
Rohöl der Sorte Brent stieg am Dienstag auf über 123 $ pro Barrel. Das ist der höchste Stand seit zwei Monaten. Die Preise für Öl und Gas sind in den letzten Monaten in die Höhe geschnellt, was zum Teil durch den Ukraine-Krieg angeheizt wurde. Die Rohölsorte Brent ist im vergangenen Jahr um mehr als 70 % gestiegen.
Will Russland Getreide-Exporte erlauben?
Die russische Marine werde die Durchfahrt von Schiffen, die mit ukrainischem Getreide beladen sind, erlauben – vorausgesetzt, die Ukraine entferne die Seeminen, die vor der ukrainische Schwarzmeerküste liegen. Dies sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow. «Es ist entscheidend, dass die ukrainischen Vertreter die Küstengewässer von Minen räumen», erklärte Lawrow in Bahrain. «Wenn dieses Problem gelöst ist ... dann werden die russischen Seestreitkräfte auf hoher See die ungehinderte Durchfahrt dieser Schiffe zum Mittelmeer und weiter zu ihren Zielen sicherstellen», sagte Lawrow. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Getreidelieferungen aus der Ukraine unterbrochen, was zu einer weltweiten Getreideknappheit geführt hat.
Ukrainische Beamte haben sogleich ihre Zweifel an der Aufrichtigkeit von Lawrows Aussage bekundet. «Die Russen wollen, dass wir die Minen wegräumen, damit dann russische Kriegsschiffe ungehindert landen können», hiess es in Kiew.
Am Freitag hatte der ukrainische Präsident Selenskyj erklärt, dass 22 Millionen Tonnen Getreide, die fast die Hälfte der ukrainischen Getreideexporte ausmachen, in ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer und am Asowschen Meer durch die Russen blockiert würden. Russland beschuldigt den Westen, die Krise verursacht zu haben.
Am Montag versicherte der russische Präsident Wladimir Putin dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, dass Moskau einen «ungehinderten» Export ukrainischen Getreides aus ukrainischen Häfen unterstützen werde. Russland sei auch bereit, «beträchtliche Mengen an Düngemitteln und landwirtschaftlichen Produkten» zu exportieren, wenn die Sanktionen gegen das Land «aufgehoben werden», sagte Putin.
Getreide-Korridore?
Einige ukrainische Häfen am Schwarzen und am Asowschen Meer befinden sich unter russischer Dominanz. Mehrere Frachtschiffe mit Mais, Weizen, Sonnenblumenkernen, Gerste und Hafer sind blockiert. Dies führt zu einem weltweiten Anstieg der Lebensmittelpreise und der Befürchtung, dass die Ernährungslage in weiten Teil der Welt prekär werden könnte.
Auf Initiative der Türkei sollen nun «Getreide-Korridore» eingerichtet werden – sichere Routen für Getreideschiffe. Entsprechende Gespräche mit den Russen sollen am 8. Juni beginnen. Auch die Uno soll in den Prozess miteinbezogen werden. Scheitern könnte die Errichtung solcher Korridore an Putins Forderung, zunächst westliche Sanktionen gegen Russland aufzuheben.
Neun Milliarden für die Ukraine
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich in den frühen Morgenstunden des Dienstags darauf geeinigt, der Ukraine neun Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung zukommen zu lassen, um das Land bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der russischen Invasion zu unterstützen.
Kein russisches Öl für die Niederlande
Der staatliche russische Energieriese Gazprom hat am frühen Dienstag seine Lieferungen an das niederländische Unternehmen GasTerra eingestellt, weil dieses sich geweigert hatte, in Rubel zu zahlen.
«No News»
Die Angehörigen der ehemaligen Asowstal-Kämpfer haben nichts mehr von ihren Männern und Söhnen gehört. Wir haben absolut «no News», erklärt die Ehefrau eines der Kämpfer. Nach der Eroberung und der Evakuierung des Stahlwerks in Mariupol wurden über 2000 ehemalige Kämpfer in eine Art Internierungslager im Osten der Ukraine verbracht – in ein Gebiet, das von den Russen kontrolliert wird. Russland hatte früher erklärt, ein russisches Gericht entscheide über ihr Schicksal.
(Wird laufend aktualisiert)
Journal 21