Nach tagelangem Beschuss sind russische Streitkräfte in die hart umkämpfte Stadt Sewerodonezk eingedrungen. Serhiy Haidai, der Gouverneur von Luhansk, sagte, die Russen hätten einen Teil der Stadt erobert. Sie seien jedoch auf heftigen Widerstand gestossen und hätten «erhebliche Verluste» erlitten. Da und dort seien die Angreifer zum Rückzug gezwungen worden, würden jedoch die Stadt weiterhin von hinten angreifen. «Der Feind beschoss Sewerodonezk sehr heftig, und an einigen Stellen kam es zu Strassenkämpfen», sagte Haidai.
- Die Russen dringen in Sewerodonezk ein
- Strassenkämpfe in Sewerodonezk
- Einsatz von TOS-1-Flammenwerfer
- Die Russen 20 km vor Slowjansk
- Die USA wollen Langstreckenraketen liefern
- Putin warnt vor Waffenlieferungen
- «Russland stiftet zum Völkermord an»
- Zweifel an russischen Ressourcen
- Abbruch von Häusern in Mariupol
«Bis 100 Tote pro Tag»
In seiner abendlichen Ansprache sagte Präsident Selenskyj, die Ukraine werde sich mit aller Kraft wehren, um die Region Donbass «zurückzuerobern». Im Kampf um Sewerodonezk und Lysytschansk würden täglich 50 bis 100 ukrainische Soldaten sterben, hatte Selenskyj Anfang der Woche erklärt.
Einsatz von TOS-1-Flammenwerfer
Nach Berichten westlicher Geheimdienste setzen die Russen bei ihren Angriffen im Donbass TOS-1-Buratino-Flammenwerfer ein. Diese Mehrfach-Raketenwerfer gehören zu den mörderischsten Waffen, die heute existieren. Innert zehn Sekunden können 24 Raketen, die mit Brandladungen oder thermobarischen Sprengköpfen bestückt sind, abgeschossen werden. Die Sprengköpfe erzeugen bei der Explosion eine grosse Druck- und Hitzewirkung. Eine Rakete hat ein Kaliber von 220 mm, eine Länge von 3,3 m und wiegt 173 kg. Experten erklären, der TOS-1 habe eine «schreckliche Zerstörungswucht». Die Russen würden unterschiedslos alles und jenes angreifen: zivile und militärische Ziele, sagen ukrainische Beamte. Ihre Taktik sei die «Taktik der verbrannten Erde». Der TOS-1-Buratino kann ja nach Version innert weniger Sekunden 24 oder 30 Raketen abschiessen.
Um sich verteidigen zu können, fordert die ukrainischen Verbände dringend Langstreckenwaffen. Auch Boris Johnson sagte, die Ukraine benötige Langstreckenraketen mit Mehrfachabschuss. Die USA erklären immer wieder, sie würden solche liefern. Bis sie allerdings in der Ukraine eingetroffen sind, könnte es zu spät sein.
Würden die Städte Sewerodonezk und Lysytschansk fallen, wäre das ein schwerer Schlag für die Ukraine und möglicherweise ein Wendepunkt im gesamten Krieg.
Inzwischen sind die Russen bis auf 20 km an die südwestlich von Lyman gelegene Stadt Slowjansk herangekommen. Slowjansk ist ein wichtiger Verkehrs- und Nachschubknotenpunkt für die Ukraine.
Lymann war am Freitag von russischen und pro-russischen Verbänden endgültig erobert worden.
Laut ukrainischen Militärkreisen bereitet sich die ukrainische Armee auch auf einen Kampf um die südlich von Lyman gelegene Stadt Bachmut vor. Sie liegt an der Eisenbahnlinie von Charkiw nach Donezk.
Die USA wollen Langstrecken-Mehrfachraketen-Systeme liefern
Präsident Biden hat die Lieferung von «Long-range multiple launch rocket systems» genehmigt. Die mobilen Raketenwerfer haben eine weitaus grössere Reichweite als diejenigen, die die ukrainische Armee zurzeit einsetzt. Geliefert werden vermutlich Raketen des Typs M31 GMLRS (Guided Multiple Launch Rocket System) – eine satellitengesteuerte Präzisionswaffe, die ungefähr die gleiche Menge an Sprengstoff enthält wie eine 250-Kilo-Bombe, die aus der Luft abgeworfen wird. Die Raketen können bis zu 30 Kilometer weit fliegen. Beamte der amerikanischen Regierung befürchten deshalb, dass der russische Präsident die Lieferung solcher weitreichender Geschosse als «Überschreitung einer Roten Linie» auffassen könnte.
Laut amerikanischen Medienberichten, könnte die Lieferung nächste Woche bekanntgegeben werden. Ukrainische Beamte betonen, dass die Lieferung «extrem dringend» sei. «Sonst könnte es bald zu spät sein.»
Putin warnt vor Waffenlieferungen
In Telefongesprächen mit Emmanuel Macron und Olaf Scholz hat der russische Präsident am Samstag vor neuen Waffenlieferungen an die Ukraine gewarnt. Sie wären «gefährlich» und würden «Risiken einer weiteren Destabilisierung der Lage und einer Verschärfung der humanitären Krise» in sich bergen. Putin erklärte sich bereit, nach Möglichkeiten zu suchen, um Getreide zu transportieren, das während Moskaus «Militäraktion» in ukrainischen Häfen blockiert ist. «Russland ist bereit, bei der Suche nach Möglichkeiten für den ungehinderten Export von Getreide zu helfen, einschliesslich des Exports von ukrainischem Getreide aus den Schwarzmeerhäfen», so Putin. Der Kreml-Führer warf der Ukraine erneut vor, die Friedensgespräche zu blockieren.
Macron und Scholz bestanden auf «einem sofortigen Waffenstillstand und einem Rückzug der russischen Truppen», erklärten deutsche Regierungskreise. Beide forderte Putin auf «ernsthafte, direkte Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten zu führen und eine diplomatische Lösung zu finden».
Der ukrainische Präsidentenberater und Unterhändler bei den Friedensgesprächen, Mykhailo Podolyak, hatte zuvor erklärt, man könne keiner Vereinbarung mit Russland trauen. «Jede Vereinbarung mit Russland ist keinen Cent wert», schrieb Podoljak auf Telegram. «Ist es möglich, mit einem Land zu verhandeln, das immer zynisch und propagandistisch lügt?»
«Russland stiftet zum Völkermord an»
Die Massentötungen, die wahllosen Bombardierungen und die gezielten Angriffe auf Schutzräume und Evakuierungsrouten würden ein «völkermörderisches Muster» erkennen lassen. Zu diesem Schluss kommen internationale Rechtsgelehrte und Menschenrechtsexperten in einem eben veröffentlichen Bericht. Das russische Vorgehen deute auf die Absicht hin, «einen erheblichen Teil der ukrainischen Bevölkerung auszulöschen, was einen Verstoss gegen die Völkermordkonvention der Vereinten Nationen darstellt».
Die Rhetorik von Putin, Lawrow, Peskow und der russischen Staatsmedien, die die ukrainische nationale Identität leugnen, komme einer «staatlich organisierten Aufstachelung zum Völkermord» gleich.
Verfasst wurde der Bericht unter anderem von der in Washington ansässigen Denkfabrik «New Lines Institute for Strategy and Policy» und dem in Montreal ansässigen «Raoul Wallenberg Center for Human Rights».
Nach internationalem Recht ist Völkermord definiert als Tötung oder Verursachung schwerer körperlicher oder geistiger Schäden «in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten».
Es gebe «beträchtliche Beweise dafür, dass russische Soldaten die staatliche Propaganda verinnerlicht haben und als Reaktion darauf entweder Völkermordabsichten geäussert oder Gräueltaten verübt haben», schreiben die Autoren des Berichts.
Mehr Stinger-Raketen für die Ukraine
Die USA kaufen für 624 Millionen Dollar weitere Stinger-Raketen. Ein entsprechender Auftrag wurde dem in Waltham (Massachusetts) ansässigen US-Konzern «Raytheon Technologies» erteilt. Die USA haben bereits mehr als 1’400 Stinger-Systeme, einschliesslich Raketen und Abschussvorrichtungen, an die Ukraine geliefert. Stinger sind Kurzstrecken-Flugabwehrraketen mit einer Reichweite von etwa 5 Kilometern. Sie können zwar keine hoch fliegenden Kampfflugzeuge abschiessen, aber im Kampf gegen Drohnen und Helikopter haben sie eine wichtige Funktion.
Die Russen reparieren Eisenbahnlinien
Nach Angaben des ukrainischen Militärs mobilisieren die Russen Eisenbahnbrigaden mit Spezialmaschinen, um beschädigte Eisenbahnlinien in der Region Charkiw und Isjum wieder in Stand zu setzen. Diese Strecken sind wichtige Nachschublinien für die russische Offensive.
Zweifel an russischen Ressourcen
Während Moskau in der Ostukraine weiterhin heftige Kämpfe führt und Verwüstung anrichtet, «mehren sich Zweifel, ob das russische Militär die Kraft und die Ressourcen hat, weiter zu kämpfen». Dies berichtet die New York Times am Samstag.
«Fünf Abgeordnete der lokalen Legislative der Provinz Primorje im Fernen Osten Russlands», so die New York Times, «haben einen offenen Brief an Präsident Wladimir W. Putin unterzeichnet. Darin fordern sie, dass Russland die Kämpfe einstellt und seine Streitkräfte abzieht. Russland wäre besser bedient, wenn die jungen Männer, die in der Ukraine kämpfen, in Russland arbeiten würden, hiess es in der Erklärung, die von Leonid Wasjukewitsch, einem Abgeordneten der Kommunistischen Partei, verlesen wurde.»
Cherson kapselt sich ab
Die von russischen Truppen besetzte südukrainische Stadt Cherson hat ihre Grenzen zu umliegenden ukrainischen Gebieten geschlossen. Kirill Stremousov, der stellvertretende Leiter der pro-russischen Verwaltung in Cherson, sagte: «Die Grenze ist jetzt aus Sicherheitsgründen geschlossen ... wir raten von Reisen in die Ukraine ab, egal unter welchem Vorwand.»
Die Grenzübergänge von Cherson zu den ukrainischen Regionen Mykolaijv und Dnipropetrowsk seien geschlossen, während Reisen von Cherson auf die Krim oder in die russisch kontrollierten Gebiete von Saporischschja weiterhin möglich seien, fügte Stremousov hinzu. Russland hat die Absicht, die südukrainische Region Cherson – wie damals die Krim – ins russische Staatsgebiet einzugliedern.
Abbruch
(Wird laufend aktualisiert)
Journal 21