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Was fliesst denn da? 25/04

Seez und Saar – ungleiche Geschwister

6. Dezember 2025
Dieter Imboden
Seez und Saar
Als Badesee propagierter Kiesfang unterhalb des Saarfalls. Im Hintergrund der Gonzen, an dessen Fuss Sargans liegt. Links das Seeztal Richtung Walensee, rechts das St. Galler Rheintal zum Bodensee.

Seez und Saar entwässern das Gebiet um den Piz Sardona südlich von Sargans. Zuerst die Natur und später der Mensch sind dafür verantwortlich, dass sie unterschiedliche Wege zum Meer einschlagen.

Wer vom Bündnerland Richtung Sargans reist, muss sich entscheiden: Rechts ins Rheintal oder geradeaus zum Walensee? Das gilt sowohl für das Wasser als auch für den Menschen. Das gefrorene Wasser, also die Gletscher der Eiszeit, nutzten beide Optionen: Der eine Arm des Rheingletschers wandte sich nach rechts dem späteren Bodensee zu, der andere nahm den Weg zum Becken des Walen- und Zürichsees und vereinigte sich westlich vom heutigen Weesen mit dem Linthgletscher. 

Seez und Saar
Blick von Sonnenberg oberhalb Vilters auf das St. Galler Rheintal. In Bildmitte der Fläscher Berg, an dem entlang der Rhein zum Bodensee fliesst, dahinter die Drei Schwestern (Fürstentum Liechtenstein).

Der Mensch tat es den Gletschern gleich und baute seine Verkehrswege – Strassen und Eisenbahnlinien – sowohl Richtung Norden als auch Richtung Westen. Nur das fliessende Wasser hat sich irgendwann nach der letzten Eiszeit für eine der beiden Varianten entschieden. Von Bad Ragaz kommend hält der Rhein sich im breiten Tal ganz rechts, legt sich eng an die Flanke des Fläscher Bergs, lässt die Dörfer Vilters, Wangs und Mels links liegen, straft auch das stolze Schloss Sargans mit Verachtung und nimmt beim heutigen liechtensteinischen Mäls, das einst Klein Mels hiess, den Weg nach Norden. Verwaist und flusslos hinterlässt er zwischen Sargans und Walenstadt ein stattliches Tal, durch das einst der eine Arm des Rheingletschers vorgedrungen war.

Seez und Saar
Die Seez unterhalb Schwendi im tief eingeschnittenen Weisstannental. Im Winter scheint hier die Sonne kaum. Nicht zufällig heisst diese Gegend Schattenberg. (Aufnahme vom 4.12.2025)

Beinahe flusslos, müsste man präzisieren, denn wo der mächtige Rhein plötzlich fehlte, machte sich unverzüglich ein anderes Flüsschen breit, einer jener Störenfriede, welche nach dem Rückzug der Gletscher mit ihrem Geschiebe begannen, den grossen Bruder an die Wand des Fläscher Bergs zu drängen. Tatsächlich ist dieser Störenfried eine junge Frau; sie heisst Seez, stammt aus dem Weisstannental, wo sie auf 2100 Meter Höhe am Chli Schiben nahe der Grenze zum Kanton Glarus einem Gletscher (oder was davon übriggeblieben ist) entspringt, bei Mels in das vom Rhein verlassene Tal mündet, ihm stolz seinen Namen aufprägt (Seeztal, auch wenn das kaum jemand weiss, der nicht dort wohnt) und schliesslich nach 33 Kilometern auf 419 Meter über Meerehöhe bei Walenstadt in den Walensee mündet. 

Seez und Saar
Blick von der Ruine Gräpplang bei Flums Richtung Walenstadt auf das Seeztal. Im Vordergrund noch knapp sichtbar die Einmündung der Schils von links in die Seez, im Hintergrund die Churfirsten. (Bild: SchuetzeZH - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0)

Vor der Linthkorrektion war die Seez mit ihrer mittleren Wasserführung von knapp acht Kubikmeter pro Sekunde der grösste Zufluss in den Walensee. Erst als 1811 der Escherkanal eröffnet wurde, welcher die Linth von Mollis in den Walensee umleitet, wurde die Seez im Walensee zur Nebendarstellerin degradiert.

Seez und Saar
Mündung der Seez in den Walensee bei Walenstadt

Doch zurück zur Verzweigung bei Sargans: Wie konnte es geschehen, dass sich der Rhein für den weiten Weg über den Bodensee entschied anstatt für den direkten Weg nach Zürich und Turgi und von dort, zusammen mit Aare und Reuss, nach Koblenz? 

Ein Blick auf die Topografie liefert eine Erklärung: Unterhalb der Einmündung der Landquart in den Rhein dominieren die Zuflüsse von links aus der bergigen Region um den Piz Sardona. Die Tamina, welche vom Kunkelspass und aus dem Calfeisental bei Bad Ragaz ins Rheintal fliesst und dort ihr Geschiebe ablädt, machte einst den Anfang mit dem Verdrängen des Rheins an die rechte Talflanke. Ihr folgten zahlreiche kleinere Bäche, welche vom Vilterser Berg herunter strömen. Sie alle drängten zwar den Rhein zur Seite, aber münden schliesslich bis heute doch in ihn. Erst der bereits erwähnten Seez gelang es – dank der Vorarbeit der anderen Bäche –, mit ihrem Geschiebe zwischen Sargans und Mels eine im Gelände kaum erkennbare Miniwasserscheide von weniger als 20 Meter Höhe zu schaffen und dadurch dem Rhein den Weg Richtung Walensee zu verwehren.

Seez und Saar
Saarfall, im Vordergrund der um 1978 angelegte Kiesfang. Unter dem Wasserfall hat sich eine Kiesbank gebildet.

Einen dieser kleinen Blockadehelfer wollen wir nun genauer anschauen: Wussten Sie, dass es in der Schweiz ein Gewässer mit dem Namen Saar gibt? – Ich jedenfalls entdeckte die Schweizer Saar erst vor kurzem und zufällig, als ich auf der Karte nach der oben erwähnten Wasserscheide bei Sargans suchte. Am Rande der Ebene zwischen Vilters und Bad Ragaz, unweit der Talstation der Pizolbahn, stach mir ein kleiner See ins Auge, neben dem auf der Karte in blauer Schrift das Wort Saarfall steht. 

Meine Neugierde war geweckt. So wie einst der Afrikaforscher David Livingston nach den Victoriafällen suchte und diese schliesslich im November 1855, also vor genau 170 Jahren, tatsächlich fand, machte ich mich kürzlich auf die Suche nach dem Saarfall. Zugegeben, mit Livingstons Entdeckung kann sich meine nicht messen, aber freudig überrascht hat mich das idyllische Seelein am Rand der Rheinebene trotzdem, in das über eine rund 30 Meter hohe Felswand ein kleiner Bach fällt.

Seez und Saar
Blick auf die Saar flussaufwärts Richtung Saarfall. Die massive Verbauung lässt die Dimension gelegentlicher Hochwasser ahnen.

Das Wort «fallen» mag zwar etwas übertrieben sein, denn tatsächlich rinnt das Wasser eher über den Fels als dass es fällt – zumindest wenn kein Hochwasser herrscht. Doch das mit mächtigen Steinblöcken verstärkte Gerinne, das den See Richtung Norden entwässert, lässt vermuten, dass das harmlose Wässerlein namens Saar (oder Saarbach) manchmal auch gefährlich zu toben weiss. Die Sar fliesst zuerst Richtung Vilters, dreht vor dem Dorf nach Norden, unterquert das Autobahnkreuz A3/A13 «Sarganserland», lässt Sargans links liegen, erreicht bei Trübbach den Rheindamm, folgt diesem über rund drei Kilometer und mündet schliesslich in den Rhein. Wie ein natürlicher Bach sieht das schnurgerade Gerinne allerdings nicht aus.

Seez und Saar
Karte von 2025: Die Saar (bzw. der um 1866 angelegte ehemalige Saarkanal) führt vom östlichen Rand von Vilters unter dem Autobahnkreuz Sarganserland hindurch direkt nach Norden. Das ursprüngliche Bett der Saar, an dem einst die Saarmühle beim Bahnhof Sargans lag, entspricht heute ungefähr dem Vilterser-Wangser-Kanal.

Bevor wir uns der Frage zuwenden, wie die Saar zu ihrem eintönigen Gesicht gekommen ist, werfen wir einen Blick auf ihren Ursprung. Sie entspringt auf ungefähr 2000 Meter Höhe oberhalb Pardiel, fliesst – streckenweise in einer engen Schlucht – durch abschüssiges Gelände bis zu jener letzten Felswand, über die sie nach fünf Kilometern als Saarfall den Talboden auf 495 Meter über Meer erreicht. 

Meist ist sie ein harmloses Bächlein, doch man kann sich leicht vorstellen, dass die Topografie die Saar bei Starkregen und Gewitter innerhalb kürzester Zeit zum tosenden Bach werden lässt. Das wird auch der Grund gewesen sein, dass unterhalb des Wasserfalls ein künstlicher See als Kiesfang geschaffen worden ist. Auf der Siegfriedkarte von 1920 liegt der Rückhaltesee etwa 300 Meter weiter nördlich bei Rationen; er wurde offenbar erst um 1978 an den Fuss des Wasserfalls verlegt.

Seez und Saar
Die Saar zwischen Höf und Targön oberhalb des Saarfalls. Meistens ist die Saar auf ihrem Weg ins Tal ein harmloses Bächlein.

Tatsächlich hat die Saar unterhalb des Saarfalls früher anders ausgesehen. Der Dufourkarte von 1860 können wir entnehmen, dass sich die Saar einst munter durch die Ebene zur Saarmühle in der Nähe des 1858 in Betrieb genommenen Bahnhofs Sargans geschlängelt hat. Unterwegs nahm sie den Vilterser- und den Grossbach auf und floss schliesslich bei Trübbach in den noch nicht kanalisierten Rhein. 

Seez und Saar
Dufourkarte von 1860: Gleicher Ausschnitt wie Karte von 2025. Der Rhein beim Fläscher Berg ist noch nicht eingedämmt, die diversen Bäche aus dem Pizolgebiet fliessen unbegradigt an Sargans vorbei zum Rhein. Die Eisenbahnlinie von Chur ins Rheintal und zum Walensee ist bereits in Betrieb. Beachte: Die Dufourkarte ist einfarbig, auch die Gewässer sind schwarz, die Topografie ist durch sog. Schraffen dargestellt, Höhenkurven fehlen.

Vermutlich ist die Saar, verstärkt durch die anderen Bäche, welche das Gebiet des Pizol entwässern, immer wieder über die Ufer getreten und hat den Talbauern das Leben schwergemacht. Doch wilde Wesen müssen «korrigiert» werden, der damalige Zeitgeist verlangte das von Kindern ebenso wie von Bächen und Flüssen. Daher baute man Mitte der 1860er-Jahre für die Saar weiter östlich einen Kanal durch die Ebene und trennte sie von ihren ebenfalls gelegentlich randalierenden Geschwistern. 

Auch wenn der alte Bachlauf auf der Karte noch lange als Saar bezeichnet wurde, so trieb nun tatsächlich der Vilterserbach die Saarmühle an. Das Wasser der Saar hingegen floss durch das als Saarkanal bezeichnete neue Bett. Erst um 1900 nahm man der alten Saar ihren Namen weg und bezeichnete künftig das an der Saarmühle vorbeifliessende Gewässer als Vilterser-Wangser-Kanal.

Seez und Saar
Staumauer des um 1978 angelegten Kiesfangs unterhalb des Saarfalls

Zu Autobahnkreuz und Bahn verbannt und von Siedlungen ferngehalten, geriet im Laufe der Zeit die einst so stolze Saar mehr und mehr in Vergessenheit und mit ihr auch die im 18. oder 19. Jahrhundert entstandene Geschichte, wonach die Saar für den Namen von Stadt und Schloss Sargans verantwortlich sei. Als nämlich die ersten Bewohner der neuen, noch namenlosen Siedlung im nahen Saarbach badeten, beschlossen sie, so die Sage, den ersten Gegenstand, der ihnen im Bach entgegenschwimmen würde, für die Namensgebung zu verwenden. Und weil dies eine Gans war, gaben sie dem Ort den Namen Sar-gans. Tatsächlich trägt Sargans eine Gans im Wappen. – Eine schöne Geschichte, wenn auch etymologisch wohl etwas randständig.

Das ist also die Geschichte der zwei ungleichen Schwestern, Seez und Saar, welche sich einst gemeinsam gegen den grossen Bruder, den Rhein, verschworen hatten. Und wie das so ist bei Familien-Verschwörungen: Nicht alle profitieren gleichermassen von ihrer Tat. Das ist auch bei Flüssen nicht anders, wenn sie sich um Macht streiten. Die Seez aus dem Weisstannental hat, bis hinunter nach Walenstadt, alles übernommen, was man gemeinsam Rhein abgerungen hatten. Umgekehrt schaffte es die Saar nicht, sich aus der Anziehungskraft des Rheins zu lösen. Die beiden Geschwister gingen verschiedene Wege; sie würden sich dereinst erst im (schweizerischen) Koblenz wieder treffen. 

Bleibt noch die Frage: Wer schafft es schneller dorthin? – Nun, die Antwort ist einfacher, als man denkt. Es ist der Weg über Zürich, aber nicht, weil die Strecke über Schaffhausen länger ist. Im Fluss geht’s rasch voran, da ändern auch Stauhaltungen bei Kraftwerken wenig. Es ist die mittler Aufenthaltszeit in den Seen, welche die Reisezeit bestimmt. Diese beträgt im Bodensee zwischen vier und viereinhalb Jahre (je nach Grösse des Niederschlags), während die Summe der Aufenthaltszeiten im Walensee (ca. 1,4 Jahre) bzw. im Zürichsee (ca. 1,2 Jahre) deutlich kleiner ist.

Und noch etwas zur Saar, der Verliererin: Der Mensch hat sie später auch von ihren anderen Geschwistern, vor allem vom Vilterserbach, getrennt und sie in einen langweiligen Kanal quer durch die von Verkehrswegen verunstaltete Rheinebene gezwungen. Ein unverdientes Schicksal! – Immerhin: Man hat für sie einen kleinen See geschaffen, der heute zusammen mit dem Wasserfall als lokale Touristenattraktion gilt. Zum Glück haben das die Kartografen von Swisstopo auf ihrer Karte mit blauer Schrift vermerkt. So habe ich – für mich persönlich – den Saarfall entdeckt wie einst Livingston die Viktoriafälle.

Fotos – wo nicht anders angegeben – von Dieter Imboden

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