
Der Firmenname wirkt auf den ersten Blick gut und menschenfreundlich: «Gaza Humanitarian Foundation (GHF)», und dass diese Stiftung in Genf, Stadt der Uno und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, gegründet wurde, sollte wohl die Glaubwürdigkeit steigern. Aber weshalb hat denn diese GHF im Internet keine Homepage?
Warum stellten recherchierende Journalisten fest, dass es für GHF auch nirgendwo ein Bankkonto und auch keine postalische Adresse und keine Namen von irgendwelchen Mitgliedern gibt?
Wer kann ein überlebensnotwendiges Paket ergattern?
Antwort: Da handelt es sich um eine schein-humanitäre Erfindung der israelischen Regierung, die sich den Anschein geben will, dass sie im zerbombten Küstenstreifen mit seinen 2,2 Millionen Palästinensern im letzten Moment (vor dem drohenden Massen-Hungertod) doch noch Überlebenshilfe leisten will. Hilfe, die direkt an die Bevölkerung verteilt werden soll und nicht von der Hamas abgezweigt werden kann.
Etwas mehr als hundert Lastwagen mit Nahrungsmitteln fuhren innerhalb von zwei Tagen in den Süden des Gazastreifens. 15 bis 20 davon wurden von verzweifelten, hungernden Jugendlichen überfallen. Die israelische Luftwaffe überwachte das alles und erschoss sechs Menschen, die ihrerseits versucht hatten, die Plünderungen zu verhindern – eine Fussnote innerhalb der gewaltigen Tragödie des Kriegs, mehr nicht.
In den Folgetagen erreichten zwar weitere Lastwagen mit Lebensmitteln zwei von der israelischen Armee bestimmte Verteilpunkte im Süden des Gazastreifens, aber wer konnte, wer kann bis dorthin gelangen, mit Eselswagen (dem jetzt für viele einzigen Verkehrsmittel) oder zu Fuss, wer kann eines der überlebensnotwendigen Pakete ergattern? All jene Palästinenser, die im Zentrum oder im Norden des 40 Kilometer langen Küstenstreifens leben, Alte und Kranke ohnehin, bleiben chancenlos.
Netanjahus Strategie
Der Uno-Generalsekretär sprach von einem Tropfen auf einen heissen Stein oder bestenfalls einem «Teelöffel», von einer Schein-Hilfsaktion. Und Philippe Lazzarini, Chef des Palästinenser-Flüchtlingshilfswerks UNRWA, äusserte, die Aktion sei nichts als eine Ablenkung von den Gräueln des Kriegs.
Das Chaos um die Verteilung der Lebensmittelpakete ist kein Zufall, keine unvermeidbare Folge des Kriegsgeschehens, sondern entspricht der Strategie der israelischen Regierung. Benjamin Netanjahu will die 2,2 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser der Küstenregion zermürben, durch Bomben, Zerstörung und Hunger. Jene, die nicht sterben, sollen erkennen, dass sie im Gazastreifen keine Zukunft haben – dass es für sie einzig im Exil irgendwo in der arabischen Welt eine Überlebenschance gibt.
«Vom Euphrat bis zum Nil»
Gestützt wird Netanjahu bei dieser Haltung nicht nur durch die Rechtsradikalen innerhalb seiner Regierung, sondern auch durch die breit abgestützte Hachala-Bewegung der Siedler im besetzten Westjordanland. Daniella Weiss, 80-jährige Sprecherin von Hachala, fordert Kollektivbestrafung der Gaza-Palästinenser. Sie vertritt die Meinung, alle Palästinenser hätten sich ihr Recht auf ein Leben im Gazastreifen durch die Hamas-Attacken vom 7. Oktober 2023 definitiv verscherzt. «Sie werden verschwinden», sagt sie bei jeder Zusammenkunft von Mitgliedern der Hachala und rühmt sich, sie habe einen direkten Draht zum Premierminister.
Dass keine Regierung eines arabischen Landes Bereitschaft zeigt, palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen, beeindruckt sie nicht. Eines Tages, ob in naher oder fernerer Zukunft, werde sich das Problem lösen, meint sie, und dann könne Israel von seinem «Recht» Gebrauch machen, den Gazastreifen selbst wieder zu besiedeln. Genau so, wie vom «Recht», das Westjordanland, das biblische Judäa und Samaria, zu annektieren. Eine Annexion dieses Gebiets plus des Gazastreifens sei das Minimum, das Israel zustehe, ergänzt sie bei ihren Vorträgen gerne, denn im Grunde habe Israel Anspruch auf die Gesamtheit jenes Gebiets, das in der Bibel als Erez Israel definiert wurde und das eine Region «vom Euphrat bis zum Nil», also von Irak bis nach Ägypten, umfasse.
Die Ziele sind verständlich
Die rechtsradikalen Mitglieder der israelischen Regierung applaudieren Daniella Weiss, Netanjahu macht sich durch Schweigen zum Komplizen solcher Visionen. International löst der Gazakrieg täglich mehr Kritik und Empörung aus. Die Regierungen von traditionell mit Israel solidarischen Ländern (Kanada, Grossbritannien, Frankreich) drohen mit Sanktionen; und sogar Deutschland geht auf Distanz (will allerdings weiterhin Waffen an Israel liefern): «Ich verstehe Israels Ziel in Gaza nicht mehr», sagte Bundeskanzler Friedrich Merz und ergänzte: «Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen.»
Wirklich, kann er Israels Ziele nicht mehr verstehen? Wer die Aussagen von Netanjahu, Ben Gvir oder Smotrich zur Kenntnis nimmt, kann die Ziele Israels in diesem Krieg allerdings sehr wohl und ohne Probleme verstehen.