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MASI Lugano

Richard Paul Lohses lebenslanges Spiel

14. September 2025
Niklaus Oberholzer
Richard Paul Lohse im MASI Lugano
Blick in die Ausstellung Richard Paul Lohse im MASI Lugano

Dem Werk Richard Paul Lohses (1902–1988) wurde schon seit zwei Jahrzehnten keine Museumsausstellung mehr gewidmet. Jetzt bietet das Kunstmuseum in Lugano Gelegenheit, den immer noch jugendlich-frisch und kraftvoll wirkenden Malereien zu begegnen.

Nur Quadrate? Immer das Gleiche? Wohl wechseln die Farben, welche die Quadrate (beinahe) ohne Pinselspuren oder andere Erinnerungen an einen Auftrag auf die Fläche monochrom bedecken. Sie wechseln von Gelb zu hellem Grün, von hellem Gelb über Orange, verschiedene Rot-Abstufungen, Violett, Dunkel- und Hellblau bis zu hellem Grün und schliesslich Gelb. Es gibt aber nie eine frei in die Fläche gesetzte Linie als Trennung zwischen den Farbtönen. Es gibt keine Diagonalen, sondern ausschliesslich rechte Winkel und Waagrechte und Senkrechte, und es gibt nie ein Dreieck oder gar einen Kreis. Immer das Gleiche also, wenn auch in wechselnden satten und leuchtenden Farben.

Immer das Gleiche? Nicht ganz … 

Und doch zieht die Ausstellung Richard Paul Lohses im Untergeschoss des MASI (Museo d’Arte della Svizzera Italiana) in Lugano die Besucherinnen und Besucher unmittelbar in ihren Bann mit der glanzvollen und zugleich ruhigen Präsenz vor allem der späteren Werke des Künstlers. Auch der zufällig hinzutretende Museumsdirektor Tobia Bezzola, der die Ausstellung zusammen mit Taisse Grandi Venturi kuratiert hat, ruft mir begeistert zu: «Eine tolle, eine wunderschöne Ausstellung – nicht?» Doch: Bloss Quadrate, immer das Gleiche, ein Leben lang?

Richard Paul Lohse: Serielles Reihenthema in 18 Farben
Richard Paul Lohse: Serielles Reihenthema in 18 Farben, 1981/82, (Mittelstück des Triptychons, das er 1982 an der Documenta 7 in Kassel zeigte), 198x594 cm, © Richard Paul Lohse-Stiftung Zürich

Vielleicht doch nicht ganz, und das Auge mag, wenn man einige Zeit im Untergeschoss des MASI verweilt, Unterschiede in der Gewichtung der Farben und der Abläufe entdecken. Vielleicht bemerkt das Auge in den teils grossen (bis zu beinahe sechs Meter breiten) Werken Bewegungen, Aufsteigendes oder Niedersinkendes, vielleicht eine Wellenbewegung. Oder die verschiedenfarbigen Quadrate beginnen zu fliessen oder gar zu tanzen. 

Es scheint, als spielte Lohse, einer der wichtigsten und wohl der radikalste Vertreter der «Zürcher Konkreten», die man als Gruppe wahrnahm (zu Lohse gesellten sich Max Bill, Camille Graeser, Verena Loewensberg, allenfalls auch Fritz Glarner und Hans Hinterreiter und später manch andere der nächsten Generation) in höchster Konzentration ein grosses und lebenslanges Spiel – ein ernstes Spiel allerdings, mit dem er nie fertig wurde, und das ihm ungezählte Varianten und Entfaltungsmöglichkeiten bot. 

Von diesem Spiel entwickelten sich auch Linien, die weit über den Konstruktivismus hinausführten hin zu Tendenzen der Minimal Art, der Hard-Edge- und der Farbfeld-Malerei (Donald Judd, Walter De Maria, Ellsworth Kelly, Kenneth Noland, Frank Stella u. a.). Lohse ist eingebunden in Entwicklungen der internationalen Kunst des 20. Jahrhunderts. 

Lohse als Konzeptkünstler?

Es ist, ab den mittleren 1960er Jahren, wenig Entwicklung erkennbar in diesem Spiel. Wohl scheinen in den späten Werken zugrunde liegenden Konzepte ruhiger und weniger kleinteilig. Ein Beispiel ist das an der Documenta 7 (1982) in Kassel präsentierte dreiteilige «Serielles Reihenthema in 18 Farben». Doch die strengen Wiederholungen der modularen Ordnungen und seriellen Reihungen beschäftigten Lohse von 1943 bis zum Todesjahr (1988). Das macht die Ausstellung in Lugano auf schöne Weise nachvollziehbar, indem sie in einer Vitrine zahlreiche Blei- und Farbstiftskizzen auslegt, in denen der Künstler festhielt, was genau und wie er es später als Malerei plante. Oft verstrich sehr viel Zeit – bis zu zehn und mehr Jahren – zwischen der Entstehung der Skizzen und der Ausformulierung des Gedachten auf der Leinwand. 

Richard Paul Lohse: Diagonalordnung
Richard Paul Lohse: Diagonalordnung aus heller Gleichung und Kontrast, 1956/75, 120x120 cm, © Richard Paul Lohse-Stiftung Zürich

Richard Paul Lohse als Konzeptkünstler «avant la lettre», bevor dieses Wort Eingang in die Kunst-Terminologie gefunden hat? Lohse als Vertreter einer Kunst, die dem Ausformulieren in der Malerei weniger Wert beimisst als der Denkarbeit? Dass allerdings die «gemalte» Malerei weit mehr an Sinnlichkeit und Direktheit ausstrahlt als die bloss «gedachte» Malerei, gehört zu den Problemen und Inkonsequenzen der Konzeptkunst allgemein. Zu dieser Denkarbeit gehört auch das Befragen der Farben und ihrer Qualität und Quantität – nicht im Hinblick auf ihre Bedeutung als Symbol, wohl aber auf ihre Rolle innerhalb bestimmter und niemals zufälliger Nachbarschaften und damit innerhalb der Bildkompositionen.

Metaphorik im Spiel

Sind die Nachbarschaften wirklich niemals zufällig? Da drängt sich mir (im Wissen um die grundsätzliche Verschiedenheit der beiden Künstlerpersönlichkeiten und ihrer Beziehung zum Phänomen Bild) ein vielleicht unstatthafter Vergleich mit Werken Gerhard Richters auf, konkret mit seinen Glasmalereien im südlichen Querschiff des Kölner Domes, aber auch weiteren «abstrakten Bildern» wie den «About 4900 Colours». Richter überliess die Anordnung der farbigen Flächen dem am Computer generierten (antihierarchischen) Zufall. Dies ausgerechnet in einer Kirche, die auf Dogmatik, Hierarchie und Notwendigkeiten setzt, während Lohse seinen Anordnungen ein System zugrunde legte, das auf mathematischen Berechnungen basiert und für uns nicht erkennbar ist – zumindest nicht auf den ersten Blick.

Richard Paul Lohse
Richard Paul Lohse: Links oben: Farbgruppen um ein rotes Quadrat (1952/75), links unten: Vier gleiche Gruppen mit quadratischem Zentrum (1965), rechts oben: Vier gleiche Gruppen (1965), rechts unten: Quadrate in der Diagonale (1960/86), je 48x48 cm, © Richard Paul Lohse-Stiftung Zürich

Oben war von einem «Spiel» des stets streitbaren Künstlers die Rede. Doch Lohse spielte dieses Spiel nicht ohne ernsthafte Absicht. Vielmehr unterlegte er ihm – bei aller Gegenstandsferne seiner Malerei – eine Metaphorik, wie sie seinem (linken) politischen Temperament entsprach. Er sah im Fehlen von Hierarchien in seinen Konzepten und in der Gleichwertigkeit ihrer einzelnen Elemente einen Hinweis auf die Grundbedingungen der Demokratie. Vor allem in den späten Werken formulierte Lohse das zukunftsweisende (utopische) Bild einer gerechten Gesellschaftsordnung und des gesellschaftlichen Zusammenhalts: «Das serielle Prinzip ist ein radikales Demokratieprinzip.» So Richard Paul Lohse in einem Interview 1971. 

Ähnliche Metaphorik mag, wenn auch unausgesprochen, in Erscheinungen der Musik des 20. Jahrhundert manifest werden. Lohse mochte sich in einem ähnlichen Spannungsfeld bewegt haben, das auch Atonalität, serielle Musik oder – als Gegenbewegung – Aleatorik prägte. Ob ein Vergleich der Werke Lohses und mit jenen des Maler-Musikers Robert Strübin (Basel 1897–1965) Aufschlüsse zeitigen würde, wäre zu untersuchen.

Richard Paul Lohse: Abwandlung einer Figur
Richard Paul Lohse: Abwandlung einer Figur, 1942, 92x92 cm, © Richard Paul Lohse-Stiftung Zürich

Für die frühen, bereits in den 1940er Jahren entstandenen Arbeiten gilt wohl bereits, was vom Spiel gesagt wurde, nicht aber, wenn von modularen Ordnungen und seriellen Reihungen die Rede war. Man ist der Ausstellung dankbar, dass sie auch mit einigen Beispielen aus dieser frühen Zeit aufwartet. Diese mit «Abwandlung einer Figur», «Dynamische Konstruktion» oder «Konstruktion mit Dreiecken» betitelten Malereien (allesamt 1942 entstanden) weisen eher zurück auf die russische Avantgarde, die für Lohse eine wichtige Inspirationsquelle und ein Ausgangspunkt für seine malerischen, aber auch für seine gestalterischen Arbeiten war.

 

Richard Paul Lohse, geboren 1902 in Zürich, wächst in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Teilnahme an den Arbeiterunruhen in Zürich auf dem Helvetiaplatz im Jahr 1917. Arbeit als Werbegrafiker und in den 1920er Jahren erste Versuche mit abstrahierender Malerei und Fotomontagen mit Hans Trommer, mit dem er ein Grafikbüro betreibt. Begegnung mit Augusto Giacometti und Kontakte mit Künstlern und Intellektuellen (Paul Klee, Raoul Hausmann, Max Beckmann, Hans Richter, Hans Arp, Sophie Taeuber, Georges Vantongerloo, Gerrit Rietveld).

Einzug ins Zett-Haus von Flora und Rudolf Steiger an der Badenerstrasse in Zürich, das als Ikone des Neuen Bauens gilt und zum Treffpunkt von Emigranten wurde. Antifaschistisches Engagement. 1937 ist Lohse Mitgründer der Künstlergruppe Allianz. Mitgliedschaft im Schweizerischen Werkbund. 

1943 Beginn der modularen Ordnungen, die ihn bis zu seinem Tod 1988 in Zürich beschäftigen. redaktionelle und gestalterische Mitarbeit an der Zeitschrift «Bauen + Wohnen» und Engagement für das Einrichtungshaus «Wohnbedarf» in Zürich. 1969 Ausstellung im Stedelijk-Museum Amsterdam. Lohse vertritt 1965 die Schweiz an der Biennale von São Paulo und 1972 an der Biennale Venedig. 1968 und 1982 Teilnahme an der Documenta 4 und 7 in Kassel. Zahlreiche Einzelausstellungen in der Schweiz und im Ausland.


Museo d’Arte della Svizzera Italiana (MASI), Lugano
Bis 11. Januar 2026 
Katalog 49 Franken
Kooperation mit Haus Konstruktiv Zürich, Museum Josef Albers in Bottrop, Wilhelm Hacks-Museum in Ludwigshafen und mit der Richard Paul Lohse-Stiftung, Zürich 
Kuratiert von Tobia Bezzola und Taisse Grandi Venturi

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