Zohran Mamdanis Wahl zum Bürgermeister von New York City ist neben Siegen in den Gouverneurswahlen von New Jersey und Virginia sowie der Zustimmung zu einer die Ziehung von Wahlkreisen betreffenden Initiative in Kalifornien ein Indiz für ein Wiedererstarken der demokratischen Partei. Ob das ausreicht, um Präsident Donald Trump zu bremsen, bleibt offen.
Der 34-jähige demokratische Sozialist Zohran Mamdani ist am Dienstag nach einem Aufsehen erregenden Wahlkampf mit 50,4 Prozent der Stimmen zum jüngsten und ersten muslimischen Bürgermeister New Yorks gewählt worden. Die Wahlbeteiligung war dabei so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Die Versuche seiner politischen Gegner einschliesslich jener Donald Trumps, den Sohn eines indisch-ugandischen Professors der Columbia University und einer indischen Filmregisseurin als gefährlichen Sozialisten oder Kommunisten zu brandmarken, schlugen fehl, auch wenn Mamdanis Opposition im Wahlkampf über ungleich mehr Mittel verfügte und vor schmutzigen Tricks oder gezielten Diffamierungen nicht zurückschreckte.
Cleverer Wahlkampf
Doch Zohran Mamdanis Kapital waren Menschen der Grossstadt: Einwanderer, Muslime, Junge und selbst jüdische Wählerinnen und Wähler, die sich von den islamophoben Appellen seiner Gegner nicht abschrecken liessen. Der Politiker, der erst seit vier Jahren als Abgeordneter im Parlament in Albany sitzt, hatte aus seiner Unterstützung der palästinensischen Sache und der Menschen in Gaza kein Hehl gemacht – ein Anliegen, dessen Zugkraft sowohl die demokratische Parteiführung als auch Präsident Joe Biden seinerzeit fahrlässig unterschätzt haben.
Fehlende Finanzen machte Zohran Mamdani mit einer cleveren Führung seines Wahlkampfs wett. Die Strategie setzte stark auf persönliche Kontakte und nutzte geschickt soziale Medien wie TikTok oder Instagram, um Wählerschichten zu erreichen, die mit traditionellen Medien wie der «New York Times» wenig am Hut haben – nicht zuletzt, weil sie sich von ihnen vernachlässigt fühlen. So marschierte der Kandidat zum Beispiel an einem Tag publikumswirksam vom Norden bis zur Südspitze Manhattans und traf dabei zahlreiche Menschen, mit denen er ins Gespräch kam.
Gegen Antisemitismus und Islamophobie
«New York wird eine Stadt von Einwanderern bleiben, eine Stadt, die von Einwanderern gebaut worden ist, von Einwanderern angetrieben und ab heute Abend von einem Einwanderer geführt wird», sagte Zohran Mamdani in seiner Siegesrede zu tosendem Applaus: «In diesem Moment politischer Dunkelheit wird New York das Licht sein.» Er werde sich für jene Menschen einsetzten, die er liebe, «egal, ob du ein Einwanderer bist, ein Mitglied der Trans-Gemeinschaft, eine von vielen schwarzen Frauen, die Donald Trump aus einem Bundesjob entlassen hat, eine alleinerziehende Mutter, die immer noch darauf wartet, dass die Lebensmittelpreise sinken oder irgendjemand, der mit dem Rücken zur Wand steht: Euer Kampf ist unserer.»
New Yorks künftiger Bürgermeister versprach auch, Antisemitismus und Islamophobie zu bekämpfen. Mit rund einer Million jüdischer Einwohnerinnen und Einwohner ist New York City die grösste jüdische Stadt ausserhalb Israels, während die Zahl der muslimischen Bevölkerung etwa gleich hoch ist: Fast ein Viertel aller amerikanischer Musliminnen und Muslime lebt in New York.
«Sprachroher der Hamas»
Umfragen zufolge dürften mehr als ein Drittel jüdischer Wählerinnen und Wähler für Zohran Mamdani gestimmt haben, auch wenn ihn das israelische Aussenministerium im Oktober noch als «Sprachrohr für Hamas-Propaganda» diffamierte. Auch hatten mehr als 1'000 amerikanische Rabbiner der Einschätzung eines konservativen Kollegen in New York zugestimmt, der vor der Wahl des progressiven Kandidaten warnte: «Ich glaube, dass Zohran Mamdani für New Yorks jüdische Gemeinschaft eine Gefahr darstellt.»
Dagegen hatte Mamdanis Hauptgegner, New Yorks Ex-Gouverneur Andrew Cuomo, seine «hyperaggressive Unterstützung» Israels betont und wiederholt proklamiert, Anti-Zionismus sei Antisemitismus. Die republikanische New Yorker Kongressabgeordnete Elise Stefanik nannte Zohran Mamdani wiederholt einen «ausgewachsenen Dschihadisten, der für Völkermord an Juden plädiert hat.» Progressive jüdische Gemeinden sowie jüdische Aktivistinnen und Aktivisten wiesen solche Unterstellungen zurück.
Vielfältige Herausforderungen
Wenn New Yorks neuer Bürgermeister am 1. Januar 2026 sein Amt antritt, wird er sich vielfältigen Herausforderungen gegenübersehen. Nicht nur gilt es, hochfliegende Wahlversprechen – mehr Wohnraum, stabile Mieten, höhere Steuern für Superreiche und Firmen, höhere Mindestlöhne, billigere Lebensmittel, Gratisbusse, kostenlose Kinderbetreuung – in die Tat umzusetzen. Der relativ unerfahrene Politiker muss sich auch den Realitäten der Acht-Millionen-Stadt stellen.
New York City beschäftigt rund 300’000 städtische Angestellte und verfügt über ein Budget von 116 Milliarden Dollar. Davon stammen 6,4 Prozent oder 7,4 Milliarden Dollar aus Bundesmitteln, vor allem für die Bereiche Wohnen und Erziehung – Mittel, die einzufrieren Donald Trump bereits angedroht hat, obwohl das mutmasslich illegal wäre. Derweil wird sich New York City laut einer Denkfabrik 2026 mit einem Defizit in der Höhe von zwischen sechs und acht Milliarden Dollar konfrontiert sehen.
Benjamin Netanjahu verhaften?
Zwar sollten sich Zohran Mamdanis Wahlversprechen wie Gratisbusse oder städtische Lebensmittelläden relativ kostengünstig umsetzen lassen, teure Investitionen wie jene in kostenlose Kinderbetreuung in der Höhe von schätzungsweise sechs Milliarden Dollar und in kostengünstiges Wohnen werden sich aber kaum ohne die Hilfe des Staates New York realisieren lassen. Noch hat New Yorks demokratische Gouverneurin Kathy Hochul nicht erkennen lassen, dass sie sich vorbehaltlos hinter die Anliegen des Parteikollegen stellen wird.
Auch wird sich Zohran Mamdani mit der lokalen Stadtpolizei (NYPD) aussöhnen müssen, über die er 2020 auf dem Höhepunkt der Proteste nach der Tötung des Schwarzen George Floyd noch getwittert hat, sie sei ohne Zweifel «rassistisch, anti-queer & und eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit». Erste Kontakte soll es bereits vor der Wahl gegeben haben.
Ein Knackpunkt? Der linke Politiker hat im Wahlkampf versprochen, er würde, obwohl kaum legal, der Polizei befehlen, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu festzunehmen, falls er nach New York käme – eine Ankündigung, deren allfällige Umsetzung der vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) als Kriegsverbrecher angeklagte Premier unter Umständen provokativ testen könnte. Die USA sind nicht Mitglied des ICC.
Zu hohe Lebenshaltungskosten
Währenddessen sind sich wohl fast alle New Yorkerinnen und New Yorker einig, dass die Stadt zu teuer geworden und ihre Lebensqualität gesunken ist – mit ein Grund, weshalb Banken und Finanzinstitute wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley einen Teil ihres Geschäfts aus New York City abgezogen und in Staaten wie Texas, Georgia oder North Carolina verlegt haben – ein Verlust an Arbeitsplätzen, den die neu zugezogene Tech-Industrie kaum wettmachen kann.
Mit im Schnitt 3’700 Dollar sind in der Stadt die Mieten mehr als doppelt so hoch wie in Amerikas 50 grössten Städten. Bei einem Haushaltseinkommen von weniger als 70’000 Dollar im Jahr (was auf die Mehrheit der Mieterinnen und Mieter zutrifft) müssen heute in New York City rund 54 Prozent für Mietkosten aufgebracht werden. Zohran Mamdani spricht von einer «affordability crisis».
Die «New York Times» gratuliert
«In der Tat können sich zu viele New York City die Mieten nicht leisten», schreibt Margaret Sullivan, US-Kolumnistin des Londoner «Guardian»: «So hat denn Mamdanis Fokussieren auf Mietkosten und Lebensmittelpreise einen Nerv getroffen. Mamadanis Bekenntnis zum Islam, sein Einsatz in Gaza und seine Bereitschaft, sich für Einwanderinnen und Einwanderer einzusetzen, haben seine Anziehungskraft verstärkt.»
«Glückwunsch an Zohran Mamdani, der nach einer erstaunlich effektiven Kampagne zum Bürgermeister von New York gewählt worden ist», schrieben derweil am Mittwoch die Leitartikler der «New York Times», die den Kandidaten seiner politischen Pläne und seiner Unerfahrenheit wegen im Wahlkampf nicht unterstützt hatte: «Er begann seine Kampagne mit wenig Bekanntheit, geschweige denn Unterstützung, und erregte die Aufmerksamkeit der New Yorker mit einer fröhlichen, auf sozialen Medien basierenden Kampagne, die sich auf die hohen Lebenshaltungskosten der Stadt konzentrierte.»
Nachdem Mamdani im Juni die Vorwahlen der Demokraten gewonnen habe, sei er offen auf Kritiker zugegangen und habe sich pragmatisch gezeigt: «Von Anfang bis Ende setzte er sich gegen das müde politische Establishment New Yorks durch und besiegte sowohl Technokraten mit mehr Erfahrung als auch den amtierenden Bürgermeister und einen ehemaligen Gouverneur.»
Ein Signal an Donald Trump
Doch jetzt, so die «Times», drücke sie Zohran Mamdani die Daumen für gutes Gelingen im Amt: «New York – die dynamischste Stadt der Welt, in der sich jedoch viele Einwohner ein gutes Leben nicht mehr leisten können – braucht seinen Erfolg. Die Ausrichtung der Stadt ist gerade jetzt besonders wichtig, da Präsident Trump das Gesetz missachtet, um seine Macht zu festigen, und die grössten Städte des Landes fälschlicherweise als ausser Kontrolle geraten darstellt.»
Die «New York Times» wiederspiegelt jene Reaktionen, die in Zohran Mamdanis Wahlerfolg sowie den Siegen der Demokraten in den Gouverneurswahlen in New Jersey und Virginia und in der Zustimmung zu Proposition 50 in Kalifornien eine Erfolg versprechende Strategie der Partei für die Zwischenwahlen 2026 sehen. Dies, obwohl die Urnengänge am 4. November unter unterschiedlichen Verhältnissen und anderen Voraussetzungen stattgefunden haben.
«Wenn er (Mamdani) Erfolg hat», folgert das Weltblatt, «wird er ein Modell für die Regierungsführung der Demokratischen Partei bieten zu einer Zeit, in der viele Amerikaner der Partei skeptisch gegenüberstehen und aus demokratisch regierten Bundesstaaten in republikanisch regierte abgewandert sind. In der Geschichte der USA können politische Progressive auf eine stolze Bilanz zurückblicken, wenn es darum geht, mit Hilfe der Regierung extreme Ungleichheiten zu verringern und mehr Amerikanerinnen und Amerikanern ein gutes Leben zu ermöglichen.»
Eine Chance für Demokraten
Noch aber ist unsicher, ob die demokratische Partei unter ihrer zögerlichen und einfallslosen Führung im Kongress sich nach Zohran Mamdanis Wahl für die progressiven Visionen erwärmen kann, die er und demokratische Sozialisten wie Senator Bernie Sanders (Vermont) und die New Yorker Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez seit längerem vertreten. Dazu müsste die Partei aufmerksamer auf die Botschaft der Demokratischen Sozialisten Amerikas (DAS) hören, statt wie in der Vergangenheit auf unnütze und oft kontraproduktive Kulturkämpfe zu setzen. Die Demokraten müssten sich künftig ihrer Wurzeln besinnen und sich wie Zohran Mamdani konkreter um Wählerinnen und Wähler sowie deren steigende Lebenskosten kümmern. «Ein Sieg in New York wird den Menschen überall in unserem Land und auf der ganzen Welt Hoffnung und Inspiration gegen», sagt der 84-jährige Bernie Sanders, ein Veteran der Demokratischen Sozialisten.
Die demokratische Abgeordnete Mikie Sherrill in New Jersey und ihre Ex-Kollegin Abigail Spanberger in Virginia haben sich in ihren Gouverneurswahlkämpfen vor allem auf die Wirtschaft, die öffentliche Sicherheit und die Gesundheitsversorgung konzentriert, während sie sich von progressiven Anliegen wie LGBTQ-Rechte oder von Widerstand gegen die Politik Donald Trumps eher distanzierten – eine moderate Politik, die Wählerinnen und Wähler der Mitte ansprechen soll.
«Ein woke-verblendeter Sozialist»
Dagegen setzte Zohran Mamdani auf radikalen Wechsel, um die wirtschaftliche Ungleichheit zu bekämpfen – eine Politik, die einer wachsenden linken Wählerschaft gefällt und die im Wahlkampf in New York Tausende von Freiwilligen angezogen hat. Und die es Republikanern vor den Zwischenwahlen 2026 erlauben dürfte, Demokraten, falls sie sich eher für Mamdanis Kurs entscheiden, als linke Extremisten darzustellen. So laufen in New York und New Jersey bereits Anzeigen, die Abgeordnete der Partei in New York und in New Jersey als Sympathisanten der «linksextremen» Politik Zohran Mamdanis attackieren.
Donald Trump selbst hat auf seiner Plattform Truth Social gepostet, Zohran Mamdani sei «etwas vom Besten, was der republikanischen Partei passiert sei». Dank ihm, so der Präsident, liesse sich der Nation zeigen, was geschieht, wenn wie in New York City ein «woke-verblendeter Sozialist» gewählt wird. Trotzdem: Dem neuen Bürgermeister ist es gelungen, Wählersegmente zurückzugewinnen, die sich 2024 von den Demokraten ab- und Trump zugewandt hatten: Amerikanerinnen und Amerikaner der ersten Generation, junge Leute und nicht-weisse Angehörige der Arbeiterklasse.
«Die Geschichte von Trumps Autoritarismus kann nicht ohne die Feigheit so vieler Institutionen im Lande erzählt werden», hat Zohran Mamdani einem Reporter der «New York Times» verraten: «Wenn du den Angriff auf unserer Stadt, unsere Werte und unsere Leute besiegen willst, dann tust du das am besten, in dem du kämpfst. Sich zu fügen bringt nichts.»