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Aus digitalen Niederungen

Maschinelle Intelligenz und menschliche Dummheit

5. Juni 2016
Eduard Kaeser
Technik wird autonomer. Künstliche Systeme breiten sich unaufhaltsam in unserer Gesellschaft aus, immer mehr eigenständig agierende und lernende Maschinen besetzen die Nischen des Humanen.

Solche Maschinen übernehmen das Planen, Berechnen, Voraussehen, sie werden zu Faktoten im Haushalt, betreuen Betagte, regeln und überwachen die öffentlichen Räume. Zu schweigen von den virtuellen Räumen, wo schon längst künstliche Agenten – Bots - ohne Einflussnahme des Menschen operieren.  

Wird Ultraintelligenz „gutmütig“ sein?

Evangelisten des technischen Fortschritts leben in Erwartung eines neuen „Advents“: der technischen Singularität. Damit ist ein Entwicklungsstadium der Maschinen gemeint, in dem ihre Fähigkeiten jene des Menschen überholt haben werden und sich in einer Art von postbiologischer Evolution weiter entwickeln. Der Zeitpunkt dieses Eintretens wird von Gläubigen auf Mitte bis Ende dieses Jahrhunderts geschätzt. Daran knüpft sich nun freilich meist die besorgte Frage, ob denn die zunehmende Autonomie des Artefakts seine „Gutwilligkeit“ gewährleiste. Das Problem wurde schon vor 50 Jahren erkannt. Der britische Mathematiker Irving John Good brachte 1965 die Idee einer ultraintelligenten Maschine auf, die nicht nur dem intelligentesten Menschen überlegen ist, sondern nun selbst intelligentere Maschinen entwerfen kann, die ihrerseits wiederum intelligentere Maschinen entwerfen, ad infinitum - eine „Intelligenzexplosion“. „Deshalb,“ so Good, „ist die erste ultraintelligente Maschine die letzte Erfindung, die der Mensch (..) machen muss, vorausgesetzt, die Maschine ist gutmütig genug, uns mitzuteilen, wie sie unter Kontrolle gehalten werden kann.“

Der rüpelhafte Chatbot

Diesen apokalyptischen Stimmton schlagen heute Wissenschafter wie Stephen Hawking oder Unternehmer wie Bill Gates und Elon Musk an. Letzterer spricht sogar schon von „Dämonenbeschwörung“. Der alberne kalifornische Techno-Optimismus scheint in einen ebenso albernen Pessimismus zu kippen. Die Situation dürfte um einiges banaler sein. Es gibt Anlass zur Vermutung, dass dieser „Dämon“ schlicht und einfach menschliche Dummheit ist. Ein Indiz: Im März 2016 führte Microsoft Tay ein, einen Chatbot auf Twitter; also ein interaktives Gesprächsprogramm, das von Nutzern den kultivierten Dialog lernen sollte. Leider entwickelte sich Tay anders, nämlich zu einem kleinen künstlichen Drecksack, der wie Küchenpapier allen Schmutz aufsaugte, rassistisches und sexistisches Zeug in Umlauf brachte, sich in Hitlerverehrung, Holocaustverleugnung und Verschwörungsgefasel erging, kurz, alle jene schlechten Eigenschaften annahm, die man im Internet so antrifft. Microsoft entschuldigte sich und entfernte Tay wieder.

Künstliche Intelligenz als Verstärkerin menschlicher Dummheit

Nun ist es kein Geheimnis, dass die sozialen Medien regelrechte Kloaken voller Schwachsinn, Rüpelei und Soziopathie sind; wie soll darin also ein armes unschuldiges Progrämmchen etwas Zivilisiertes lernen? Tay demonstriert vor allem eines: Das Gefährlichste an der Künstlichen Intelligenz und der Verselbständigung des Computers liegt letzlich in der  Verstärkung menschlicher Dummheit. Zu dieser Dummheit gehört zum Beispiel die Produktion „smarter“ Waffensysteme, welche die ohnehin schon prekäre globalpolitische Balance weiter gefährdet. Dazu gehört auch die ungebremste Automatisierung vieler Industrien, welche, geblendet von unbesonnenem Wachstumsdenken, zu Massenarbeitslosigkeit und in der Folge zu Massenfrustration führen kann, mit zu erwartenden sozialen Instabilitäten. Das eigentliche Problem sind nicht die Maschinen, sondern die verantwortlichen Entscheidungsträger hinter den Maschinen. Wenn ausgerechnet ein Bill Gates vor den Geistern warnt, die er rief, ist es so unangebracht, den Schwefelgeruch der Bigotterie zu wittern?

Fortschritt ist kein Nullsummenspiel

Die Elektronik scheint den Alltagsobjekten eine Handlungsautonomie zu verleihen, die wir Menschen im gleichen Masse zu verlieren drohen. Aber technischer Fortschritt ist kein Nullsummenspiel: Was wir durch Erfindungen gewinnen, büssen wir nicht zwangsläufig an naturwüchsigen Fähigkeiten ein. Die Schnelligkeit des Autos macht unsere langsame Gangart nicht überflüssig. Die Telekommunikation verdrängt nicht die Bedeutung des Gesprächs von Angesicht zu Angesicht. Gerade weil uns Technik so viel ermöglicht, was unsere Physis übersteigt, ermöglicht sie uns auch, immer wieder neu zu entdecken, was wir eigentlich an dieser Physis haben. Wer sagt uns denn, dass sie schon vollständig entdeckt sei?

Und wer sagt uns, dass die menschliche Intelligenz bereits entdeckt ist? Spätestens wenn Google-Cars durch die Strassen fahren, Amazon-Drohnen uns die Postpakete liefern, Microsoft-Chatbots uns bei Laune halten, Facebook uns sagt, wer wir sind, und die ganze Welt eh zum Artificial-Intelligence-Labor verkommen ist, wird sich die Frage als überlebenswichtig erweisen. Statt also unsere Intelligenz hinter uns zu lassen, wäre es angezeigter, sie als Zukunftsprojekt ins Visier zu nehmen – individuell und kollektiv. Welch eine Singularität wäre das!

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