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Made in Asia [05]

Made in China

9. Oktober 2010
Peter Achten
Der Friedensnobelpreis ist wohl der politischste unter allen Nobelpreisen. Einen „richtigen“ Preisträger gibt es deshalb nie. Rot-Kreuz-Gründer Henry Dunant war 1901 als erster gewiss ein verdienter Preisträger, was im vergangenen Jahr von US-Präsident Obama nicht unbedingt gesagt werden kann. Wo zwischen den beiden steht Liu Xiaobo?

Soviel ist gewiss: Wegen seines gewaltlosen Kampfs für Menschen- und Bürgerrechte in China hat er den Preis sicher verdient. Es hätte aber mit ebensoviel Meriten ein anderer unter den 199 Nominierten sein können.

Das Nobelpreiskomitee begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass es „eine Verbindung zwischen Menschenrechten und Frieden gibt. Diese Rechte sind eine Voraussetzung für die 'Bruderschaft zwischen den Nationen', von denen Alfred Nobel in seinem Testament geschrieben hat". Allerdings holte das Preiskomitee, wie so oft westliche Regierungen und Medien, wenn es um China geht, mit der grossen moralischen Keule aus. Chinas rasanter wirtschaftlicher Aufstieg, so die norwegischen Preisrichter, müsste von einer besseren Achtung der Menschenrechte begleitet werden.

Soziale Revolution gewaltigen Ausmasses

Nun ist Liu Xiaobos Verurteilung im letzten Dezember zu elf Jahren Haft wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ ein aufgelegter Justizskandal und eine persönliche Tragödie. Anderseits wird im Westen immer übersehen, dass in den letzten 32 Jahren nicht nur die Wirtschaft reformiert worden ist , sondern dass eine soziale Revolution gewaltigen Ausmasses in die Wege geleitet wurde. Das betrifft auch Menschen- und Bürgerrechte. Die Armut wurde zum grössten Teil besiegt, und die persönlichen Freiheiten sind dramatisch erweitert worden. Die Partei und die Regierung sind allerdings tabu, trotz verfassungsmässigen Garantien für Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Auf Chinesisch kann man das Tabu auch mit der Formel umschreiben: „Den Kaiser nicht beleidigen.“

Traditionelle Geringschätzung

Genau das aber hat Literaturwissenschafter Liu Xiaobo unter Berufung auf die in der chinesischen Verfassung garantierten Rechte von jungen Jahren an getan. Er war einer der Prominenteren auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen 1989, als die Studentenproteste, unterstützt von Arbeitern und Angestellten, sich zur Staatskrise auswuchsen. Liu kam im Vergleich zu andern Anführern mit 20 Monate Haft noch glimpflich davon. Doch Liu liess sich das Wort nicht verbieten. Das brachte ihm drei Jahre „Umerziehung durch Arbeit“ in einem Lager ein. Im Jahre 2003 wurde er Präsident des chinesischen Pen-Clubs und 2008, im Olympia-Jahr, unterzeichnete Literaturprofessor Liu mit dreihundert andern Intellektuellen, Bürgerrechtlern und Querdenkern die Charta08. Die Charte08 fordert Bürger- und Menschenrechte, frei Wahlen, kurz Demokratie. Dafür sitzt jetzt Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt im Gefängnis. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Liu einer der Charta08-Drahtzieher war.

Die Charta08 war der Charta77 nachempfunden, die 1977 in der Tschechoslowakei vom damaligen Bürgerrechtler und nachmaligen Präsidenten Vaclav Havel mitverfasst worden ist. Gerade hier aber wird der Unterschied zwischen China und den damaligen kommunistischen Oststaaten und der Sowjetunion sichtbar. Dissidenten und Bürgerrechtler sind im Reich der Mitte nur einer kleinen Elite - und natürlich den politisch stets korrekten Parteimitgliedern - bekannt. Das hat nicht nur mit den streng kontrollierten Medien zu tun, sondern auch mit der traditionellen, geringschätzigen Einstellung chinesischer Gelehrter und Intellektueller gegenüber dem gemeinen Volk.

Für das Regime "ein Krimineller

Die chinesische Führung reagierte auf den Liu Xiaobo verliehenen Preis mit Gift und Galle. Das Aussenministerium erklärte: "Liu Xiaobo ist ein Krimineller, der von der chinesischen Justiz wegen Verstöße gegen chinesisches Recht verurteilt wurde." Im übrigen laufe die Auszeichung Lius "völlig dem Prinzip des Preises zuwider und stellt zudem eine Schmähung des Friedenspreises dar". Der Friedensnobelpreis, kritisiert Peking, hätte besser für die Förderung der internationalen Völkerverständigung und der Abrüstung verliehen werden sollen.

Für den internen Gebrauch wird die Verleihung des Friedensnobelpreises wohl einmal mehr dafür herhalten, nationalistische und antiwestliche Gefühle zu nähren. Die „Demütigungen“ des imperialistischen, kolonialistischen Zeitalters im 19. Jahrhundert, unter denen China so gelitten hat, werden nicht selten zitiert, um „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ zu verurteilen und wegzuwischen. Ob die Auszeichnung von Dissident Liu – wie Menschenrechtsgruppen schon jubilieren - eine große Ermutigung für Chinas Demokraten und für alle, die sich für Menschenrechte in der Volksrepublik einsetzen, sein wird, darf füglich bezweifelt werden. Die roten Kaiser lassen nichts anbrennen und ersticken kleinsten Widerstand gegen den Staat im Keim. Wie schon zuvor jede Dynastie seit zweitausend Jahren. Private Freiheiten und stets mehr Wohlstand ist die Legitimation der Partei, und das steht auch zuoberst auf der Wunschliste der Laobaixings (des Manns, der Frau auf der Strasse) und eben nicht westlich verstandene Demokratie und Menschenrechte.

Ob Liu Xiaobo frei kommen wird, ist schwierig zu sagen. Dafür müssten sich Staats- und Regierungschefs wie Merkel, Sarkozy, Obama oder eben Doris Leuthardt einsetzen. Auch Figuren wie Exkanzler Schröder, von den Chinesen mit dem Prädikat „Freund Chinas“ bedacht, könnten hilfreich sein. Doch man gebe sich keinen Illusionen hin. Einmal im Exil sind chinesische Dissidenten, wie die letzten zwanzig Jahre zeigen, ohne jede Wirkung. Sie treten noch an Kongressen auf, und auf den eigenen Versammlungen machen sie das, was chinesische Intellektuelle schon immer gemacht haben: Sie bilden Grüppchen und bekämpfen sich.

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