Streetparade 2025 in Zürich (Foto: (KEYSTONE/ Til Buergy)
Unausweichlich, unaufhörlich, ungewollt und oft gewollt begegnen Menschen anderen Menschen. Eine Plattitüde. Um auch nur während einer Stunde ohne Begegnung zu sein, wirklich ohne, braucht es Willenskraft. Oder eine Straftat, um in einem Hochsicherheitstrakt zu landen. Auch platt. Dennoch gibt es Anlass, an das seit Adam und Eva ausnahmslos geltende Begegnungsgesetz zu erinnern. Die Stadtplanungsämter vergessen es immer wieder.
Sie forcieren die Begegnung von Mensch zu Mensch, als herrsche Notstand und kein Dichtestress. Gemessen am Überfluss der Begegnungsmöglichkeiten samt der Begegnungszwänge wären Zonen der Nicht-Begegnung ein Segen. Mal mutterseelenallein auf der Piazza San Marco in Venedig, der Place de la Concorde in Paris oder der Plaza Mayor in Madrid müsste überwältigend sein. Falsch geträumt. Es geht in die Gegenrichtung zur Flut der kollektiven Events.
Kopfgeburten
Die Innenstädte erhalten amtlich verordnete Begegnungszonen. Deren rege Beanspruchung ist bürgerliche Pflicht. Keine Bewegung ohne Begegnung. Bunte Schilder und Bodenmarkierungen fordern auf, sich aus dem Menschenstrom zu lösen, in die Wir-sind-uns-nahe-Reviere abzubiegen, dort auf kontaktbegierige Menschen zu treffen, um sich mit ihnen auf irgendeinem Niveau, aber garantiert sinnstiftend auszutauschen. Wäre da nicht das klitzekleine Problem trostloser Einsamkeit. Kein Plätzchen zu öde, keine Ecke zu zugig und keine Sitzgelegenheit zu unbequem, um nicht dem zusammenschweissenden Gespräch zu dienen.
Behördlich verfügte Begegnungen um der Begegnung willen sind Kopfgeburten. Sozialanimatoren machen Stadtplanung zur Behebung inexistenter Mängel. Es gibt sie längst und immer noch, die Plätze, Strassen und Gassen, die zum Flanieren, Verweilen und Austausch einladen. Wegen ihrer schönen Architektur «à la taille de l’homme», ihrer gastronomischen Attraktivität und des vielfältigen Angebots an Waren und Dienstleistungen. Die Faustregel lautet: Begegnungszonen ohne Wegweiser sind solche.
Ursprünglich im Mittalter gebaut, als der Begriff «Begegnung» noch unbekannt war, doch aufs Selbstverständlichste der Nützlichkeit dienend. Als pulsierende Lebenszonen, deren Karikatur die ausgeschilderten Begegnungszonen sind.
Schall und Rauch
Sie scheitern mit der Glücks-Verheissung, die sich leerenden Ortskerne zu vitalisieren. Schall und Rauch. Das Ladensterben nimmt seinen Lauf. Die Signaltafeln zu den Begegnungszonen lenken in Sackgassen. Als Eingeständnis der Kapitulation vor der Schwierigkeit, zuerst die komplexen Ursachen für verödende Plätze und Strassen zu ergründen und dann griffige Lösungen zu entwickeln.
Der Appell «Begegnet einander!» verhallt, wo er begann: bei Innenstädten und Aussenquartieren, denen die Lebensenergie abhandenkommt.