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Jemen

Israel, ein «Killer von Medienschaffenden»

21. September 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
Jemen Totenfeier
Jemeniten tragen die Särge der 31 lokalen Journalisten aus der Shaab-Moschee in Sanaa. (Keystone/AP Photo, Osamah Abdulrahman)

Die israelische Luftwaffe hat vergangene Woche im Jemen mindestens 45 Menschen getötet und 113 Personen verwundet. Die Attacken erfolgten als Reaktion auf Aggressionen der Houthi-Rebellen. Unter den Getöteten befinden sich 31 Journalisten lokaler Zeitungen. 

Wie oft in solchen Fällen sind die genauen Fakten noch vage. Weder die den Jemen regierenden und vom Iran unterstützten Houthi-Rebellen noch die israelische Armee wollen sich näher zu den wiederholten Luftangriffen und deren tödlichen Folgen äussern. So bleiben denn Augenzeugenberichte, Handyvideos und Aussagen Einheimischer gegenüber Nachrichtenagenturen – aus einem Land, dessen Medien von den Herrschenden kontrolliert werden und aus dem nur selten verbürgte Informationen nach draussen dringen.

Doch laut der in New York domizilierten NGO Committee to Protect Journalists (CPJ) hat die IDF bei Luftangriffen auf Gebäude der beiden Zeitungen «26 September» und «Al-Yaman» in Sanaa 31 Journalisten und Angehörige des Hilfspersonals der Redaktionen getötet. Die Angriffe erfolgten am 10. September um 16.45 Uhr, als die Redaktion der Armeezeitung «26 September» offenbar dabei war, das Wochenblatt fertig zu produzieren. Die Bomben zerstörten die Redaktionsräume, die Druckmaschinen und das Archiv der Zeitung.

«Ein erschreckendes Massaker»

«Es ist eine brutale und ungerechtfertigte Attacke, die Unschuldige traf, deren Verbrechen allein darin bestand, mit nichts als ihren Schreibgeräten und Worten in den Medien zu arbeiten», sagte Nasser al-Kadhri, Chefredaktor der Armeezeitung. Unter den Toten befindet sich auch ein Kind, das seinen Vater Essam al-Hashidi zur Arbeit begleitet hat. 22 Journalisten wurden verwundet. Anthony Bellanger, Generalsekretär der Internationalen Journalistenföderation (IFH) nannte Israels Angriffe in Sanaa «ein erschreckendes Massaker» und eine gravierende Verletzung internationalen Rechts.

«Jemenitische Journalisten bezahlen einen doppelten Preis für ihre Arbeit: erstens für tödliche israelische Luftangriffe, die Journalisten und Medien ins Visier nehmen, und zweitens für lokale Akteure, einschliesslich der Houthis, die den Krieg dazu missbrauchen, um ihre Unterdrückung auszuweiten», sagte Yousef Hazeh, Leiter der Nationalen Organisation Jemenitischer Reporter (SADA). 

«Die Straffreiheit aller Parteien – der Houthis, der jemenitischen Regierung, des Südlichen Übergangsrats und Al-Qaidas – hat sie zu immer schlimmeren Missbräuchen gegenüber Medienschaffenden ermutigt», meinte Khalil Kamel, Mitarbeiter einer lokalen NGO zur Überwachung der Pressefreiheit: «Wir fürchten, dass dieser israelische Angriff ungestraft bleiben und Israel sowie andere Parteien dazu motivieren wird, weiter Gewalt auszuüben und das Leben und die Freiheit jemenitischer Journalisten in Gefahr zu bringen.»

Die israelische Armee teilte mit, sie habe das PR-Hauptquartier der jemenitischen Armee angegriffen, das «für die Verteilung und Verbreitung von Pro-Houthi-Propaganda, einschliesslich der Reden von Houthi-Führer Abd al-Malik und Statements des Houthi Sprechers Yahya Sari verantwortlich» war. «Während des Kriegs leiteten die Hauptquartiere die Propaganda-Bemühungen und den Psychoterror des Regimes», hiess es in einem Statement der IDF gegenüber der «Washington Post». 

Illegale Angriffe auf Medien

Doch die israelische Armee antwortete nicht auf die Frage, ob sie Beweise dafür vorlegen könne, dass auf dem Gelände militärische Aktivitäten stattgefunden hatten. Menschenrechtsgruppen zufolge sind Angriffe auf Medien nicht zulässig, selbst wenn diese mit einer Armee oder mit der Verbreitung politischer Botschaften liiert sind. «Propaganda genügt nicht, um ein Medium zu einem militärischen Ziel zu machen», sagt Niku Jafarnia, ein Mitarbeiter der NGO «Human Rights Watch» (HRW), der zu Bahrain und Jemen forscht: «Medien müssten unmittelbar in militärische Aktivitäten verwickelt sein, zum Beispiel militärische Nachrichten austauschen.» 

Internationalem Recht zufolge gelten Journalistinnen und Journalisten als Zivilisten, es sei denn, sie würden selbst kämpfen oder sich direkt bei Militäroperationen beteiligen. Die IDF hat im Kontext des Krieges in Gaza wiederholt bekräftigt, sie würde Medienschaffende nicht gezielt angreifen. Laut dem Committee to Protect Journalists sind im Küstenstreifen seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 mindestens 193 Journalistinnen und Journalisten getötet worden, einige unter ihnen forensischen Recherchen zufolge ganz gezielt. 

Das Massaker von Maguindanao

Gemäss den Angaben von CPJ ist Israels Angriff von letzter Woche auf den «26 September» das zweischlimmste Massaker an Medienschaffen seit dem Überfall von Angehörigen des Ampatuan-Clans in den Philippinen auf einen Konvoi von Wahlhelfern, der von Journalisten begleitet wurde. Killer des Clans töteten im November 2009 in der Provinz Maguindanao 58 Menschen, unter ihnen 32 Medienschaffende. Sie wurden Opfer einer Orgie der politischen Gewalt, deren Täter erst versuchten, das Massaker zu vertuschen, indem sie die Leichen mit einem Industriebagger in einer entfernten Region der Provinz begruben. 

2019 endlich wurden 43 Mitglieder des Ampatuan-Clans wegen mehrfachen Mordes und Beihilfe zum Mord verurteilt. Alle Verurteilte haben Berufung eingelegt – ein Vorgehen, dessen juristische Behandlung lokalen Beobachtern zufolge noch Jahre dauern dürfte. Vor dem Massaker in Maguidanao hatte CPJ zufolge 2006 das Attentat mit einer Autobombe auf das Fernsehstudio des Senders Al-Shahabiya in Bagdad, die elf Menschen tötete, am meisten Opfer unter Medienschaffenden gefordert. 

Geringes internationales Echo

Israels Angriff auf die Armeezeitung «26 September» in Sanaa erinnert an die Attacke der IDF auf das Hauptquartier des iranischen Staatsrundfunks in Teheran vom vergangenen Juni. Jerusalems Verteidigungsminister Israel Katz gelobte damals, «das Sprachrohr der iranischen Propaganda» würde «verschwinden». Die IDF selbst teilte mit, sie habe ein militärisches «Kommunikationszentrum» des Iran angegriffen, legte aber keine Beweise vor, dass das Gebäude ein legitimes Ziel für einen Luftangriff war. 

«Israel ist zu einem regionalen Killer von Medienschaffenden geworden», sagt Mohammed Mandour, ein Mitarbeiter des CPJ, der sich mit Nahost und Nordafrika beschäftigt. Er bedauert, dass die Angriffe im Jemen unter Regierungen kaum ein grösseres Echo ausgelöst haben – in einem Land, dessen Menschen gemäss einem Uno-Bericht von 2024 zu mehr als 82 Prozent in Armut leben und fast zur Hälfte unter «gravierendem Nahrungsmangel» leiden. So haben etwa die USA im Februar ihre internationale Hilfe an das während Jahren von einem Bürgerkrieg heimgesuchte Land eingestellt. 

Jemens Regierung anvisiert

Wenig geholfen haben dabei die Angriffe der Houthis, die aus Solidarität mit der Hamas in Gaza die Schifffahrt im Roten Meer und Ziele in Israel ins Visier nehmen. Im März starteten die USA einen 52-tägigen Luftkrieg gegen den Jemen, welcher der britischen NGO «Airwars» zufolge mindestens 224 Zivilisten getötet hat, unter ihnen mindestens 68 afrikanische Migranten in einem von den Houthis betriebenen Auffanglager. 

Wobei die Luftangriffe der USA und Israels bisher in erster Linie zivile Infrastruktur wie Häfen, Öllagern oder Kraftwerken gegolten haben. Derweil heisst es, die militärischen Kapazitäten der Houthis, in erster Linien Drohnen und Raketen, seien gut versteckt, teils unterirdisch oder im Berginnern über das Land verstreut und vor Attacken sicher.  

Israels Angriffe erfolgten am 10. September nach einer Reihe von Luftangriffen Ende August, die in Sanaa mehrere Mitglieder der Houthi-Regierung, unter ihnen Ministerpräsident Ahmed Ghaleb al-Rahawi, zwei seiner engsten Mitarbeiter und neun Mitglieder des jemenitischen Kabinetts töteten. Israelische Offizielle feierten die Attacken als Erfolg der Geheimdienstaktivitäten ihres Landes und charakterisierten sie als Vergeltung für die wiederholten Drohnen- und Raketenangriffe der Houthis.

Ein Schlag ins Leere?

Derweil kommen politische Analysten zum Schluss, dass die in Sanaa getöteten Regierungsmitglieder keine Schwergewichte innerhalb der Houthi-Bewegung waren, also mehr Symbolfiguren als Entscheidungsträger. «Sie repräsentieren keinen Stamm oder keine mächtige Partei», sagt der unabhängige Nahost-Experte Mohammed al-Basha in Washington DC: «Ihre Rolle war es, die Regierung inklusiver aussehen zu lassen. Ihr Tod ändert nichts daran, wie die Houthis ihre Herrschaft täglich ausüben.»

Trotzdem, so Al-Basha, sei es zu bedauern, dass so viele dieser Technokraten hätten begraben werden müssen: «Viele Leute denken, jemand sei eine schlechte Person, nur weil sie sich der Houthi-Regierung anschliesst. Aber diese Leute haben ihre Häuser und ihre Familien in den Houthi-Gebieten und nicht jeder kann es sich leisten, wegzugehen und im Ausland zu leben, oder nicht jeder will seine Heimat verlassen.» 

Schwer greifbare Houthi-Führung

Von Houthi-Führer Abdulmalik al-Houthi und seinen engsten Getreuen heisst es, sie würden fern der Hauptstadt Sanaa oder grosser Städte irgendwo im Lande draussen an befestigten Orten leben. «Unser Hauptkampf ist der Kampf um Gaza und Palästina und der zionistische Feind sollte sich gegen weitere jemenitischen Operationen wappnen», sagt Mujeeb Shamsan, Oberst im Ministerium für moralische Anleitung der Houthis: «Israel wird nie Sicherheit und Stabilität geniessen können, solange Jemens Bevölkerung – gemeinsam mit ihrer Führung, in beispielloser Einigkeit und mit einer Armee, die alle ihre Kapazitäten und Ressourcen mobilisiert – zur Verteidigung ihrer Sache bereitsteht.»

Israels Verteidigungsminister sieht das anders. «Jemens Schicksal ist das Schicksal Teherans und das ist erst der Anfang», sagte Israel Katz nach dem Angriff auf das Regierungsgebäude in Sanaa: «Die Houthis werden auf die harte Tour lernen, dass, wer immer Israel bedroht oder ihm schadet, siebenfach bestraft werden wird, und sie werden nicht bestimmen, wann das endet.»

Quellen: CPJ, AP, The Washington Post, The Guardian, Al Jazeera, Drop Site Daily

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