Bei den Parlamentswahlen in Tschechien hat die rechtspopulistische Partei «Ano» des Milliardärs Andrej Babiš einen grossen Sieg davongetragen, während das bisher amtierende liberal-konservative Regierungsbündnis seine Mehrheit verlor. Doch obwohl Babis 35 Prozent der Stimmen gewann, dürfte das Regieren für ihn schwer werden. Als Unternehmer war er es gewohnt, allein zu entscheiden. Jetzt aber wird er Unterstützung bei zwei unberechenbaren Formationen suchen müssen, die ihre Haut nicht billig verkaufen werden.
Babiš kehrt nach einer Pause von vier Jahren an die Macht zurück, und sein Wahlsieg spiegelt einen allgemein im Westen zu beobachtenden Trend: die Erstarkung von rechtspopulistischen Parteien, die sich als «volksnahe» Alternative zu einem «abgehobenen politischen Establishment» verkaufen. Das gelingt Babiš seit seinem Einstieg in die Politik 2011 immer wieder gut, obwohl er mit seiner engsten Führungsriege nach einer Amtsperiode an der Regierungsmacht (2017–21) schon längst selber Teil dieses Establishments ist.
Mit einem Stimmenanteil von 35 Prozent erreichte seine Partei Ano ihr historisch bestes Resultat; entsprechend euphorisch wurde dieses am Samstag gefeiert. Doch das allgemeine Wahlergebnis birgt für Babiš eine bittere Pille. Denn trotz seines Vorsprungs von 12 Prozentpunkten auf das Dreierkonglomerat Spolu («Zusammen») des bisherigen liberal-konservativen Ministerpräsidenten Petr Fiala ist der Sieg aus etwas Distanz betrachtet nur ein halber. Das Ziel, ungestört allein regieren zu können, hat Babiš verfehlt.
Eingeschränkte Optionen
Und die Aussicht auf programmatisch kompatible Koalitionspartner ist, vornehm ausgedrückt, durchzogen. Mit den Parteien der bisherigen Regierung, neben Spolu die Piraten sowie Stan, ein Konglomerat aus Lokalpolitikern und Unabhängigen, will Babiš laut bisherigen eigenen Angaben nichts zu tun haben. Also bleiben zwei Exoten: die krude Rechtsaussenpartei SPD, deren volle Bezeichnung «Freiheit und direkte Demokratie» wie ein Hohn klingt, und die neu ins Parlament einziehende Autopartei Motoriste, die ebenfalls den rechten Rand des Parteienspektrums bevölkert. Vor den Wahlen war auch die linkspopulistische Formation Stacilo! («Es reicht!»), bestehend aus Kommunisten und heimatlosen Sozialdemokraten, als möglicher Partner für einen Wahlsieger Ano gehandelt worden. Doch die Linkspartei verfehlte zu ihrer Konsternation den eigentlich sicher geglaubten Einzug ins Parlament.
Das von einigen Kommentatoren befürchtete Gruselkabinett aus Ano, SPD und Stacilo! ist damit aus dem Spiel. Eine Verbindung des Wahlsiegers mit der SPD und der Autopartei nimmt sich indes kaum verlockender aus.
Kein Wunder, möchte Babiš allein regieren. Doch auf irgendeine Unterstützung wird er angewiesen sein. SPD und Autopartei sind die einzigen, an die er sich wenden kann, weil er andere Optionen bereits ausgeschlossen hat. Die zwei werden sich teuer zu verkaufen wissen; umso mehr, als Babiš beide als Partner braucht, wenn er im Parlament eine absolute Mehrheit benötigt.
«Czechia first»
Was also bleibt unter dem Strich nach den tschechischen Wahlen? Zum Ersten die Wahlbeteiligung von 69 Prozent, der höchste Wert seit rund zweieinhalb Jahrzehnten. Zum Zweiten die Tatsache, dass die Parteien an den Rändern des Spektrums insgesamt eher weniger Stimmen als früher erhalten haben. Zum Dritten, dass der Bevölkerung die Probleme des täglichen Lebens (etwa die steigenden Lebenskosten) näher liegen als die Geopolitik und dass Politiker, die das Volk auf einer emotionalen Ebene darauf anzusprechen vermögen, grösseren Erfolg haben als eine Regierung, die in einer schwierigen Zeit zwar insgesamt gute Arbeit geleistet hat, aber dies nicht ausreichend zu kommunizieren wusste. Das ist allerdings nicht nur in Tschechien so.
Viertens schliesslich signalisieren die Wahlen zwar einen gewissen Stimmungsumschwung in Tschechien in Richtung «Czechia first», doch ist noch längst nicht klar, ob es sich tatsächlich um eine tektonische Verschiebung in der Landespolitik handelt oder um eine Schwankung, wie sie in Demokratien immer wieder vorkommt. Die bisherigen Regierungsparteien mögen als Verlierer dastehen, doch in nackten Zahlen erreichten sie annähernd ein Ergebnis wie vor vier Jahren. Hingegen vermochte Babiš den Parteien an den Rändern Stimmen abzunehmen.
Als Opportunist, der er ist, wird sich der Wahlsieger Babiš kaum verbindlich festlegen wollen, ob das Land unter seiner neuerlichen Führung nun skeptischer werden wird gegenüber EU und/oder Nato, ob er die bisherige starke Unterstützung Tschechiens für die Ukraine zurückfahren wird oder nicht, und wie er die umfassenden sozialpolitischen Wahlversprechen einzulösen gedenkt.
Einem Orbán wie in Ungarn oder Fico wie in der Slowakei ist Babiš zwar in seinem politischen Stil und Auftritt ähnlich, doch mit dem jetzigen Wahlergebnis dürfte er die Politik im Land weniger stark im Griff haben als diese. Für Brüssel könnte er dennoch zu einem weniger angenehmen Partner werden, als die bisherige Regierung es war. Aber eine «Entführung Tschechiens nach Osten» durch Babiš drohe nicht, schrieb zuversichtlich ein tschechischer Medienkommentator am Samstag. Möge er Recht behalten.