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Salzburger Festspiele

Grandiose Hoffnungslosigkeit

25. August 2025
Annette Freitag
Bühne Felsenreitschule
Die riesige Bühne der Salzburger Felsenreitschule (Foto © sf Ruth Walz)

Düstere Atmosphäre, stilisierte Bäume, Säulen, ein paar Steine, dramatische Lichtregie, zwei Sängerinnen auf der fast leeren Bühne der Felsenreitschule. «One morning turns into an Eternity» ist Kontrastprogramm und gleichzeitig Höhepunkt der Salzburger Festspiele.

Dieser Kontrast passt nur zu gut in unsere Welt. Die Düsternis steht geradezu symbolisch für unsere Zeit, die von Krieg, Gewalt, Tod und Verfolgung geprägt ist. Hier sind es zwei Frauen, die sich mit dem Tod auseinandersetzen. Die eine sucht in Arnold Schönbergs «Erwartung» nach ihrem Geliebten, den sie nur noch tot auffindet. Die andere wartet in Gustav Mahlers «Abschied» auf ihren Freund, um sich für immer von ihm zu verabschieden. Die eine ist Aušrinė Stundytė, die andere Fleur Barron.

Wenn ein Morgen zur Ewigkeit wird 

Dritter im Bunde dieser Produktion ist Regisseur Peter Sellars, der die beiden Stücke, wie kleine Mono-Opern aneinandergefügt hat. Der Titel der Produktion «One morning turns into an Eternity» oder «Wenn ein Morgen zur Ewigkeit wird» geht auf eine Gedichtzeile des chinesischen Poeten Wang Wei aus der Tang-Dynastie zurück, einer Epoche, die als Blütezeit der chinesischen Geschichte gilt. Das war vor mehr als tausend Jahren. Chinesische Dichtung ist schliesslich auch für Peter Sellars seit jeher eine Inspirationsquelle.

Musikalisch muss man nur ein Jahrhundert zurückgehen, um bei Arnold Schönberg und Gustav Mahler zu landen. Die beiden kannten sich und bewunderten sich. Und beide haben den Übergang in die Musik des zwanzigsten Jahrhunderts ganz wesentlich geprägt.

So kommen hier verschiedene Elemente zusammen, die zu dieser eigenwilligen Produktion geführt haben. Und schliesslich war es der Dirigent Esa-Pekka Salonen, der die Wiener Philharmoniker – und die beiden Sängerinnen – durch den Abend leitete. 

Dass der Abend auch für die Sängerinnen eine echte Herausforderung war, versteht sich von selbst. Aber beide haben immerhin schon einschlägige Erfahrung. Insbesondere die litauische Sopranistin Aušrinė Stundytė hat in den vergangenen Salzburger Festspielen immer wieder schwierige Rollen bravourös gemeistert, von der «Elektra» über «Salome», «Katia Kabanova» bis hin zu «Herzog Blaubarts Burg».

Aušrinė Stundytė
Aušrinė Stundytė singt Arnold Schönbergs Monodrama «Erwartung». (Foto © sf Ruth Walz)

In Alfred Schönbergs «Erwartung» spielt Aušrinė Stundytė einfach «eine Frau», so die Personenbeschreibung. Sie bleibt anonym, und wird nicht näher erklärt. Für sie war die Rolle nicht neu. «Ich habe sie schon in unterschiedlichen Produktionen gespielt», erzählt Aušrinė Stundytė nach der Vorstellung. «Meine erste ‘Erwartung’ war nur mit Klavier und unter der Regie von Calixto Bieto in Bilbao. Damals dachte ich, das ist nicht so ein gängiges Stück wie die ‘Traviata’, die in jedem Opernhaus läuft. Ich dachte, die ‘Erwartung’ wäre ein einmaliges Projekt für mich: einmal und nie wieder. Aber zum Glück kam München und nun Salzburg.» Und strahlend fügt sie bei: «So waren das ganze Lernen und die Qualen nicht komplett umsonst.»

Zwei Stücke werden zu einem

Das man es nun in Salzburg mit dem «Abschied» von Gustav Mahler kombiniert hat, findet Aušrinė Stundytė sehr gut. So sei es wie eine gesamte Erzählung geworden, denn es seien ja nicht zwei unterschiedliche Geschichten. Schönberg hatte sich damals auch durch Sigmund Freud inspirieren lassen und man könnte warnen: Das Stück kann Spuren von Psychoanalyse enthalten. Aber genau diesen Aspekt habe Peter Sellars unbedingt vermeiden wollen, sagt sie. «Es war ihm wichtig, nicht die hysterische Frau vorzuführen. Natürlich ist es schwierig, den Wahnsinn, der in dieser Geschichte steckt, total wegzuwischen, und es wäre wahrscheinlich auch falsch, denn die Musik ist so stark. Sie spiegelt diesen tiefen Schmerz, den man nicht mehr verkraften kann.»

Aussergewöhnlich an dieser Produktion ist auch, dass auf dieser riesigen Bühne in der grossen Felsenreitschule Lieder gesungen werden. Von jeweils nur einer Person, also etwas sehr Intimes. «Ich empfinde es wie eine Oper. Wenn man es konzertant aufführen würde, verliert man die Hälfte der Möglichkeiten, die das Stück anbietet. Und wenn es eine Oper ist, ist es egal, wie gross der Raum ist. Ich bin gern hier in der Felsenreitschule.»

Schönbergs Stück heisst «Erwartung». Und welche Erwartung hatte Aušrinė Stundytė in Bezug auf diese Produktion? «Ich war vor allem auf die Arbeit mit Peter Sellars neugierig. Ich habe vor zehn Jahren seine Inszenierung von ‘Tristan und Isolde’ in Madrid gesehen, seither träumte ich davon, mit ihm zu arbeiten. Es war eine extrem detaillierte und harte Arbeit, aber ich mochte das.»

Trotzdem: Es ist ja sicher nicht einfach, ganz allein auf dieser Bühne zu stehen. Das gilt für Aušrinė Stundytė ebenso wie für Fleur Barron im Mahler-Stück «Abschied». «Ja, Fleur und ich haben darüber gesprochen, wie schwer die Verantwortung ist, wenn man allein auf der Bühne steht. Wenn dann etwas nicht ganz hundertprozentig ist und man weiss, es ist niemand da, der die Situation retten kann – das ist schon speziell.» Dann sagt sie aber auch gleich mit einem Augenzwinkern und ganz entspannt: «Aber wir sind ja ‘Exhibitionisten’, wir haben diesen Beruf, um gesehen zu werden!»

Kurzfristig eingesprungen

Fleur Barron, die Gustav Mahlers «Abschied» in dieser Produktion sang, hatte kaum Zeit, sich solche Gedanken zu machen. Sie ist ganz kurzfristig vor der Premiere für Wiebke Lehmkul eingesprungen. «Ich war in den Ferien in Kanada und wollte wieder nach England heimreisen, da kam die Anfrage, ob ich am nächsten Tag in Salzburg sein könnte. Puhhh, aber wenn Peter Sellars anfragt, dann sagt man nicht nein!» Statt nach London zurückzukehren, nahm sie den nächsten Flug nach München, dort wartete bereits ein Auto auf sie und brachte sie direkt zur Probe, ohne Schlaf, ohne Vorbereitung.

Fleur Barron
Fleur Barron singt Gustav Mahlers Lied «Der Abschied». (Foto © sf Ruth Walz)

Aber: Mahlers «Lied von der Erde», zu dem der «Abschied» gehört, hatte sie immerhin bereits ein paarmal gesungen. Ausserdem hat sie schon mit Esa-Pekka Salonen und Peter Sellars gearbeitet und alle drei zusammen haben dieses Jahr sogar schon einen Grammy erhalten für die beste Opernaufnahme von Kaija Saariahos «Adriana Mater». Also man kannte sich. Am Abend dann Orchesterprobe. «Das erste Mal mit den Wiener Philharmonikern! Dann Durchlaufprobe und Premiere.»

Fleur Barron hatte gar keine Zeit, Lampenfieber zu haben oder müde zu sein. Und den Text, den sie bisher auf Liederabenden schön vom Blatt ablesen konnte, hatte sie auf dem Rückflug schon auswendig gelernt. Deutsch ist eine Fremdsprache für Fleur Barron, die chinesische und englische Wurzeln hat. «Aber ich kann Deutsch», wirft sie ein, «wenn auch nicht fliessend. Ich habe in Wien studiert und verstehe Deutsch gut», sagt sie – natürlich auf Deutsch, um dann wieder ins Englisch zu switchen.

«Ich singe viele Liederabende, ich liebe das deutsche Repertoire, Brahms, Schubert, ich liebe deutsche Musik und deutsche Gedichte. In dieser Saison habe ich viel Mahler gesungen, die Rückert-Lieder, das ‘Lied von der Erde’ und in der nächsten Saison kommen die ‘Kindertotenlieder’ dran. Jetzt ist meine Mahler-Zeit, und ich fühle mich da zuhause. Diese Musik ist so wichtig. Gerade jetzt. Es gibt so viele Konflikte in der Welt und das ‘Lied von der Erde’, besonders der ‘Abschied’, vermittelt dies musikalisch.»

Abschied, das ist aber darüber hinaus auch ein Thema für Künstler, die immer wieder an einem anderen Ort auftreten. «Always on the road», sagt Fleur Barron. «Ja, das kann anstrengend sein. Man ist einsam. Aber es ist auch aufregend, gerade, wenn man an so schönen Orten wie Salzburg arbeiten kann. Gestern hatte ich einen Tag frei und bin wandern gegangen. Zwölf Kilometer! Es war wunderbar.»

Am Abend dann wieder die grosse Bühne der Felsenreitschule, die sie und Aušrinė Stundytė mit Liedern füllen. Eine Stimme nur und das Orchester. «Mir gefällt diese Intimität und diese sehr persönliche Beziehung zum Publikum. Man kann auch den Klang ganz individuell steuern. Ausserdem haben Lieder so schöne Texte, was bei Opern nicht unbedingt immer der Fall ist. Es ist unglaublich, was im Lied alles möglich ist: In zwei Minuten kann die ganze Welt drinstecken. Sowas haut mich um!»

Allein auf der grossen Bühne zu stehen, sagt sie noch, sei schon irgendwie «strange», also fremd und ungewohnt. «Aber eine Person allein auf dieser Bühne unterstreicht auch die Einsamkeit.»

Und das Publikum? Es folgt dem beklemmenden und gleichzeitig faszinierenden Geschehen auf der Bühne und der grossartigen Musik mit Stille und grossem Applaus am Schluss.

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