Das «Joint Statement» USA-Schweiz hält fest, wie das US-Handelsdefizit reduziert werden soll: Zolltarife, Gütertonnagen, Investitionsversprechen. Das vereinbarte Agreement spricht aber auch von Exportkontrollen. Die wecken zwiespältige Erinnerungen an den Kalten Krieg.
Die vergangenen paar Wochen haben nicht nur die Nerven unserer Regierung strapaziert. Die ganze Bevölkerung verfolgte mit Hoffen und Bangen die Bemühungen seiner Vertreter in Washington, blickte irritiert ins Oval Office, wo hinter seinem schweren Schreibtisch der faktische Alleinherrscher sass, auf dem Tisch teure Geschenke lagen und vor dem Tisch sich die Bittsteller aus der Schweizer Wirtschaftselite aufreihten.
Nun liegt das Agreement vor. Die Reduktion der Zölle von 39 auf 15% hat die Mienen aufgehellt, die Verpflichtung, aus den USA jährlich einige tausend Tonnen Bison- und Chlorhühnerfleisch einzuführen, eher getrübt, und das schon fast ins Schamlose kippende Scharwenzeln der CEO-Delegation wirft mittlerweile die Frage auf, ob ihre Geschenkfreudigkeit die Grenze zur Bestechung überschritten haben könnte.
Ein Sätzchen mit Sprengstoff
Das Resultat ist also durchzogen. Und es wird auch nicht freundlicher, wenn man die ganzen viereinhalb Seiten des «Joint Statements» durchliest. Im allerletzten Absatz nämlich taucht die Absicht der beiden Seiten auf, nicht nur die Zusammenarbeit inbezug auf wirtschaftliche Sicherheit, sondern auch bezüglich Exportkontrollen und Sanktionen zu vertiefen: «The Participants intend to strengthen existing cooperation with regard to US export controls and sanctions.»
In diesem Sätzchen könnte Sprengstoff strecken. Vor langer Zeit wurde schon einmal eine Mitteilung an die Schweizer Bevölkerung gerichtet, die völlig harmlos tönte, deren wahrer Inhalt aber alles andere als harmlos war. Damals hiess es amtlich: «Zwischen amerikanischen und schweizerischen Regierungsvertretern fanden in letzter Zeit formlose Besprechungen statt, die dem Zweck dienten, die Voraussetzungen für die Sicherstellung der Versorgung der Schweiz mit Rohstoffen und andern lebenswichtigen Gütern abzuklären. Die in freundlichem Geiste geführten Besprechungen nahmen einen befriedigenden Verlauf.»
Das Korsett des Cocom-Regimes
Das war im Juli 1951, als die US-Administration unter dem demokratischen Präsidenten Harry Truman alles unternahm, den expandierenden Kommunismus einzudämmen (containment policy). Bereits 1947 hatten die Amerikaner ein beschränktes Embargo über die Staaten des Ostblocks verhängt, 1949 wurde dann unter US-Regie das «Coordination Committee for Multilateral Export Controls» (Cocom) aufgegleist. Es handelte sich um einen eher losen Zusammenschluss der Nato-Staaten, der bezweckte, die Lieferung strategischer Güter (Militär- und Nukleartechnik) nach Osten zu kontrollieren und möglichst zu unterbinden. Gewisse kritische Zeitgenossen tauften das Konstrukt «Wachhund». Der hörte erst nach Ende des Kalten Kriegs auf zu knurren.
Ins Visier des Cocom rückten damals bald auch die Neutralen, insbesondere die Exportnation Schweiz. Als sich der US-Botschafter in Bern 1948 in dieser Angelegenheit erstmals an das damalige Aussendepartement wandte, gab ihm dessen Chef für Politische Angelegenheiten eine glatte Absage. Damit liessen sich die USA nicht abspeisen. Sie drängten, setzten Druck auf –, bis die Schweizer sich zu Verhandlungen bereit erklärten. Die waren hart und dauerten lange. Wenn Bern sich renitent stellte, drohte US-Delegationsleiter Linder, müssten die Schweizer selber damit rechnen, sanktioniert zu werden. Gedeckt vom Bundesrat, war Jean Hotz, Chef der damals mächtigen «Handelsabteilung», im Juli 1951 bereit zum Handschlag: Einen eigentlichen Vertrag gab es nicht, weil laut dem Hotz-Linder-Agreement die Schweiz die Cocom-Regeln (ausführliche Listen mit erlaubten und verbotenen Exportgütern) freiwillig zu befolgen versprach. Was sie dann auch tat und seitens der amerikanischen Freunde keine Retorsionsmassnahmen zu fürchten brauchte.
Aus Furcht, von westlicher Seite nicht mehr mit Waffen, Rohstoffen und andern Gütern versorgt zu werden, wich die Schweiz von ihrer neutralen Linie ab, unter starker Vernachlässigung des Gleichbehandlungsprinzips, das – jedenfalls in der Theorie – Teil ihrer Neutralitätspolitik war. In seiner Dissertation über das Hotz-Linder-Agreement vertrat der spätere Diplomat André Schaller 1987 die Meinung, die Priorisierung der eigenen aussenwirtschaftlichen Interessen sei vertretbar gewesen angesichts der damaligen Umstände. Alle diese Hintergründe verschleierte das harmlose Communiqué total.
Die Neutralität hatte das Nachsehen
Das Gentlemen’s Agreement zeitigte mitunter merkwürdige Folgen. Als nach Ausbruch des Koreakriegs (1950–1953) der hiesigen Politik bewusst wurde, dass die Armee für einen Dritten Weltkrieg (der wurde damals an die Wand gemalt) überhaupt nicht bereit war, suchte man im EMD fieberhaft nach möglichen Lieferanten von Panzern. Die westlichen Freunde sagten wegen Eigenbedarf reihum ab, worauf der zuständige Waffenchef intern den Vorschlag machte, man könnte es doch auch einmal bei den Sowjets versuchen. Und selbst Bundesrat Paul Chaudet, der Winzer aus dem Waadtland, wäre 1956 nicht abgeneigt gewesen, auch mal die Lieferung sowjetischer MiG-15-Kampfjets zu prüfen.
Solche Anregungen lehnte der damalige Aussenminister Max Petitpierre indes vehement ab. Aus ideologischen Gründen, aber auch mit Verweis auf die «autonom getroffenen Massnahmen» zur Eindämmung des Osthandels. Als Kontrast: 1953 erlaubte der Bundesrat, allerdings nach heftigen internen Auseinandersetzungen, dem Waffenfabrikanten Emil Bührle, einen Grossauftrag über die Lieferung von Luft-Boden-Raketen an die US-Armee auszuführen. Zu gross war der Druck der Firma, ihrer Zulieferer, der Gewerkschaften und vor allem aus Washington geworden. Die Amerikaner drängten massiv darauf, in Besitz dieser Raketen zu gelangen, da die eigenen in den Abwehrschlachten des Koreakriegs nicht die erwünschte Wirkung hatten (kurz nach dem Entscheid erfolgte allerdings bereits der Waffenstillstand).
Sowohl die schweizerische Souveränität wie ihre Neutralitätspolitik kamen damals enorm ins Schleudern. An der Bundesratssitzung vom 30. Dezember 1952 gab Petitpierre zu Protokoll: «Die Bestellungen von Kriegsmaterial aus den USA häufen sich. Der Handel mit dem Osten hört auf. Unsere Kriegsindustrie entwickelt sich in einer für uns sehr schädlichen Art.»
Wie reagiert Bern auf Trumps Absichten?
Doch zurück ins Heute. Was, muss man sich fragen, meint Trump genau mit der Vertiefung der bestehenden Zusammenarbeit bezüglich der US-Exportkontrollen und Sanktionen? Läuft es auf ähnliche Strukturen hinaus, wie sie zur Zeit des Cocom-Regimes entwickelt wurden? Trump hat immer wieder Überlegungen angestellt über die Eindämmung der expansiven Grossmacht China. Und die Gilde aus Historikern, Politologen und Journalisten analysiert dauernd die zahlreichen Faktoren, die bei der Entwicklung einer neuen Weltordnung eine Rolle spielen. Dabei wird immer wieder erklärt, es könnten sich gewissermassen ein China- und ein USA-Pol herauskristallisieren, und die Kleinen – wie die Schweiz – hätten sich dann zu entscheiden, wo sie sich andocken sollten.
Interessant zu wissen wäre auch, ob und wie der für die Aussenpolitik verantwortliche Bundesrat die Zeichen der Zeit einschätzt. Hätte er ein Konzept, falls der US-Präsident demnächst nicht nur höhere Zölle, mehr Hühnerfleischexporte und höhere Investitionen auf seinen Wunschzettel schreibt? Wie würde Bern reagieren, wenn es sich plötzlich vor eine ähnliche Situation gestellt sähe wie der geplagte Jean Hotz, als er seinem hartnäckigen Widerpart Harold Linder gegenübersass?
Solche Konstellationen auch nur einigermassen mit der Neutralität in Einklang zu bringen, bedürfte grosser Beweglichkeit. Und Improvisation. Die grösste Partei im Land, die SVP, ist derzeit im Begriff, aussenpolitische Beweglichkeit und Improvisation an die kurze Leine zu nehmen. Ihre hängige Initiative strebt an, in der Verfassung festzuschreiben, dass unser Land nur noch Sanktionen mittragen kann, die die UNO erlässt. Mit einem derart engen Spielraum wäre es künftig noch schwieriger, mit den vielfältigen Wechselfällen des sich immer schneller drehenden Geschehens klarzukommen.