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John le Carré & Söhne

George Smiley ist wieder da

11. Dezember 2025
Rolf App
John le Carré
John le Carré (Foto: White Hare)

Mit einer Neuausgabe von «Tinker, Tailor, Soldier, Spy» und mit einer Auswahl aus den Briefen erinnern seine Söhne an den 2020 verstorbenen John le Carré, der im bürgerlichen Leben John Cornwell hiess. Mehr noch: Einer von ihnen setzt das Werk dieses Meisters des literarisch anspruchsvollen Spionageromans fort. «Smiley» von Nick Harkaway kann sich sehen lassen.

Seine Mitarbeiterin Susanna Gero hätte eigentlich erwartet, dass der Literaturagent László Bánáti an diesem Morgen des Jahres 1963 in seinem Londoner Büro sitzt hinter den Manuskripten, mit denen er es Tag für Tag zu tun hat. Doch Bánáti ist nicht da. Stattdessen läutet ein Mann namens Michail Bortnik an der Tür und gesteht, der sowjetische Geheimdienst habe ihn ausgeschickt, um Bánáti umzubringen. «Wir säubern das Haus», hatte man Bortnik gesagt, und: Es bestehe in den oberen Rängen der Kommunistischen Partei der Wunsch, «gewisse Störgeräusche zu beseitigen». Gott indes habe ihm befohlen, dies nicht zu tun.

«Es sollte mehr Bücher mit Smiley geben» 

Susanna Gero, wie Bánáti aus Budapest in den Westen geflüchtet, bringt den Mann zuerst in Sicherheit, dann wird sie weitergereicht zum Circus, wie man nach dem Ort seiner Zentrale den Auslandsgeheimdienst MI6 nennt. Und dort verlangt Control, der namenlose oberste Chef, man möge George Smiley aus dem Ruhestand zurückholen. Was gar nicht so einfach ist. Mit seiner geliebten Frau Ann hat Smiley, nach einer blutig missglückten Geheimdienst-Aktion aus dem Dienst verabschiedet, ein lebhaftes Gesellschaftsleben aufgenommen. Zuerst steht in diesen Tagen Genf auf dem Programm, dann St. Moritz. Doch daraus wird nun nichts – wie zu erwarten war.

So fängt an, was Nick Harkaway mit dem Segen seiner Familie zu Papier gebracht hat in seinem Spionageroman mit dem so einfachen wie sprechenden Titel «Smiley». Es sollte, schreibt er in der Vorbemerkung dazu, «eigentlich viel mehr Bücher mit Smiley geben». Dessen Ursprünge reichen zurück ins Jahr 1961, als ein gerade dreissig Jahre alt gewordener, geheimdienstlich ausgebildeter englischer Diplomat namens John Cornwell – der sich zu diesem Anlass den Künstlernamen John le Carré zulegt – mit «Schatten von gestern» seinen ersten Spionageroman veröffentlicht, dem dann bis 2017 acht weitere folgen. Darunter 1963 «Der Spion, der aus der Kälte kam», der Le Carré auch dank der Verfilmung mit Richard Burton berühmt macht (und ihn vom Leben eines als Diplomat getarnten englischen Spions befreit), und 1974 «Dame, König, As, Spion». Letzteres ist vor einem Jahr unter seinem englischen Titel «Tinker, Tailor, Soldier, Spy» – wie «Smiley» übersetzt von Peter Torberg – neu herausgekommen.

Vater und Sohn im Vergleich

Es bietet sich also die schöne Gelegenheit, die Werke von Vater und Sohn miteinander zu vergleichen. Was zur Einsicht führt: Der Sohn kann durchaus mithalten. Während sich in «Tinker, Taylor, Soldier, Spy» ein fremder Spion in der obersten Etage des englischen Geheimdienstes eingenistet zu haben scheint – der von seiner Ehefrau Ann gerade verlassene Smiley soll ihn in aller Stille aufspüren –, gilt in «Smiley» die Suche dem rätselhaften László Bánáti. Die Spur führt zu Léo, seinem verschwundenen Sohn, und zu Irén, seiner Ex-Frau, – und nach Budapest, das heisst: auf gefährliches Gelände. Denn schon bald zeigen sich erste Risse im schönen Plan, den Smiley sich zurechtgelegt hat, dezent im Hintergrund taucht auch Karla auf, Smileys legendärer Gegenspieler auf russischer Seite. Was ist da eigentlich los, fragt man sich auf englischer Seite, wer kämpft da gegen wen – und weshalb?

Virtuos knüpft Harkaway an das düstere, vom Klima des Kalten Krieges geprägte – und angesichts der aktuellen russischen Bedrohung wieder aktuelle – Geheimdienst-Universum an, in dem es, in West wie Ost, keine edlen Helden gibt, sondern nur immer wieder Scheiternde. Bei deren Tun sich die Frage stellt, wie gut denn wirklich die Sache ist, für die sie ihr Leben in die Waagschale werfen. George Smiley jedenfalls hat am Ende wieder einmal genug und kehrt zurück zu Ann. Bis zum nächsten Mal natürlich nur.

Ein tiefer Blick ins private Universum

Doch wer war der Mann, der diesen Smiley zum Leben erweckt hat? Der überdies hervorragend deutsch sprach und eine enge Beziehung zur Schweiz hatte? Auskunft gibt Le Carré selbst in den 2016 unter dem Titel «Der Taubentunnel» herausgekommenen «Geschichten aus meinem Leben». Und zum andern in seinen Briefen, aus denen Tim Cornwell, Sohn von Ann, Le Carrés erster Ehefrau, 2024 unter dem Titel «Ein diskreter Spion», eine Auswahl herausgebracht hat. Auch er hat dabei gründliche Arbeit geleistet. 

In seinen Kapitel-Einleitungen rekonstruiert Tim Cornwell einzelne Phasen von Le Carrés zeitweise recht ruhelosem Leben, und in den Fussnoten schlüsselt er alle Anspielungen in den vielen, lange von Hand geschriebenen und nicht selten mehrseitigen Briefen auf. Wenn Le Carré in Cornwall ist, wo er sich 1969 auf einer Klippe drei baufällige Häuschen plus Scheune gekauft und nach und nach ausgebaut hat, dann schreibt er am frühen Morgen an einem seiner Romane, macht am Nachmittag einen Spaziergang und kümmert sich dann um die Korrespondenz und geschäftliche Angelegenheiten. 

Auch Leserinnen und Leser bekommen dann Antwort, die sich an ihn wenden – etwa jene Betty Quail, die vorgeschlagen hat, George Smiley könnte ja römisch-katholisch werden, was «die Antwort auf viele seiner Probleme» wäre, auch das seiner Ehe. Er sehe zwar nicht, dass Smiley «in naher Zukunft von Ann oder der katholischen Kirche umarmt werden wird», schreibt Le Carré zurück, «aber ich werde ihm sicherlich von Ihren Hoffnungen berichten, wenn wir uns das nächste Mal unterhalten!»

«Unbeständig, fordernd, stets bestrebt zu gefallen»

Es gibt allerdings Leerstellen. Die Sammlung enthalte «nur ein paar vereinzelte Briefe an seine Liebschaften, von denen es im Laufe seines Lebens eine ganze Reihe gab», denn sein Vater sei «ängstlich darauf bedacht gewesen, seine romantische Korrespondenz unter Verschluss zu halten», schreibt Tim Cornwell. Und weiter: «Als Sohn eines ausfälligen Vaters und einer Mutter, die ihn und seinen Bruder aus verständlichen Gründen verliess, als er fünf war, war er recht eigensinnig, was seine Beziehungen anging: unbeständig, fordernd, stets bestrebt zu gefallen.»

Einfach war es nicht mit diesem Menschen, das sieht im «Taubentunnel» auch der 84-Jährige ein in einem Kapitel, in dem er auf Ronnie zu sprechen kommt: «Hochstapler, Phantast, immer wieder mal Knastbruder und mein Vater». Ein Mann mit Stil, und meistens, wenn er sich meldet, ohne Geld. Ein schwacher Trost, wenn Le Carré Graham Greene zitiert. «Er schreibt, das Guthaben eines Schriftstellers sei seine Kindheit. Nach dieser Rechnung zumindest bin ich als Millionär auf die Welt gekommen.» Im Rückblick auf seine Kindheit erinnere er sich an keinerlei Gefühl der Zuneigung, ausser zu seinem älteren Bruder, der eine Zeitlang Elternersatz gewesen sei, schreibt Le Carré ganz ungeschminkt. Er erinnere sich an eine grosse innere Anspannung, die selbst im hohen Alter nicht nachgelassen habe.

Dies alles habe ihn «zum geeigneten Rekruten der geheimen Flagge» gemacht. Passiert ist es in Bern, wohin er sich zu einem Studienaufenthalt an der Universität aus einer englischen Privatschule geflüchtet hat. Und wo ihn der englische Geheimdienst anwirbt, um die linke Szene zu beobachten. Es ist auch sein Sprungbrett in die deutsche Literatur. Und, über den Geheimdienst, für den er von 1948 bis 1963 arbeitet, zum Schreiben. Ihm bleibt er treu, seinen Ehefrauen weniger. Und auch die Schweiz wird zu einer festen Grösse in seinem Leben. Als junger Mann fährt er gern Ski, später baut er sich in Wengen ein Chalet. Und schaut, während er im «Taubentunnel» leichtfüssig, aber doch auch ernst Bilanz zieht, hoch zu Eiger, Mönch und Jungfrau. «Ich war weder ein Mustergatte noch ein Traumvater, und ich bin auch nicht daran interessiert, mich als solche auszugeben. Die Liebe kam, nach vielen Fehltritten, erst spät zu mir. Meine moralische Erziehung verdanke ich meinen vier Söhnen.»

Die haben sich nun, mit «Smiley» und mit «Ein diskreter Spion», erneut erkenntlich gezeigt. 

Nick Harkaway: Smiley. Berlin 2025, 367 Seiten.
John le Carré: Tinker, Tailor, Soldier, Spy. Berlin 2024, 447 Seiten
John le Carré : Der Taubentunnel. Geschichten aus meinem Leben. Berlin 2016, 382 Seiten
John le Carré: Ein diskreter Spion. John le Carrés Briefe. Herausgegeben von Tim Cornwell, Berlin 2024, 784 Seiten

Alle Ullstein-Verlag – wo auch die anderen Smiley-Romane im Taschenbuch erhältlich sind.

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