Siebzehn Länder sowie die 22 Mitglieder der Arabischen Liga und die gesamte Europäische Union unterstützten einen siebenseitigen Text, der am 29. Juli als «New Yorker Erklärung» einer Konferenz der Vereinten Nationen zur Wiederbelebung der Zwei-Staaten-Lösung vorgelegt wurde. Mitgetragen wird sie unter anderem von Saudi-Arabien, Katar, Ägypten, Jordanien und der Türkei.
Die «New Yorker Erklärung» verurteilt explizit den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und fordert die Hamas auf, alle Geiseln freizulassen, ihre Waffen abzugeben und ihre Herrschaft über den Gazastreifen zu beenden. Die Erklärung enthält einen Stufenplan zur Beendigung des fast acht Jahrzehnte andauernden Konflikts und des anhaltenden Krieges im Gazastreifen. Der Plan sieht ein unabhängiges, entmilitarisiertes Palästina vor, das friedlich neben Israel existiert und schliesslich in die grössere Region des Nahen Ostens integriert wird.
Die Dramaturgie, die die Publikation der Erklärung begleitet, vermittelt den Anschein, als verberge sich hinter dem Text eine dramatische geopolitische Wende der arabischen Politik gegenüber Gaza und Israel. Tatsächlich ist dieser Eindruck gewollt, denn als Ausdruck einer Wende gewinnt der Gehalt der Erklärung natürlich Legitimität. Und diese Legitimität ist für den Erfolg der Initiative zugunsten einer Zwei-Staaten-Lösung unabdingbar.
Neuartige arabische Entschiedenheit gegen die Hamas
Die Haltung der arabischen Staaten, die sich an dieser Initiative beteiligen, ist nicht neu: Schon vor Wochen zeichnete sich ab, dass sie nicht nur die Freilassung aller Geiseln fordern, sondern ein Ende der militärischen und politischen Herrschaft der Hamas. Schon zuvor hatte die Palästinensische Autonomiebehörde entsprechende Forderungen erhoben. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte schon früher unverhohlen die Hamas zur Kapitulation aufgefordert. Es gab und gibt darüber hinaus schon konkrete Überlegungen, wie die Machtübergabe ablaufen und wie sie gesichert werden soll.
Das Besondere an dieser «Erklärung von New York» ist weniger der Forderungskatalog selbst als die Tatsache, dass sie nun auch von Staaten wie Qatar und der Türkei, ja von der Arabischen Liga und der EU getragen wird. Damit hat sich erstmals seit langem wieder eine substanzielle Interessenspartnerschaft zwischen der Arabischen Welt und der EU ergeben, die den Rahmen für eine geopolitische Neuordnung jenseits der Trumpschen Nahostpläne bilden könnte.
Bemerkenswert ist, dass die «New Yorker Erklärung» von Katar und der Türkei unterzeichnet wurde. Beide Staaten galten bis vor kurzem als die wichtigsten strategischen Verbündeten der Hamas nach dem Austritt Irans aus dem Konfliktraum. Doch beide Staaten gingen auf Distanz zur Hamas. Schon vor Monaten hatte sich abgezeichnet, dass eine Vermittlung in erster Linie der Freilassung der Geiseln dienen müsse und nicht der Konsolidierung der Macht der Hamas in Gaza.
Das hat die Hamas deutlich zu spüren bekommen, weshalb sie versuchte, die Geiseln auch gegen die Vermittler ins Spiel zu bringen. Dadurch aber wurde selbst Katar erpressbar. Ägypten hatte sich schon der älteren saudi-arabischen Initiative angeschlossen, die den Hintergrund der aktuellen Erklärung bildet. Katar und im Bunde die Türkei mussten einsehen, dass sie die Hamas aus dem Spiel nehmen müssen, um zu einer Befriedung der Lage zu gelangen und um zu verhindern, dass sie bei einer zukünftigen Regionalpolitik nicht isoliert werden. Saudi-Arabien und die Emirate geben den Takt vor, und nun haben sich aus guten Gründen auch Katar und die Türkei eingereiht. Nicht zuletzt dürfte ein ideologisches Moment eine Rolle gespielt haben. Der religiöse Ultranationalismus der Hamas wird in der arabischen Welt als hochgradig staatszersetzend angesehen.
Arabisch-europäische Annäherung
Die breite Anerkennung der Erklärung ist zunächst einmal ein diplomatischer Erfolg Saudi-Arabiens, das schon vor mehreren Monaten sachähnliche Vorschläge zur Lösung des Gazakriegs gemacht hat. Die Tatsache, dass die Europäer nun in diese Strategie einstimmen und dass diese europäisch-arabische Erklärung zustande kam, ist schwerlich als Resultat europäischer Machtpolitik zu sehen. Die arabischen Staaten, aber auch Länder wie die Türkei und Indonesien, empfinden die europäische Politik weniger als Druck denn als Angebot.
Der Nahe Osten hat zwar geopolitisch an Bedeutung verloren, dennoch spiegelt sich die wachsende Kluft zwischen den USA und ihrer neuen Kultur des populistischen Autoritarismus auf der einen Seite und Europa als Lager freiheitlicher Demokratien auf der anderen Seite auch im Nahen Osten. Die Regierung Netanjahu hat Israel durch die Anbindung an die Trumpsche Politik von Europa entfremdet, was im Gegenzug bedeutet, dass sich die Arabische Welt dem europäischen Lager zuwendet, mit entsprechenden Erwartungen auch in der arabischen Welt selbst. Dort lassen aktuelle Umfragen erkennen, dass mehr als drei Viertel der Bevölkerung eine weitgehende Demokratisierung und Liberalisierung von Staat und Gesellschaft erwarten. Massgeblich ist, dass die EU schon 1991 die Anerkennung neuer Staaten, damals im Kontext des Zerfalls der UdSSR und Jugoslawiens, an die Bedingung demokratischer und freiheitlicher Staatsreformen knüpfte. Diese Reformerwartung wird auch von dem derzeitigen Hoheitsträger des Staats Palästina, der Autonomiebehörde, entgegengebracht. Daher ist es weniger der Druck der EU oder der USA, der die arabischen Staaten zu diesem Schritt bewegt hat, sondern die Einsicht, dass eine Lösung des Konflikts um Palästina nur im Konzert mit Europa möglich ist.
Stärkung der Palästinensischen Autonomiebehörde
Die «New Yorker Erklärung» räumt der Palästinensischen Autonomiebehörde ein Mitsprachrecht in Gaza ein. Gaza soll also Teil des palästinensischen Staatsgebiets werden. Hussein al-Scheich, der palästinensische Vizepräsident, hatte deutlich gemacht, dass eine Restauration der Macht der Autonomiebehörde über Gaza nur mit einer umfassenden Staats- und Verwaltungsreform gelingen kann; daher könnte die Behörde in einer längeren Übergangsphase nur an der Macht beteiligt sein. Al-Scheich hatte zudem durchblicken lassen, dass sogar eine Sicherheitskooperation mit Israel, etwa in Form gemeinschaftlicher Patrouillen, denkbar wäre.
Die Autonomiebehörde setzt alles daran, in dem Konflikt nicht das schmollende Mauerblümchen zu bleiben, als das sie in den letzten Monaten wahrgenommen wurde. Sie muss zeigen, dass sie in dem künftigen Staatsgebiet, also auch in Gaza, über eine Durchsetzungsmacht verfügt, dass palästinensische Polizeieinheiten, die in Gaza stationiert würden, auch von der lokalen Bevölkerung respektiert werden und dass es ihnen gelingt, nicht nur die entwaffneten Reste der Hamas in Schach zu halten, sondern auch die kriminellen Banden zu entwaffnen. Schliesslich müsste die Autonomiebehörde zeigen, dass sie das Vertrauen der Bevölkerung geniesst und in der Lage ist, ein Gewaltmonopol durchzusetzen. All dies kann nur im Kontext einer internationalen Stützung gelingen.
Wer setzt den Kurs? USA oder Europa?
Im Optimum könnte diese Initiative der Schlüssel dafür sein, die Idee einer gerechten Teilung der politischen Souveränität zwischen einem jüdischen Staat Israel und einem arabischen Staat Palästina Wirklichkeit werden zu lassen, also den nie implementierten UN-Teilungsplan für Palästina vom 29. November 1947 (Resolution 181 (II)) ausser Kraft zu setzen. Das würde alle künftigen Aushandlungen der nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und Palästina auf eine völlig neue Ebene heben. Im schlechtesten Fall würde es den USA und Israel gelingen, diese Initiative durch Nichtbeachtung so zu entwerten, dass sie nicht einmal helfen könnte, die Lage in Gaza zu befrieden.
Überspitzt gesagt: Die Zukunft in Gaza entscheidet sich auch am Fortgang der amerikanisch-europäischen Konkurrenz. Dessen ungeachtet wird die Eindeutigkeit, mit der sich die Arabische Liga und ihre Führungsmächte, also die Golfstaaten, Ägypten und Jordanien, für das Ende der Hamasherrschaft ausgesprochen und zugleich den Terror vom 7. Oktober 2023 verurteilt haben, dazu beitragen, dass die Hamas tatsächlich den Ausweg wählen wird, der ihr schon seit Dezember 2023 angeboten wurde: die Waffen niederzulegen und mit den führenden Kadern und den restlichen Kampfverbänden sowie ihrem Tross ins Exil zu gehen.
Ich denke, die arabischen Staaten haben die «Erklärung von New York» nicht nur mitunterzeichnet, weil sie von der Sache überzeugt sind, sondern weil sie auch eine Chance der Realisierung sehen. Damit könnte diese Erklärung eine Dynamik auslösen, die tatsächlich zum Ende des Kriegs führt.