Was sind Geister? Gibt es Geister? Das Kunstmuseum Basel fragt in einer Ausstellung nach ihren Spuren – und nach den Spuren des Übernatürlichen überhaupt in der Kunst und bleibt in den Konturen ungenau. Und nebulös?
Eine kleine Zeichnung Paul Klees aus dem Jahr 1916 zeigt eine Art Strichmännchen. Eins liegt, mit vor Schreck aufgerissenen Augen, auf dem Boden. Die Gestalt in der Mitte blickt bös auf eine schwer zu deutende Szene, der Klee den Titel gab «Spiritistische Katastrophe». Rätselhaft? Vielleicht, denn die ganze Ausstellung im Neubau des Basler Kunstmuseums ist rätselhaft, obwohl die Kuratorin Eva Reifert zahlreiche Fachleute als Beraterinnen und Berater beizog. Fachleute wofür? Für Zwischenbereiche, Parapsychologie, Okkultismus oder Ektoplasma und Mediumismus. Oder für «spiritistische Katastrophe»?
Die Ausstellung handelt, ohne genau zu sagen, was denn «Geister» sind, von ihren Spuren in der visuellen Kultur. Und diese Spuren sind zahlreich. 160 Beispiele aus den vergangenen rund 300 Jahren sind in den neun Museumsräumen zu sehen, darunter viele aus jüngster Zeit. Ob es denn immer Kunst ist oder nicht, was gezeigt wird, werden die Besucherinnen und Besucher selbst herauszufinden haben. Einiges zählt sicher und ungefragt zur Kunst und stammt auch aus Kunstmuseen und ihrem konventionellen Kontext. Werken von Katharina Frisch, Tony Oursler, René Magritte, Mike Kelley, William Blake, Gabriel von Marx, Odilon Redon, Willie Doherty oder Sir John Everett Millais und manch anderen ist der Kunst-Status kaum abzusprechen.
Anderes wirkt wie eine meist fotografische Dokumentation der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Mode gekommenen intellektuellen Neugier auf Übersinnliches, Spiritismus und Okkultismus. Thomas Mann und viele andere bezeugten dieses Interesse. Wirkliche oder selbsternannte Fachleute für die damit verbundenen Zwischenbereiche der Wahrnehmung wie der Arzt und Psychologe Albert Freiherr von Schrenck-Notzing konnten um die Jahrhundertwende enormes Echo auf ihre Arbeit verbuchen. Und in den «Salons» von München oder London feierten Künstler wie Gabriel von Max, Albert von Keller oder eben Millais mit einschlägigen Sujets ihre künstlerischen und gesellschaftlichen Erfolge.
Täuschung mit Fotografie
Das immer noch junge Medium der Fotografie eignete sich, dank seiner technischen Möglichkeiten, das Bild der Wirklichkeit zu verändern und doch den Anschein zu erwecken, das Bild sei authentisch, bestens für diese Dokumentationen, die in der Basler Ausstellung zahlreich zu sehen sind – und es eignete sich auch für Täuschungen und betrügerische Manipulationen, denen zahlreiche Menschen auf den Leim gingen.
Die Ausstellung im Basler Kunstmuseum hält sich in der Beurteilung dieser Sachverhalte zurück und überlässt es seinem Publikum, sich seinen Reim auf die Exponate zu machen. Beispiel dafür ist das «Ektoplasma», jene spontan aus den Körpern jeweiliger Medien ausfliessende weisse, oft schleimige Materie. Schrenck-Notzing verkaufte das offenbar als Tatsache, während Kritiker der Parapsychologie an der Existenz dieses Stoffes zweifelten. Dass zeitgenössische Künstler wie Mike Kelley nicht mindestens einen gewissen ironischen Unterton ins Spiel brachten, scheint wahrscheinlich. Ebenso scheint Sigmar Polke mit Selbstironie zu spielen, wenn er im Protokoll einer Sitzung mit William Blake (1757–1827) seine Beziehung zum phantastischen Maler/Dichter belegt. Blake darf in einer Ausstellung zum Thema «Geister» natürlich nicht fehlen. Zu sehen ist denn eine seiner Illustrationen zu Shakespeares Werk, in dem ja oft Gespenster auftreten. Blakes berühmtester Beitrag zum Thema allerdings fehlt – die 1819/20 entstandene winzig kleine Malerei «The Ghost of a Flea» aus der Tate Britain in London. Es wäre eine Sensation, hätte das Meisterwerk den Weg nach Basel gefunden.
Obwohl nicht nur «The Ghost of a Flea» fehlen muss, sondern auch manch anderes Desiderat: Die Ausstellung beruht auf grosser Recherchierarbeit. Sie trägt ungezähltes Material zusammen und breitet es an den Wänden und in Vitrinen aus. So lädt sie zum Verweilen und zum Bedenken der Vielfalt der Exponate ein und trägt zu derer kritischer Würdigung bei. Sie spannt den Rahmen nicht zu weit, lässt beispielsweise das ganze Mittelalter beiseite, ebenso jeden aussereuropäischen Kulturraum, obwohl etwa der in Afrika und auch Asien weit verbreitete Animismus und Ahnenkulte manch bedeutendes Material beibringen könnten. Ebenso müssen die Besucherinnen und Besucher selber die möglichen und sich oft geradezu aufdrängen Brücken zu christlich-religiösen Bildwelten schlagen.
Trotz allem gute Kunstwerke
Man könne eben nicht alles tun, und man wolle das Vorhaben auch nicht überladen, war von Beteiligten zu hören. Natürlich soll das Publikum nicht überfordert werden. Doch in einem so anspruchsvollen Unternehmen wie «Geister – dem Übernatürlichen auf der Spur» steckt die Gefahr ausfransender Ränder, fehlender stringenter Konturen und des Nebulös-Unklaren. Nicht übersehen sei aber, dass trotz dieser Unschärfen auch Begegnungen mit bedeutenden Kunstwerken möglich sind, die den im Titel erwähnten Rahmen sprengen und, autonom, für sich selber stehen. Ein Beispiel neben vielen anderen ist Willie Dohertys «Ghost Story». Das Video zeigt eine «Geisterfahrt» durch Ulster und die Schauplätze der tragisch-blutigen Vorkommnisse der Nordirland-Unruhen. Ein zweites Beispiel ist Rachel Whitereads «Poltergeist».
Zu sehen ist nicht der Geist, sondern was er hinterlassen hat – die von einer Explosion im Innern zerstörte Hütte.
Und schliesslich Katharina Fritschs «Gespenst und Blutlache», eine mit weissem Tuch verhüllte Gestalt vor einer dunkelroten Lache – eine hintergründige, zu mancherlei Assoziationen und mehrschichtigen Interpretationen anregende Skulptur. Diese Beispiele rufen eine alte Wahrheit ins Bewusstsein: Zur Kunst gehört stets, dass sie nach Spuren des Unsagbaren, des Unerklärlichen oder eben des Übernatürlichen fragt – meist ohne mit einer Antwort aufwarten zu können.
Die Geister-«Uniform»
Katharina Fritschs «Geist» wird von einem weissen Leintuch verhüllt und trägt damit die eigentliche Geister-«Uniform», jenes Kleid, das wir – und nicht nur wir, sondern auch die ganze Geschichte der Bilder – traditionell mit Geistern in Verbindung bringen: Wenn wir als Kinder «Geist» spielen wollten, warfen wir ein Leintuch über und schnitten zwei Löcher für die Augen ins Tuch. Genau so verfährt Tony Oursler mit seinem «Fantasmino», einer knapp 50 cm hohen «Geist»-Puppe. Eine Video-Konstruktion gibt den Augen in den ausgeschnittenen Löchern Leben: Für die Ausstellungsmacher ein geeignetes Maskottchen für ihr Unternehmen.
Im letzten Raum der Ausstellung wartet der britische Konzeptkünstler Ryan Gander mit einer Überraschung auf: Der Raum ist völlig leer. Ist das der Schauplatz von Paul Klees «spiritistischer Katastrophe»? Allerdings spürt man beim Betreten des Raumes einen Windhauch. Ob der Windhauch nicht die beste Antwort auf die Frage ist, was denn ein Geist sei?
Kunstmuseum Basel Neubau. Bis 8. März. Der von Eva Reifert betreute Katalog erschien im Christoph Merian Verlag, Basel (20 Franken).