
Das der konkret-konstruktiven Kunst verschriebene Haus zeigt unter dem Titel «Mantel» ausgewählte Arbeiten des diesjährigen Gewinners des Zurich Art Prize, Olaf Holzapfel. Die Ausstellung ist ein zum Denken anregender sinnlicher Genuss.
Olaf Holzapfel kommt aus Dresden. Er war 21-jährig, als die Mauer fiel, alt genug, um als leidenschaftlich an Kunst Interessierter zu verstehen, weshalb die stalinistische Diktatur mit ihrer Kulturdoktrin des «sozialistischen Realismus» die freie Entfaltung der Künste unterdrückte. Holzapfel wusste sehr gut, dass es dem Parteiapparat darum ging, die Kunstschaffenden, diese notorisch unbotmässige und eigensinnige Menschengattung, unter Kontrolle zu halten. Die Kultur hatte dem Aufbau des Sozialismus zu dienen. Darunter verstanden die Apparatschiks generell die heroische Darstellung proletarischen Lebens und Arbeitens im reglementierten «realistischen» Stil und im Besonderen die Propagierung der jeweils von der Partei verordneten Parolen.
Doch die DDR war ja nicht komplett abgeschottet. Man konnte durchaus in Erfahrung bringen, was in der Kunstwelt des Klassenfeinds vor sich ging. Holzapfel hatte damals schon klare Vorstellungen von den radikalen Neuerungen, die jenseits des Eisernen Vorhangs, aufbauend auf den kunstgeschichtlichen Umwälzungen des frühen 20. Jahrhunderts, entstanden waren. So war ihm insbesondere auch die konkrete und konstruktive Kunst als Manifestation der Freiheit ein Begriff. Das kreative Arbeiten mit den Elementen bildnerischen Gestaltens hatte der Kunst ein neues Feld jenseits des Darstellens erschlossen, das sich nicht mehr ideologisch vereinnahmen liess. Vor derartigen Freiräumen hatte die allein herrschende Partei einen wahren Horror, und ebendies machte die persönliche Annäherung an solche Kunstrichtungen für Leute wie Olaf Holzapfel unendlich anziehend.
Nun hat der inzwischen in Berlin und Brandenburg lebende Olaf Holzapfel eine Ausstellung in eben jenem Museum, das ausgerechnet das konkret-konstruktive Erbe pflegt und stetig aktualisiert. Wie sehr er im Haus Konstruktiv am richtigen Ort ist, beweisen seine dort gezeigten Arbeiten, die sich durchwegs mit dem Elementaren des Gestaltens auseinandersetzenden.
Holzapfels Werktitel sind stets kleine Rätsel, die auf Umwegen ein Verständnis anbahnen können. Warum heisst die raumgreifende Installation aus Fachwerkelementen «Alphabet»? Zu sehen sind von Zimmerleuten bearbeitete Balken, von denen einige so zu Konstruktionen gefügt sind, dass sie die Idee eines umschlossenen Raums skizzieren. Die Massivität des Materials kontrastiert mit der Fragilität und Vorläufigkeit des Gebildes. Was vor Augen steht, ist mehr eine Ansammlung von Buchstaben als ein lesbarer Text. Was «Haus» bedeutet, ist hier dekonstruiert in einzelne Bauelemente; aber man kann diese Teile nicht betrachten ohne den Bezug zur Idee eines Hauses und der damit verbundenen Assoziationen des Schutzes, Wohnens und Zusammenlebens.
Gleich nebenan steht eine Skulptur aus Reet, dem traditionellen Material, mit dem in manchen Gegenden noch immer Häuser gedeckt sind. «Mantel» heisst sie, und hier erschliesst sich der Titel sofort: Begibt man sich in den Innenraum der gekurvten Form, so ist man ummantelt, geschützt und überraschend wirksam gegen Geräusche abgeschirmt. So wie es etwa im Norden Deutschlands überzeugende moderne Bauten gibt, die das Reet in neue Architektursprachen einbeziehen, so tritt es hier als Werkstoff zeitgenössischer Skulptur in ganz selbstverständlicher Weise in Erscheinung. Holzapfels Umgang mit natürlichen Materialien bewegt sich auf einem Niveau, auf dem die Materialität mit Form und Gehalt des Werks ein unangestrengtes Ganzes bildet. Nicht umsonst gibt diese hinreissende Arbeit der Ausstellung den Namen.
Das Objekt «Mantel» steht für die ästhetisch-handwerkliche Perfektion, die Holzapfels Arbeiten generell auszeichnet. Die Vervollkommnung, die er anstrebt, ist nie jene eines abstrakten Formideals, sondern die des kunstgerechten handwerklichen Umgangs mit dem jeweiligen natürlichen Material.
Aus geschälter Weide hat Holzapfel eine Reihe von Objekten geschaffen, die er «Baum» nennt. Es handelt sich um Röhren verschiedener Länge und variablen Durchmessers, die – angesichts der an Beton- oder Metallrohrstücke gemahnenden Formen durchaus irritierend – in traditioneller Korbflechtermanier ausgeführt sind. Sie liegen als erratische Stücke neben «Mantel» und «Alphabet» am Boden.
Schlicht hinreissend sind vier grossformatige Objekte, die man eher als Wandreliefs denn als Bilder benennen möchte. In der Art von Textilarbeiten sind sie aus dicken Strängen von Heu gewebt (Bild ganz oben). Wer den Saal betritt, wird von intensivem Heuduft empfangen. Die vier Arbeiten tragen alle den Namen «Lichtbild». Auch hier also eine Bezeichnung, die nicht auf der Hand liegt, dafür aber die Phantasie stimuliert, die wohl beim Verbinden von Heu und Licht durchaus fündig werden dürfte.
Im gleichen Raum ist auch eine Serie von Strohbildern ausgestellt. Hölzerne Bildtafeln sind eng mit Strohhalmen beklebt, die vibrierende grafische Effekte erzeugen. Auch hier bestimmt das Material die Gestaltung, indem die Länge der Halme der bildnerischen Freiheit natürliche Grenzen setzt. Zum Teil hat Holzapfel das Stroh mit natürlichen Farben von Hand koloriert.
Olaf Holzapfel ist Träger des Zurich Art Prize 2024. Dieser von Haus Konstruktiv jährlich ausgelobte Preis besteht in der Ausrichtung einer Ausstellung und eines Preisgelds im Wert von insgesamt 100’000 Franken. Hinter diesem seit 2007 bestehenden kulturpolitischen Engagement stehen eine hochkarätig besetzte internationale Jury, die jedes Jahr eine aufwändige Evaluation durchführt, sowie als Patronatspartner von Haus Konstruktiv die Zurich Versicherungen.
Zeitgleich mit der Ausstellung Olaf Holzapfel zeigt Haus Konstruktiv unter dem Titel «Stories Written» einen Rückblick auf den Zurich Art Prize, der nicht nur Werke der Preisträgerinnen und Preisträger versammelt, sondern auch Einblick in die Besetzung der Jurys sowie die von diesen eingereichten Shortlists gibt. Die Namenliste bildet ein Who-is-who der aktuellen Kunstszene.
Museum Haus Konstruktiv Zürich
Olaf Holzapfel: Der Mantel
30. Mai bis 8. September 2024
Stories Written – Zurich Art Prize Winners 2007–2023
30. Mai bis 8. September 2024