Am Sonntag ist das 21. Zurich Film Festival zu Ende gegangen. Zwei Preisträger sind mit Goldenen Augen ausgezeichnet worden: bei den Spielfilmen die tschechische Produktion «Father» von Tereza Nvotová, bei den Dokumentarfilmen «I Love You, I Leave You» des Schweizers Moris Freiburghaus, der auch den Publikumspreis erhielt.
Die Zahl von 135‘000 Besuchern (34‘000 davon aus Rahmenprogrammen), die das Festival vermeldet, entspricht den Vorjahren. Bloss: Das sind selbstverständlich nicht Besucher, sondern Eintritte.
Finanzielle Herausforderung
Wenn’s tönt wie Wagner in der Manege, dann setzt das Zurich Film Festival seine akustische Duftmarke. Visuell betreibt das Signet derweil Koloskopie im Reich der Holothurien, die sich in dunkler Nacht winden, an deren Ende es aber golden schimmert. Fast wie bei Trump warten da draussen denn auch Golden Icon (dieses Jahr Colin Farrell) und viermal Golden Eye (Dakota Johnson, Claire Foy, Benedict Cumberbatch, Wagner Moura – alle selbstverständlich mit ihren neusten Filmen da).
Kein Wunder, ist man angesichts von soviel Edelmetall versucht zu sagen, redet man beim Festival mit einem Budget von 14 Millionen Franken und 27 Festangestellten von einer «grossen Herausforderung», was die Finanzierung betrifft. Zu reden gegeben haben aber auch Ticketpreise von bis zu 90 Franken. Herausgefordert dürften sich vor allem die vier neuen Eigentümer fühlen, an der Spitze Christian Jungen, Künstlerischer Direktor des Festivals. Sie haben die Veranstaltung in einem Management-Buyout ungenannter Höhe von der NZZ übernommen, die aber «Medienpartnerin» bleibt. In einem der «Industry Talks» war «Ultra Microbudget Filmmaking» Thema – immerhin, von «ultra microbudget festivalmaking» scheint noch niemand reden zu wollen.
Chinesisches – von aussen
Bekanntlich ist keineswegs alles Gold, was glänzt. Positiv gesagt: Keiner der zum Teil durchaus glanzvollen Filme, die wir gesehen haben, ist irgendwie mit Gold behängt worden. Geld in rauhen Mengen wird in «Ballad of a Small Player» von Edward Berger verschoben.
Das den Protagonisten nicht im Geringsten interessiert. Denn dieser «Lord Doyle», der da in Macau Hotelsuiten von der Grösse von Ballsälen bewohnt, ist zwar ein Hochstapler und übler Betrüger, der zu Hause grosse Summen veruntreut hat und dem deshalb eine Agentin aus der fernen Heimat auf den Fersen ist. Mehr noch aber ist er eine verlorene Seele, wie es einmal heisst, ein unrettbar seiner Spielsucht verfallenes Exemplar, der er ohne Geld und Glück Nacht für Nacht und zunehmend verzweifelt auf Pump obliegt.
Colin Farrell verkörpert diesen «Lord», der zu Hause in Irland ein simpler Reilly ist, wie ihm die bieder bestrumpfte und beschuhte Agentin Tilda Swintons vorrechnet, vergnüglich als elegant-farbenprächtigen Paradiesvogel. Zunehmend weckt er aber unser Mitgefühl bei seinem Abstieg, der in der Katastrophe enden müsste, hielte ihm das Drehbuch nicht eine märchenhafte Wendung zum Glück bereit, die uns zwar erleichtert, aber nicht ganz überzeugt zurücklässt. Der 1970 in Deutschland geborene Edward Berger (mit Zürcher Mutter und österreichischem Vater) inszeniert diese in Sichtweite Hongkongs gelegene chinesische Variante von Las Vegas nicht einfach als verführerische Illusionsfassade. Er vermag, wenn Farrell mit seinen eleganten (allerdings nicht Savile Row, wie Lordschaft behaupten, sondern bloss «China») gelbledernen Handschuhen die Karten millimeterhoch anhebt, mehr Spannung zu erzeugen als irgendeine dieser immergleich-öden Bond-Kasino-Szenen.
Nicht weit ist China bekanntlich von Taiwan. In «The Left-Handed Girl» von Shih-Ching Tsou allerdings auf unerwartete Weise. Der Sohn der Familie, von der wir praktisch nur die weiblichen Mitglieder zu sehen bekommen, kommt einzig zum runden Geburtstag der Mutter aus China zurück, wo er offenbar ein gutgehendes Geschäft betreibt. Und einem der jüngeren Familienmitglieder wird eine erfolgreiche Karriere als Sängerin in China vorhergesagt. In keiner andern nationalen Kinematographie wird soviel gegessen beziehungsweise hat das Essen einen derartigen Stellenwert wie in der chinesischen. Nicht anders hier, wo die Mutter, die mit ihren beiden Töchtern (wie wir lange annehmen müssen) zurück nach Taipeh in eine triste Schlauchwohnung gekommen ist, die Familie mit einem Imbissstand in einem Nachtmarkt durchzubringen versucht, während der Vater im Spital im Sterben liegt.
Hinreissend, wie die kleine Nina Ye als I-Jing dem Film den Stempel aufdrückt, ein ebenso kindliches wie souveränes Persönchen. Beinah fatale Folgen hätte die Intervention des trottelig-bornierten Grossvaters, der der kleinen Linkshänderin einbläut, dass dies die Hand des Teufels sei. Köstlich und, für einen Moment, schreckenerregend, welche Nutzanwendungen die Fünfjährige in der Folge aus dieser verqueren Logik schöpft. Der mit iPhones aufgenommene Film wäre ohne Sean Baker, der Drehbuch und Schnitt verantwortet, wohl kaum zustande gekommen. Auch so reichen die Anfänge des Projekts von Tsou, die mit Baker bereits seit dessen Spielfilmerstling, «Take Out» (2004), zusammenarbeitet, weit vor das Multi-Oscar-Goldene-Palme-Vehikel «Anora» (2024) des Amerikaners zurück.
Familienfilme der besonderen Art
Um die Kinder geht es auch im Wettbewerbsfilm «On vous croit» der Belgier Arnaud Dufeys und Charlotte Devillers: Der Filmtitel ist das von dritter Seite an sie gerichtete Schlusswort. Während einer vollen Stunde, achtzig Prozent des kurzen Films, haben wir zuvor erst den beiden Anwältinnen, hierauf dem Vater, der kategorisch bestreitet, sich an seinem Sohn vergangen zu haben, und schliesslich der bereits zu Filmbeginn als nervliches Wrack in Erscheinung getretenen Mutter zugehört, die vor einer (klugen) Richterin ihre Positionen darlegen. Nach den eindringlichen Ausführungen der Mutter, die schildert, wie beide Kinder strikt jeden Kontakt zum Vater verweigern, der ein Besuchsrecht durchsetzen will, verstummt dann allerdings auch dessen polemische Anwältin. Ein beeindruckend dicht inszenierter Erstlingsfilm.
Auch «The Love That Remains» beziehungsweise «Ástin sem eftir er», wie der Isländer sagt, ist ein Familienfilm. Freilich einer der besonderen, geradezu surrealistisch verspielten Art. Hlynur Pálmason, dem wir eigenwillige Filme wie «Winterbrüder», «Weisse, weisse Tage» und zuletzt die ungewöhnliche historische Expedition in ein Island des 19. Jahrhunderts, «Godland», verdanken, sagt hier allem Realismus Valet. Ohne, und das ist das Kunststück, auf psychologische Durchdringung der Figuren und Wiedererkennbarkeit isländischer Gegenwart samt deren Faible fürs Übersinnliche zu verzichten.
Witzig, wie die Zwillinge gemeinsam einen mächtigen Dorsch ins Bild halten, dann je einen Schritt zur Seite treten, nun jeder mit seiner sauber abgetrennten Hälfte Fisch.
Oder wenn die Vogelscheuchenskulptur, die den Kindern den Sommer über als Zielscheibe im Bogenschiessen gedient hat, eines Nachts plötzlich damit beginnt, sich die Pfeile aus dem Leib zu reissen. Mutter der drei Kinder ist Anna (Saga Garðarsdóttir), die als Künstlerin eindrucksvolle, den Elementen ausgesetzte Stoff- und Metallskulpturen in urtümliche Landschaften setzt und dabei einen unerträglichen Stockholmer Galeristen erduldet. Nicht zu vergessen den Ehemann, von dem sie sich getrennt hat, dem sie aber eben auch, in einer zauberhaften Einstellung, einen sommerlich-lockenden Blick unter ihren Rock gewährt. Als Fischer und Spezialist für das Entschärfen von Treibminen aus dem letzten Weltkrieg wird er zuletzt als einsam blinkendes Treibgut im nächtlichen Nordatlantik dahindriften.
Eine besondere Variante des Familienlebens schliesslich erprobt «Roofman» von Derek Cianfrance, dem Regisseur so ungewöhnlicher «Familienfilme» wie «The Place Beyond the Pines» oder «The Light Between Oceans». Channing Tatum verkörpert darin ansprechend diesen Jeffrey Manchester, einen ehemaligen Soldaten, der gemäss Abspann noch bis 2036 eine Gefängnisstrafe wegen zahlloser Einbrüche und Überfälle auf McDonald’s-Filialen verbüsst, dessen Meisterstück es aber war, sich nach einem Gefängnisausbruch auf der Flucht vor den raffiniert übertölpelten Behörden rund ein halbes Jahr in einer Filiale des Spielzeugwarenhauses Toys“R“Us einzurichten. Handwerklich-technisch begabt, schaltet er die Überwachungsanlagen ebenso gekonnt aus, wie er sie, mit Babyphones und dergleichen, zum eigenen Informationssystem umfunktioniert. So weiss er mit der Zeit nicht nur über Abläufe und Tresor Bescheid, sondern auch über die Mitarbeiter, vom ekligen Chef (Peter Dinklage) bis zur geschiedenen Leigh (Kirsten Dunst), für die er sich interessiert und die er alsbald in ihrer Kirche besucht.
Am subtilsten in der Liebesaffäre, die sich entspinnt, ist jedoch die Beziehung zu den beiden Teenager-Töchtern herausgearbeitet, wobei die abweisende ältere erst dann vor der geballten Virilität Tatums kapituliert, als er sie zu einer Fahrstunde der besonderen Art mitnimmt, die Mutter verstört auf dem Rücksitz. Diese ist es denn auch, die der Polizei den Tipp gibt, der Jeffrey zurück ins Gefängnis bringt (aus dem er noch zwei erfolglose Ausbruchsversuche unternehmen wird). Zu den Qualitäten des Films gehört, wie er einen permanenten Suspense schafft, indem wir eigentlich jeden Augenblick gewärtigen, dass Manchester auffliegt. Tatum, das Sixpack nach wie vor perfekt, zeigt aber auch seine komödiantische Ader, mit der Szene als Höhepunkt, in der er «stark naked» vor einem entgeisterten Peter Dinklage davonrennt.
Lädierte Gliedmassen, versehrte Körper
Auch sonst fand sich manch Sehenswertes – das immerhin zum Teil zu uns ins Kino kommen dürfte. Wohl «The Last Viking» (Den sidste viking) des Dänen Anders Thomas Jensen, Regisseur unter anderem von «Adams Äpfel», eine ziemlich schwarze Komödie – und nur gerade ein Beispiel in einer ganzen Reihe von Filmen, die sich geradezu exzessiv mit brutalen Verstümmelungen des menschlichen Körpers beschäftigen. Verquollene Gesichter, lädierte Rümpfe, abgetrennte Gliedmassen: Die Spezialisten von Prosthetics und CGI haben derzeit alle Hände voll zu tun. So wird zum Schluss etwa der Kiefer von Sofie Gråbøl (als Kommissarin Lund bekanntgeworden), deren Margrethe zuvor als ausgesuchte Schönheit galt, ungut schief in die Landschaft hängen. Das Ereignis des Films, wenn man so will, ist aber wieder einmal Mads Mikkelsen, bei dem man mehr als einmal hinschauen muss, um ihn wiederzuerkennen. Der Frauenschwarm ist hier in seiner bisher wohl exzentrischsten Version von Anti-Casting zu dechiffrieren, als mit schwerem Kindheitstrauma und dissoziativer Identitätsstörung geschlagener Bruder des eben aus dem Gefängnis entlassenen Nikolaj Lie Kaas. Er hält sich inzwischen für John Lennon und pflegt sich, wird er bei seinem richtigen Namen gerufen, unverzüglich aus dem fahrenden Auto oder eben dem nächstbesten Fenster zu schmeissen.
Spätestens seit «Poor Things» (2023) sind wir bei Giorgos Lanthimos groteske Verunstaltungen des menschlichen Köpers gewohnt – wie Emma Stone auch hier wieder noch die wildesten Exzesse der Inszenierung mitmacht, lässt an die Zusammenarbeit etwa von Charlotte Gainsbourg mit Lars von Trier denken. In «Bugonia» nun tut sie es nicht nur als brillante Hauptdarstellerin, sondern ist zugleich Koproduzentin. Wie schon in seinem ungleich bedeutenderen «The Killing of a Sacred Deer» (2017) greift Lanthimos auch in diesem Remake einer südkoreanischen Farce auf einen antiken Stoff zurück (aus Vergils «Bucolica»), wenn er aus einem fanatischen Verschwörungstheoretiker (Jesse Plemons) einen Imker macht, der die CEO eines Biomedizinunternehmens entführt, in der er eine Ausserirdische erkannt zu haben glaubt. Sehenswert macht das krude Ding irgendwo zwischen Lynch und Tarantino eine Emma Stone, die noch in den Folterexzessen eine faszinierende Souveränität bewahrt, wobei ihr ohnehin ausdrucksvolles Gesicht durch den kahlrasierten Kopf geradezu ägyptisch-klassische Schönheit gewinnt.
Da wir bei den lädierten Gliedmassen sind: In keiner der Besprechungen der Uraufführung von «The Secret Agent» (O agente secreto) des Brasilianers Kleber Mendonça Filho dieses Jahr in Cannes habe ich auch nur den geringsten Hinweis auf den «Weissen Hai» gefunden. Doch was als Schrulle des Rezensenten mit Flair für diese Spezies erscheinen könnte (→ Journal21 vom 23. Juni 2025), ist dies mitnichten: Denn der Hai wird hier geradezu zum visuell-narrativen Leitmotiv erhoben. Mit Ausnahme der in der Gegenwart spielenden (und dramaturgisch unbeholfen eingeführten) Coda haben Weisshai und Spielbergs «Jaws» im 1977 angesiedelten Hauptteil in immer neuen Varianten durchaus Signalfunktion: als gestrandetes Tier, das, aufgeschnitten, ein menschliches Bein zum Vorschein bringt, als Kinoaushang (offenbar wurde Spielbergs Film von 1975 in Brasilien erst mit erheblicher Verspätung gezeigt), in den Zeitungen als Fait Divers ebenso wie als Filmhinweis. Daneben erweist Mendonça Filho wie schon in früheren Arbeiten auch hier dem Kino Reverenz. So zeigt er Aushänge: von «The Omen» (aus dem dann auf historischem Material eine Frau mit Nervenzusammenbruch geleitet wird), Wertmüllers «Pasqualino Settebellezze» oder Belmondos «L’homme de Rio», der in Brasilien als «Agent secret» gelaufen zu sein scheint. Besagtes Männerbein, in der Leichenhalle von zwielichtigen Figuren durch eine Kuhkeule ersetzt, scheint nicht nur Indiz für ein politisches Gewaltverbrechen zu sein. Es nimmt auch ein Eigenleben an, wenn es in grotesker Horrorfilmparodie Passanten zu attackieren beginnt … Realität hingegen ist offenbar die zweiköpfige, nein: zweigesichtige Katze, die den von Wagner Moura verkörperten Protagonisten ähnlich zu irritieren scheint wie uns im Kino.
Wokeness, Canceling und Putins Krieg
Daneben fand selbstverständlich auch (politische) Gegenwart statt. Bei «After the Hunt» nach einem Drehbuch von Nora Garrett scheint undenkbar, dass ein Amerikaner, eine Amerikanerin hier Regie geführt hätte, jedenfalls in den USA. Aber auch der Italiener Luca Guadagnino hat diese Campus-Geschichte, die unmissverständlich an der Universität Yale angesiedelt ist, nicht am Originalschauplatz drehen können; die Produktion ist nach Cambridge in England ausgewichen. Die Haupthandlung spielt 2019, man ist woke und gender-sensitive bis zum Abwinken, an der Uni finden Veranstaltungen wie «Die Zukunft des Jihad ist weiblich» ein prallvolles Auditorium. Im Mittelpunkt steht die attraktive Philosophieprofessorin mit dem sympathischen Namen Alma Imhoff (Julia Roberts, die mit damals 52 wohl gerade noch knapp auf eine «tenure» an ihrer Universität hätte hoffen dürfen …).
Ihr gefährlichster Konkurrent um den Posten ist zugleich ihr bester Freund – was erwartungsgemäss zu Loyalitätskonflikten führt, als ihre Lieblingsstudentin und Protégée diesen beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben, wobei das ganze einschlägige Vokabularium aufgefahren wird. Zudem und um etwas Pepp in die Sache zu bringen, ist sie nicht nur Schwarze, sondern die Tochter schwerreicher Gönner der Universität. Ob die Uni irgendwelche Anstrengungen unternimmt, die Sache zu klären, teilt der Film nicht mit. Klar ist, Almas Kollege hat keine Chance. Aber auch ihre beruflichen Aussichten scheinen eher trüb, nachdem eine Rezeptfälschung aufgeflogen ist. Dabei hatte sie doch nur schlimme Magengeschwüre, die sie allen, auch ihrem Mann, verheimlicht hat. Endlich, und das spricht nicht gerade für Alma, merkt offenbar auch sie, dass die angeblich brillante Dissertation der Studentin, wie ihr geschasster Kollege schon sagte, ein einziges Plagiat ist. Wenn sie sich daraufhin die Studentin vornimmt, dann in einem Klartext, der in heutigem universitärem Kontext (leider) völlig undenkbar scheint. Was aus kontinentaleuropäischer Sicht immer wieder irritiert, ist diese ungesunde Nähe zwischen Dozenten und Studenten, die eine falsche Familiarität suggeriert – der Alma einmal denn auch prononciert, wenngleich viel zu spät entgegentritt.
Die schwarze Darstellerin dürfte sich auf diese totale Demontage auch nur deshalb eingelassen haben, weil «Fünf Jahre später», 2024 also, sich alles in Minne aufgelöst haben wird. Alma ist sogar Dekanin geworden. Einigen Raum nimmt im Film auch der philosophische Partytalk ein, der sich gern mit Stichwortschnipseln begnügt. Wobei man sich nicht sicher ist, ob das Drehbuch nun so etwas wie Realsatire beabsichtigt, wenn es einem all die Hegel und Schopenhauer, die Heidegger, Schmitt, Adorno und Agamben, vor allem aber Arendt und Foucault um die Ohren haut. Wenn dann Julia Roberts ihrer Runde Foucaults Konzept des «Panopticon» erläutert, erinnert sich der Schreibende amüsiert, wie er seinerzeit dem «maître penseur» zuhören durfte, als dieser das Gerüst zum späteren «Surveiller et punir» entwickelte, wobei er anders als Alma die grundlegenden Einsichten Jeremy Benthams nicht vergass.
Der eindringlichste Film? Keine Frage: «Mr. Nobody Against Putin» von David Borenstein und Pawel Talankin. Man wird nicht schnell einen Film finden, der uns wie dieser Russland und seine Menschen ans Herz legt – und der zugleich ein scharfes Auge dafür hat, was in dem Land im Würgegriff seines bieder-dämonischen Herrschers vor sich geht.
Pawel Talankin ist zu Beginn Lehrer in der Kleinstadt Karabasch ganz im Süden des Urals, die er liebt, obwohl sie, eine Folge des Kupferbergbaus, zu den am schlimmsten verschmutzten Städten der Welt gehöre. Er hat an seiner Schule die Aufgabe, besondere Anlässe mit seiner Videokamera zu dokumentieren. Er erweitert dies einerseits zu Aufzeichnungen des Schulalltags, wobei er gleicherweise Schüler wie Lehrer vor die Kamera holt. Eindrücklich die hagere Gestalt des unbedingten Putin-Anhängers, der, nach Persönlichkeiten der Vergangenheit befragt, die er gern kennengelernt hätte, ausschliesslich Schlächter aus dem unmittelbaren Umkreis Stalins nennt.
Anderseits lässt er uns an seinen Gedanken zu den zunächst unscheinbaren, dann immer dramatischer werdenden Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine teilhaben, der unerträglichen Indoktrination der Gesellschaft. Seine Sorge gilt seinen ehemaligen Schülern, die nun entweder eingezogen werden oder sich, mangels Alternativen, zum Militär melden. Was zu befürchten war, tritt ein. Unter den laufend zahlreicher werdenden Meldungen von Todesfällen ist bald schon ein ehemaliger Schüler, von einem andern allerdings heisst es, dass er bereits Hauptmann sei. Unvergesslich die Szene, wo bei schwarzer Leinwand, Talankin hat vorsichtigerweise nicht gefilmt, sondern nur den Ton aufgenommen, eine Mutter mit markerschütternden Schreien den Tod ihres gefallenen Sohns beklagt. Mögen sie Putin verfolgen. Am Tag nach seinen anrührenden Abschiedsworten bei einer grossen Schulschlussfeier wird auch Talankin sein Land verlassen. Er lebt heute in Prag. Der Film dürfte bald einmal im ZDF zu sehen sein, das an dieser dänischen Produktion beteiligt war.