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Buch

Empathielosigkeit gegenüber Israel

22. September 2025
Roland Kaufhold
Eva Illouz
Eva Illouz 2025 in München (Foto: Amrei-Marie, Wikipedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Die linke israelische Soziologin Eva Illouz hat nach dem Pogrom vom 8. Oktober 2023 in der globalen linken Szene vielfach die schlichte Leugnung der Hamas-Gräueltaten oder deren Umdeutung zu einem Akt des legitimen Widerstands beobachtet.

Ja, alles wurde schon unendlich oft beschrieben – und doch hilft es scheinbar nichts. Zum barbarischen Hamas-Pogrom liegen zahlreiche unbestreitbare Dokumente vor – und doch wird es schlicht verleugnet bzw. ideologisch umgedeutet. Nach den Essays der linken israelischen Politikwissenschaftlerin Fania Oz Salzberger (2024) hat nun auch die linke israelisch-französische Soziologin Eva Illouz eine eindrückliche, schon beinahe verzweifelte Analyse zum 8. Oktober vorgelegt.

Die 1961 geborene Eva Illouz ist dem linken politischen Lager Israels zuzurechnen. An Kritik, etwa an dem Siedlungsbau Israels, hat es bei ihr nie gemangelt. Illouz ist entsetzt über die Empathielosigkeit, mit der insbesondere die weltweite Linke auf das barbarische Pogrom der Hamas reagierte: «Ich habe mich geirrt. Ein beträchtlicher Teil der globalen Linken (…) hat die Existenz dieser Gräueltaten geleugnet oder sie als Akt des ‘antikolonialen Widerstandes’ gefeiert, schreibt sie in ihrer schmalen, vor allem auf französische, amerikanische und israelische Literatur verweisenden Schrift.

«Euphorie und Schadenfreude»

Diese Linke habe «schockierte und leidtragende Juden» im Stich gelassen und Israel hierüber hinaus, in grotesker historischer und politischer Unkenntnis, sogar noch des Kolonialismus bezichtigt. In «Ein moralisches Rätsel» erinnert die Autorin an das erschütternde Ausmass der systematischen Gewalt sowie der bewusst auch sexuellen Barbarei gegenüber Juden am 8. Oktober. Die Hamas-Terroristen zeigten ihre Übergriffe öffentlich, um Juden zusätzlich zu traumatisieren. Verstörend für Eva Illouz ist die erstaunliche Zahl von «progressiven» Beobachtern, die «in den fröhlichen Chor der Menschenansammlungen aus Gaza einstimmten». 

Illouz, die in Marokko und Frankreich aufgewachsen ist und in Israel, Frankreich und den USA lehrt, beschreibt die Erklärungen gerade von dezidiert linksradikalen Parteien, die sich in ihren Stellungnahmen zum Pogrom mit der terroristischen Gewalt der Hamas-Mörder identifizierten und diese in wahnhaft-bösartiger Weise als «heldenhaften Akt des Widerstandes» feierten.

Zahlreiche namhafte Universitätslehrer empfanden angesichts der öffentlich zelebrierten sexuellen Vergewaltigungen in den linken Kibbuzim «nichts als Jubel über die Terroristen auf dem Weg zu ihrem Pogrom». Bei Eva Illouz löst solche ostentative linke «Leugnung und Freude» ein Gefühl der Sprachlosigkeit aus, «das mich nicht loslässt». 

Illouz fühle sich weiterhin einer Linken zugehörig, die Kolonialismus und Barbarei nicht hinnehme. Im Buch legt sie in überzeugender Weise dar, wie sich die historische Kenntnislosigkeit über die antikoloniale Gründung des demokratischen Staates Israel in der Linken habe verbreiten können.  

Der Zynismus Netanjahus

Die Autorin erwähnt die Überheblichkeit und den Zynismus von Netanjahu, dem die Geiseln offenkundig gleichgültig sind, wie auch die Instrumentalisierung der Shoah durch einige sehr rechte Kreise in Israel. Diese habe zu der Distanzierung grosser Teile der westlichen Weltbevölkerung von Israel beigetragen. 

Illouz beschreibt die Konkurrenz der verschiedenen Minderheiten in den USA. Dass im Jahr 2020 sechshundert jüdische Organisationen in einem gemeinsamen Brief die Bewegung «Black Lives Matter» unterstützen, änderte nichts an dem Prozess der Ausstossung von Juden und von Israel. Selbst nach dem Hamas-Pogrom gab es von dieser Bewegung nur Schweigen und Solidarität mit den Mördern. Dies sei für sie «zweifellos die schmerzhafteste Reaktion von allen».

Eva Illouz beschreibt die ausserordentliche Verletzlichkeit der Juden nach dem Hamas-Pogrom, die zunehmend geleugnet werde. Die Erinnerung an die Vernichtung der Juden werde nun gerade von Linken mit Macht assoziiert und «ihre Vernichtung durch die Nazis bizarrerweise in eine Quelle des Ressentiments verwandelt». 

Islamo-Gauchisme

In einem weiteren Kapitel analysiert die Autorin die Entwicklung, wie der Begriff des Antisemitismus zuerst aus dem linken Vokabular gestrichen und wie sich die Beziehung zwischen der jüdischen und der arabisch-muslimischen Minderheit in Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe. Heute dominiere ein «Islamo-Gauchisme», ein islamischer Linksradikalismus. 

Die Wurzeln reichen bis zum Begründer der Muslimbruderschaft (1928), Hasan al-Banna, zurück, einem glühenden Verehrer Hitlers. Es folgte die antizionistische Sowjetpropaganda kurz nach der Anerkennung der israelischen Staatsgründung. Die Hamas sei «die direkte Erbin dieser religiösen, nazistischen, nationalistischen und antiimperialistischen Vernebelung». Die Figur des Proletariers wurde durch die des Muslims ersetzt. Islamismus gilt nun als Klassenkampf – solch reaktionäre Ideologie kommt in den unterprivilegierten arabischen Stadtteilen Europas gut an.

In einem weiteren Kapitel schreibt Eva Illouz über die 2010 gegründete französische «Parti des Indigènes de la République» (PIR) der französisch-algerischen Politaktivistin Houria Bouteldja, die sich als akademische Kämpferin gegen «Islamophobie» und Neokolonialismus verkaufe, um antisemitischen Antizionismus und konservativen Islam zu amalgamieren. 

Der protegierte Postkolonialismus stütze sich auf «die hochgradig globalisierten Netze der akademischen Welt – zweifellos die am stärksten globalisierten der Welt». Auch die Muslimbruderschaft sei ein fester Bestandteil solcher Netze an amerikanischen Universitäten. Die kollektive Verdammung Israels und von Juden sei die Folge einer «radikalen semantischen Transformation».

Antizionismus als respektable Version des Antisemitismus 

Der heutige Antisemitismus liefere seinen Anhängern einen «kognitiven Trost». Affektiv aufgeladene Wörter, in denen das schwer attackierte Israel entgegen aller Realität dämonisiert wird, ordnen scheinbar das Chaos der Geschichte und unsere eigene Unwissenheit. Nun erscheine, auch dies ist täglich bei den Hamas-Demos zu beobachten, die palästinensische Sache, trotz oder wegen des Pogroms, als «von Haus aus gut: Israel, selbst wenn es auf einen Angriff reagiert, verkörpert schlechthin das Böse». 

Der Antizionismus als «die intellektuell respektable Version des Antisemitismus» gebe sich als eine tugendhafte Ideologie aus, die kollektiv einen kognitiven und identitären Trost spende. 

Eva Illouz: Der 8. Oktober. Suhrkamp, Frankfurt M. 2025, 102 S.

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