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Bündner Kunstmuseum Chur

Ein Badehaus auf Wanderschaft

28. Mai 2025
Niklaus Oberholzer
Installation, «Das Haus von Rüdninkai»
Augustus Serapinias: "Das Haus von Rüdninkai" als Installation im Bündner Kunstmuseum. Holz, Seifen- und Zementziegel, 2024

Das alte Badehaus stand einst an einem Strand in Litauen. Jetzt steht es im Bündner Kunstmuseum in Chur. Augustas Serapinas, Künstler in Litauen (*1990), hat es transferiert und dabei verändert: Eine Installation, deren Veränderungen zahlreiche  Assoziationen nach sich ziehen. 

Mit dem Kontext ändert sich fast alles. Das Badehaus hat seine ursprüngliche Funktion verloren. Es ist kein Badehaus mehr, sondern … was denn? Es steht in einem weissen Museumsraum. Es steht im Scheinwerferlicht. Am Boden steht ein Schild: «Bitte nicht betreten». Gemeint ist der Bretterboden. Ist es, als Objekt ohne Funktion, Kunst? Zwei Wände des Badehauses fehlen. Auch das Dach fehlt. Augustas Serapinas verbrannte Wände und Dach zu Asche, aus der er Seife und Hunderte von Zementziegeln herstellte. Aus ihnen baute er einen  Brennofen mit Kamin als Rauchabzug. 

Holz wird zu Asche und, als Asche, zu einem Bestandteil von Seife. Als Seife wird das Holz ein Mittel zur Körperreinigung. Es ist ein Verwandlungsprozess, wie er seit vielen Jahrhunderten praktiziert wird und wie ihn der Künstler für sein künstlerisches Anliegen nutzt: Sein Werk macht die Metamorphose sichtbar – und greifbar. Die aus Asche gewonnenen Bausteine dienen zum Bau eines (fiktiven) Brennofens, der das Badehaus an dem Ort, wohin es Serapinas transferierte, zur Illusion einer Sauna macht – zur Vorstellung von dem, wozu es früher einmal diente und als das es heute nicht mehr benötigt wird. Das alte Badehaus ist obsolet geworden. 

Holz, Jahrringe
Die Jahrringe des Holzes bezeugen das Alter des «Hauses von Rüdninkai».

Doch halt: Da spielt noch anderes mit. Am «Haus von Rūdninkai» lässt sich die archaisch einfache und schlichte Technik des Hausbaus, die in Litauen und auch in ländlichen Regionen der Schweiz Anwendung fand, der «Strickbau», gut ablesen – an den ineinander verzahnten horizontalen Balken, aus denen die Wände aufgeschichtet sind und deren Stirnseite die Jahrringe das Alter des verwitterten Holzes bezeugen. Ist «das Haus von Rūdninkai» ethnologischer Anschauungsunterricht über das Baltikum und darüber hinaus? Oder doch eher eine Information über Gesellschaftliches? Oder ist es beides? Vom ursprünglichen Badehaus ist nicht mehr viel geblieben, doch lässt sich das Wesentliche trotz des geänderten Kontextes ablesen: Dimension, Proportionen, Materialien, eben der aus hellen und dunklen Ziegeln aufgebaute Sauna-Ofen, der dem Raum die Illusion seiner angenehmen Wärme gibt und ihn zum Aufenthaltsort für Besucherinnen und Besucher werden lässt, vielleicht gar zum Treffpunkt für eine Nachbarschaft, die in der nordischen Kälte die Nähe zu andern Menschen sucht: Der Ort der Körperpflege ist auch ein Ort der Pflege der Geselligkeit.

Dach des Hauses von Steponiy Village
Augustas Serapinas: «Dach des Hauses von Steponiy Village» 2022. Holz.

Kunst zeichnet sich oft dadurch aus, dass sie gleichzeitig für dieses und jenes steht, dass sie Grenzen überspringt, dass sie Gleichzeitigkeit des Verschiedenen signalisiert – und handkehrum radikal in Frage stellt, was gemeinhin als gesicherte Tatsache gilt. Das macht Kunstbegegnungen spannend und anregend. Und damit hält Kunst unsere kognitiven Fähigkeiten in ständiger Bereitschaft, auf Unvorhergesehenes einzutreten und das Undenkbare oder das nur schwer Denkbare zu erproben. Als wolle Augustas Serapinas das unterstreichen, präsentiert er an einer Wand des Museumsraumes, in dem er sein «Haus von Rūdninkai» präsentiert, den angesengten Rest eines weiteren Hauses, das er in Litauen erwarb. 

Da zeigt er sein 2022 entstandenes «Dach des Hauses  von Steponiy Village». Die verkohlten Schindeln des Daches strahlen, wenn sie das Scheinwerferlicht reflektieren, einen silbernen Glanz von entrückter Schönheit aus. Sie gibt der Atmosphäre des ganzen Museumsraumes eine Ruhe, in der sich die Besucherinnen und Besucher ihrem Nachdenken über die inhaltlichen Bezüge von «Haus», «Heimat», «Heimatverlust» hingeben können – wenn nicht, wegen der Brandspuren als Zeichen der Zerstörung, über das Thema «Krieg». 

Augustas Serapinas. Geboren 1990 in Vilnius,  wo er lebte und arbeitet. Er besuchte die Akademie in Vilnius. Einzelausstellungen in Vilnius, Mailand, Berlin, Zuoz (Galerie Tschudi), Wien (Kunsthalle) und Neufundland. Gruppenausstellungen u. a. in Chur (Bündner Kunstmuseum («Wie Sprache die Welt erfindet»), Basel («Art Unlimited»), Venedig (Biennale  2019). 

Bündner Kunstmuseum Chur: Augustas Serapinas – Das Haus von Rūdninkai. Bis 15. Juni.

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