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Opernfestival Aix-en-Provence

Don Giovanni – Vom Verführer zum Vergewaltiger

18. Juli 2025
Annette Freitag
Don Giovanni, Bild 1
Andrè Schuen, Magdalena Kozena als Donna Elvira und Krzysztof Baczyk als Leporello (Foto Festival d'Aix-en-Provence 2025 © Monika Rittershaus)

Der Duft des Südens liegt in der Luft. Zikaden liefern unermüdlich den eintönig- einlullenden soundtrack. Es ist warm. Es ist schön. Das kleine Gärtchen liegt gut versteckt hinter hohen Mauern in der Rue Vendôme in Aix-en-Provence. Der ideale Ort, um Don Giovanni zu treffen … beziehungsweise Andrè Schuen, der Mozarts berühmte Opernfigur dieses Jahr am wichtigsten Opern-Festival Südfrankreichs verkörpert.

Dann kommt er: der personifizierte Don Giovanni. Ganz in Weiss, die schwarze Mähne ein bisschen verstrubbelt und mit einer Baritonstimme, geheimnisvoll und verführerisch wie schwarzer Samt … Andrè Schuen passt ins mediterrane Ambiente dieses Gärtchens. Als Bühnenfigur ist «Don Giovanni» wohl so eine Art «alter ego» für Schuen geworden. Und er hat auch schon einige Erfahrung mit diesem Don Giovanni. 

Die musikalische Leitung hat Sir Simon Rattle, inszeniert wurde der «Don Giovanni» vom englischen Autor und Theater-Regisseur Robert Icke, für den es die erste Oper ist, die er auf die Bühne bringt. Bei ihm ist Don Giovanni nicht einfach der muntere, aber irgendwie liebenswürdige Verführer, sondern das, was er ohne Beschönigung tatsächlich ist: ein Vergewaltiger und Pädophiler. «Diese Inszenierung ist schon etwas Spezielles», so Schuen. «Wir haben uns in diese Figur des Don Giovanni vertieft und sind zum Teil zwei Schichten weiter gegangen als üblich. Das heisst natürlich nicht, dass es deshalb besser wäre als andere Interpretationen.»

Bei der Premiere gab’s ein paar Buhs für die Regie, vor allem aber Applaus und viel Begeisterung für das Orchester und das Ensemble auf der Bühne.

Unterschiedliche Interpretationen

Don Giovanni, Bild 2
Das kommt nicht gut … In dieser Aufführung zeigt Don Giovanni vor allem seine schlechten Charaktereigenschaften (Foto Festival d'Aix-en-Provence 2025 © Monika Rittershaus)

Und was hält Andrè Schuen selbst von dieser Sicht auf das Werk? «Ich denke, für das Publikum ist es schwere Kost», sagt er unumwunden. «Man geht in die Oper und erwartet vielleicht einen leichten, lockeren, spritzigen ‘Don Giovanni’. Und so ist es halt nicht. Das heisst aber für mich nicht, dass die Aufführung nicht gelungen ist. Im Gegenteil. Ich denke, es werden sehr schwierige Themen angesprochen und die Inszenierung läuft in eine Richtung, die vielleicht unerwartet ist. Für mich ist es aber absolut plausibel. Vor allem ist es für mich als Schauspieler – und als Sänger – sehr willkommen, diese Rolle so zu interpretieren.» 

Andrè Schuen
Andrè Schuen – locker, entspannt, sympathisch – ganz anders als der Don Giovanni auf der Bühne (Foto © Annette Freitag)

Andrè Schuen hat den Don Giovanni schon in ein mehreren Inszenierungen verkörpert. Er hat sich also ein breites Bild von Don Giovanni machen können. «Ja, das stimmt. Ich habe auch im letzten ‘Don Giovanni’, den sie hier inszeniert und dann in Nancy aufgeführt haben, mitgewirkt. Das war ein völlig anderer ‘Don Giovanni’ und ich sage das ganz wertungsfrei. Es war halt so ein Don Giovanni … fast schon eine Lichtfigur als energetisch positive Erscheinung, was jetzt bei unserer Aufführung überhaupt nicht der Fall ist. Und das macht die Rolle für mich als Sänger in gewisser Weise umso spannender. Das Spektrum ist wirklich sehr weit.»

Don Giovanni hat tausend Gesichter

Wer ist denn nun aber Don Giovanni für Andrè Schuen? Immerhin hat er ihn inzwischen in den verschiedensten Interpretationen gespielt. Für ihn liege der Reiz genau in dieser Zwiespältigkeit und Vielseitigkeit. «Don Giovanni hat tausend Gesichter. Es kommt immer darauf an, wen er auf der Bühne trifft. Gegenüber Donna Elvira benimmt er sich so … gegenüber Donna Anna völlig anders und gegenüber den Männern sowieso … Da muss man sich in einer Millisekunde musikalisch, mimisch und von der Sprache her an die Situation anpassen. Das macht die Rolle des Don Giovanni auch kompliziert für einen Sänger. Mal passt Giovanni sich dem Leporello an, um ihn in diesem schnellen Parlando zu besänftigen, dann kommt das Terzett, wo er gleich wieder auf Womanizer macht und Donna Elvira um Vergebung bittet, was man in ganz anderen grossen Linien singen muss. Anschliessend die Canzonetta, die total lyrisch und meiner Meinung nach idealerweise sehr zurückgenommen gesungen werden muss … Da kann es schon passieren, dass die Stimme sich irgendwann nicht mehr auskennt … was muss ich jetzt machen. Das ist genau die grosse Challenge beim Don Giovanni.»

Und gibt es unter diesen verschiedenen Don Giovanni-Interpretationen, die er schon gesungen hat, eine Lieblingsaufführung? Schuen lacht: «Immer die, die ich gerade mache … Ich könnte tatsächlich nicht sagen, dass ich in der Vergangenheit einen Don Giovanni gesungen habe, der mir – damals! – mehr Spass gemacht hätte als der jetzige.»

Wie blickt denn nun Andrè Schuen auf «Don Giovanni», was sagt uns das Stück in der heutigen Zeit? «Naja, vielleicht dies: dass Menschen, die eine grosse Attraktion haben, nicht automatisch davor gefeit sind, Kriminelle oder böse Menschen zu sein. Bei Don Giovanni ist der Zwiespalt extrem. Alle kreisen um ihn herum, vor allem die Frauen, aber auch die Männer. Sie merken immer zu spät, dass er nichts Gutes im Schilde führt. Es gibt ja genug Beispiele auch in unserer heutigen Welt, die genau das zeigen!»

Vom Lied zur Oper

Neben der grossen Oper beschäftigt sich Andrè Schuen auch mit Liedern. Von einem Extrem ins andere, könnte man sagen. «Die Zweigleisigkeit war bei mir von vornherein immer da. Ich bin über das Lied zum klassischen Gesang gekommen. Vom Tag eins meines Studiums standen die Lieder zuoberst. Wenn ich ganz tief in mich hineinhöre, würde ich nicht ohne das Lied leben wollen. Einfach aus einer … wie soll ich sagen … lebenstechnischen Überlegung, denn beim Lied kann ich mit meinem Pianisten selbständig arbeiten und muss eigentlich so gut wie nie etwas vertreten, was ich nicht vertreten möchte. Ausser, ich habe vielleicht ein Repertoire gewählt, das mir nicht zusagt. Aber dann bin ich selber schuld …» 

Bei der Oper dagegen, sagt er, seien so viele Menschen beteiligt, dass es manchmal schwierig sei, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Er habe auch Mühe, zu akzeptieren, dass ihm gesagt werde, wie er etwas zu tun habe. «Also ich bin jetzt nicht wahnsinnig aufmüpfig, eigentlich gar nicht …, aber ich muss es ja auf der Bühne vertreten. Wenn ich dann einen Dirigenten hab’, der mir sagt, das musst du so singen, dann noch einen Assistenten, der auch noch seine Meinung dazu gibt, und auf der szenischen Seite einen Regisseur, der sagt, nein, kannst du das bitte so machen … im absoluten Worst Case sind diese Meinungen diametral verschieden, dann gibt es noch einen Sprach-Coach, der auch sagt, was wichtig wäre und das und das und das …  Also ich, als Person, kann damit schlecht umgehen. Ich werde sehr gern in Ruhe gelassen. Und ich glaube, ich bin dann am besten, wenn man das gedeihen lässt, worüber ich mir Gedanken mache und wo ich dann meinen eigenen Weg finde. Und das fand ich hier in Aix-en-Provence so schön, sowohl von musikalischer als auch von der szenischen Seite her. Simon Rattle hat Ideen und sagt, ah, das ist schön, mach so weiter, und Robert Icke gibt Impulse und schaut dann, was beim jeweiligen Sänger passiert. Das hat mir gut getan.»

Gut getan hat ihm doch sicher auch die schöne Umgebung in Südfrankreich. «Ja, das kann ich schon geniessen. Je nach Planung. Aber eigentlich bin ich die ganze Zeit auf der Bühne … Gestern zum Beispiel bin ich um zwanzig nach Mitternacht aus dem Theater nachhause gegangen, musste noch eine Kleinigkeit essen und von der Anspannung runterkommen … dann ist man um vier Uhr im Bett. Am Ruhetag muss man schauen, dass man die Stimme schont und dann wandere ich hier auch gern. Dann war ja gerade noch Wimbledon und ich habe viel Tennis geschaut.»

Wurzeln in Südtirol

Andrè Schuens Heimat ist Südtirol. Da ist er in einer Musiker-Familie aufgewachsen. Vom Pass her sei er Italiener, sagt er und betont: «Aber eigentlich bin ich Ladiner.» Heute lebt er in Graz, aber wenn immer möglich, zieht es ihn zurück nach Südtirol. «Meine Wurzeln sind dort und ich glaube, eines Tages möchte ich auch wieder dort leben. Berge sind meine Leidenschaft, Kochen und natürlich Freunde treffen. Das ist schwierig, wenn man ständig unterwegs ist. Seine Muttersprache ist Ladinisch. Also so ähnlich wie Rätoromanisch? «Jein … bei uns hört man ja sogar Radio Rumantsch aus der Schweiz. Aber ich verstehe nicht alles. Bei uns in den Dolomiten ist Ladinisch auch von Tal zu Tal sehr unterschiedlich.»

Bevor er sich aber auf Ladinisch in die Dolomiten zurückziehen kann, stehen noch etliche Opernrollen auf seinem Programm. Mit Wagner macht er erste Erfahrungen und ein paar Traumrollen hat er auch im Kopf: «Meine absolute Traumrolle wäre der Jochanaan in der ‘Salome’, oder Golaud in ‘Pelléas et Mélisande’» und natürlich ‘König Blaubart’. Diese Opern sind wie Diamanten, Einzelstücke, die man mit nichts vergleichen kann. Aber ich hoffe auch aufs italienische Repertoire und auch auf Wagner.» Zunächst aber Mozart in Aix-en-Provence. Und – taufrisch – gleich noch auf CD. «Mozart» heisst sie ganz einfach. Schliesslich ist Mozart der Komponist, den Schuen bis jetzt am meisten gesungen hat. Dass auch Arien des Don Giovanni darauf sind, versteht sich fast von selbst.

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