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Ukraine

«Dirty deal» oder «filthy deal» zum Ukraine-Krieg?

11. Dezember 2025
Reinhard Meier
Reinhard Meier
Ukraine-Verhandlungen im Kreml
Russisch-amerikanische Verhandlungen in der vergangenen Woche im Kreml. Rechts neben Putin seine beiden Berater Juri Uschakow und Kirill Dmitriew. Links Trumps Unterhändler, die Immobilien-Unternehmer Steve Witkoff und Jared Kushner mit Übersetzerin. (Foto: Keystone/Alexander Kazakov, Sputnik)

Dass die Ukraine zur Beendigung des Krieges bittere Konzessionen an den Aggressor Russland machen muss, ist heute eine weitherum akzeptierte Einsicht. Doch es gibt halbwegs akzeptable und es gibt nicht akzeptable Bedingungen. Der «New York Times»-Kolumnist Tom Friedman unterscheidet zwischen «dirty deals» und «filthy deals». Die Europäer müssen versuchen, einen «filthy deal» zu verhindern. 

In diesen politisch eher verrückten Zeiten ist die Lektüre einiger prominenter US-Kommentatoren oft ein Trost und  Beweis dafür, dass gesunder Verstand und das Festhalten an liberalen Prinzipien auch in Trumps Amerika weiterhin quicklebendig, kämpferisch und keineswegs verstummt sind. Zu diesen Stimmen gehört in vorderster Reihe diejenige des Kolumnisten Thomas Friedman, der seit Jahrzehnten für die «New York Times» schreibt. Er war in jungen Jahren als Korrespondent im Nahen Osten im Einsatz und reist auch heute noch öfter zu den Brennpunkten der Weltpolitik, um sich ein eigenes Bild von den dort agierenden Kräften und Interessen zu verschaffen. 

Ukraines Kampf gegen die Korruption 

Sein Kollege Bret Stephens war früher als leitender Redaktor für das «Wall Street Journal» tätig und schreibt heute ebenfalls für die «New York Times», die wohl meistzitierte Zeitung der Welt. Er vertritt eine deutlich konservativere Linie als Friedman, vor allem beim Thema Israel. Beide Kommentatoren beeindrucken den kritischen Leser durch die analytische Schärfe ihrer keineswegs immer populären Analysen und ihrer historisch oft tiefschürfenden Argumentation. Zum Ukraine-Krieg positionieren sie sich entschieden für die Eigenständigkeit des überfallenen Landes und gegen den Aggressor Putin. Vor allem aber kritisieren sie unverblümt die unzuverlässige Unterstützung der Trump-Administration für die Ukraine und Trumps Neigung, die imperialen Forderungen des Kremls einseitig zu akzeptieren sowie obendrauf als Friedensvermittler nicht nur für die USA sondern auch für den eigenen Familienclan geschäftlichen Profit herauszuschlagen.

Vor kurzem setzte sich Stephens in einem Kommentar mit dem Korruptionsskandal auseinander, der seit mehreren Wochen die Ukraine erschüttert und zur Anklage von zwei Ministern und zum überstürzten Rücktritt von Selenskyjs Stabschef Jermak geführt hat. Korruption sei ein altes Übel der Ukraine, schrieb der Kommentator in der «New York Times». Aber ein Land, in dem gegen ihre führenden Leute ermittelten werde, während es gleichzeitig für seine Existenz kämpfe sei es Wert, verteidigt zu werden. 

«Dreckige» und «schmierige» Deals 

Von dieser Erkenntnis, schreibt Stephens, sollten sich all jene leiten lassen, die nicht dem Flügel jener Leute in der Trump-Administration angehörten, die einen «Ukraine-Frieden um jeden Preis» anstrebten, weil sie – wie die beiden US-Unterhändler und Immobilien-Magnaten Steve Witkoff und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner – sich vom Kreml von der Vision verlocken liessen, dass Russland kapitalkräftigen Investoren wundervollle Geschäftsmöglichkeiten biete. 

Ein paar Tage später ging Stephens Kollege Tom Friedman mit umstrittenen Elementen von Trumps Ukraine-Friedensplan und dem anbiedernden Umgang mit dem Kriegstreiber Putin noch härter ins Gericht. Er sei, schreibt der Kommentator in der «New York Times», nie der Meinung gewesen, dass dieser Krieg für die Ukraine vorteilhaft oder gar siegreich zu Ende gehen könne. Dazu sei der russische Angreifer an Grösse und Ressourcen dem Nachbarland allzu überlegen. Die traurige Wahrheit laute, dass die Ukraine um Konzessionen nicht herumkommen und der Krieg bestenfalls im Rahmen eines «dirty deal» (eines dreckigen Geschäfts) beendet werde. Doch, so argumentiert Friedman weiter,  bestehe zwischen einem «dreckigen Deal» und einem «filthy Deal» ein riesiger Unterschied. 

Unter einem «filthy deal» (ruchlos, schmierig, moralisch abstossend) versteht der Autor in diesem Kontext in erster Linie Konzessionen, die der Ukraine keine verlässlichen Sicherheiten vor späteren neuen Angriffen des russischen Nachbarn bieten. Hinzu kommt das Schielen auf eigene kommerzielle Interessen, von denen Trumps Unterhändler aus dem Immobiliengeschäft möglicherweise motiviert sind.  Akzeptabel im Interesse einer «Dirty deal»-Friedenslösung ist nach Ansicht Friedmans die Einwilligung, dass Russland die Kontrolle über die bereits besetzten ukrainischen Gebiete behalten könne. 

Chamberlains «Appeasement» als Warnung

Aber gleichzeitig müsse auch die Anwesenheit westlicher Sicherheitstruppen in der Ukraine durchgesetzt werden. Nur so, betont der Kommentator, werde einigermassen gesichert, dass der Kreml ungeachtet aller papierenen Garantien bei nächster Gelegenheit nicht erneut in die Ukraine einfalle. Zwar müsse der Verzicht auf eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft geschluckt, doch sollte als Kompensation eine rasche EU-Integration dieses Landes vorangetrieben werden.

In einem früheren Kommentar hatte Friedman Präsident Trump eindringlich vor dem Chamberlain-Beispiel gewarnt. Der damalige britische Premierminister Neville Chamberlain hatte 1938 zusammen mit Frankreich im Rahmen seiner sogenannten Appeasement-Politik die Tschechoslowakei dazu gedrängt oder gezwungen, die ultimative Forderung Hitlers anzunehmen und das mehrheitlich deutschsprachige Sudetenland an Deutschland abzutreten. Doch Chamberlains Verkündung von «peace in our time» entpuppte sich als bittere Illusion. Ein Jahr nach diesem «Deal» marschierten Hitlers Armeen in Polen ein und der Zweite Weltkrieg begann. 

Fehlender Druck auf Putin

Im Vergleich zu diesem abschreckenden historischen Beispiel scheinen im laufenden Ukraine-Krieg die Rollen zurzeit anders verteilt. Es sind heute in erster Linie die drei europäischen Mittelmächte Grossbritannien, Frankreich und Deutschland, die dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj diplomatischen Flankenschutz bieten, um ihn vor einseitigem Druck aus Washington abzufedern. Zwar wird zwischen Trumps Unterhändlern immer noch mit dem Putin-Regime über die konkrete Ausgestaltung eines ursprünglich vorgelegten 29-Punkte Friedensplans verhandelt. Und noch ist völlig undurchsichtig, ob der Kreml überhaupt ernsthaft an einer Friedenslösung interessiert ist, die nicht auf eine De-facto-Kapitulation der Ukraine hinausläuft. 

Aber die jüngsten Verlautbarungen deuten darauf hin, dass der US-Präsident sich viel mehr darauf konzentriert, Kiew zur Annahme fragwürdiger Friedensbedingungen zu drängen, als Druck auf den Aggressor Putin auszuüben. Dieser glaubt es sich leisten zu können, seelenruhig die Möglichkeit einer unbegrenzten Fortsetzung seines Eroberungskrieges zu verkünden, weil von Trumps Seite die frühere Drohung, die Ukraine entsprechend wirksam aufzurüsten, schon lange nicht mehr zu hören ist.

Noch ist das Ende des elenden Ukraine-Krieges, den Putin praktisch im Alleingang vom Zaun gerissen hat, weiterhin offen. Es tut gut und ist ein Hoffnungszeichen, dass es auch in Trumps Amerika gewichtige und unerschrockene Stimmen gibt, die zwar die bittere Notwendigkeit von ukrainischen Gebietsverlusten für eine Friedenslösung einsehen, aber gleichzeitig die eigene Regierung energisch davor warnen, Hand zu einem «filthy deal» zu bieten, der diesem heroisch kämpfenden Land kein sicheres Überleben gewährleisten würde. Zumindest in der öffentlichen Diskussion hat Trump noch nicht alles unter Kontrolle. 

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