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Buch

Die Polizei an ihren Grenzen

12. Juni 2025
Stephan Wehowsky
Halt, Polizei
Keystone/DPA/Patrick Pleul

Jan Solwyn schildert in seinem Buch seinen polizeilichen Alltag. Das ist faszinierend, denn er gibt ganz unaufgeregt Einblicke aus einer Binnenperspektive, die der Leser in dieser Weise nicht kennt. Und seine Schlussfolgerungen sind bitter.

Jan Solwyn war gerne Polizist. Die Schilderung seines Werdegangs und die zahlreichen Episoden, die er erzählt, lassen ihn als sympathischen Zeitgenossen erscheinen, der gerne mit Menschen umgeht. Wenn es sein musste, konnte er auch seine körperliche Überlegenheit ausspielen. Diese Schilderungen liest man durchaus mit Spannung und einem gewissen Vergnügen.

Duldungsstatus

Aber im Hintergrund lauert bei Solwyn die Frustration. Er und seine Kollegen treffen im Laufe der Jahre allzu häufig auf dieselben Personen, die nicht über die nötigen Ausweispapiere verfügen, also eigentlich unerlaubt in Deutschland wären, wenn sie nicht einen Duldungsstatus hätten. Die Abfragen über die polizeilichen Informationssysteme ergeben wieder und wieder das gleiche Bild eines Graubereichs, in dem die Polizei zwar überwachend tätig sein muss, aber immer wieder erkennt, dass ihr von den Betroffenen eine lange Nase gedreht wird.

Und manche polizeilichen Einsätze sind absolut kontraproduktiv, obwohl sie in der Aussendarstellung durchaus als nützlich erscheinen. So sollen Grenzkontrollen die Zahl der unerlaubten Einreisen reduzieren. Die Polizei stösst dabei auf Hindernisse. So kommen zahlreiche Migranten ohne Papiere an die Grenzen, weil sie diese vorher vernichtet oder «verloren» haben. Sie können dann über ihre Herkunft erzählen, was sie wollen. Und die Kontrolldichte lässt zu wünschen übrig. Dazu macht Solwyn die Beobachtung, dass sich Statistiken über unerlaubte Einreisen deutlich verbessern lassen, indem man die Kontrolldichte reduziert. Je weniger Kontrollen, desto weniger unerlaubte Grenzübertritte.

Rassisten?

Man kann die Polizei als Teil des gesellschaftlichen Immunsystems sehen. Solwyn benutzt diesen Ausdruck nicht, aber im Laufe seines Buches kommt er mehr und mehr zu der Einsicht, dass dieses Immunsystem gestört ist. Die Gesellschaft hat gegenüber der Einwanderung noch keine schlüssige Haltung gefunden. Sie weiss schlicht und einfach nicht, wie sie damit umgehen soll. Bitter zitiert er den Rapper Bushido, der im Jahr 2011 einen Preis für «gelungene Integration» bekam und dabei von sich gibt: «Wenn ich will, seid ihr alle tot, ich bin ein Taliban, ihr Missgeburten habt nur Kugeln aus Marzipan.»

Was Solwyn und seine Kollegen wieder und wieder verbittert, ist der ständig erhobene Vorwurf, die Polizei habe es speziell auf Ausländer und dabei natürlich ganz besonders auf Menschen mit dunkler Hautfarbe abgesehen. Sie seien also Rassisten. Aber was soll die Polizei denn machen, wenn sie zum Beispiel den Auftrag erhält, am Flughafen Köln Personen zu identifizieren, die bereits unerlaubt in Griechenland oder Italien eingereist waren, um von dort nach Deutschland zu kommen? Die meisten haben nun einmal eine dunkle Hautfarbe. Solwyn schreibt, wie sehr seinen Kollegen und ihm gerade diese Kontrollen zuwider sind.

Das grosse Scheitern

Solwyn zieht einen Vergleich zur Corona-Krise. Damals sei entschlossen gehandelt worden, und die Gesellschaft war bereit, weitgehende Eingriffe in Freiheitsrechte zu akzeptieren. Natürlich weiss auch er, dass man Corona nicht mit der Migration vergleichen kann, aber man versteht ihn wohl richtig, dass er eine Störung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Bedrohung durch die zu wenig kontrollierte und gesteuerte Migration erkennt. Das gesamte Immunsystem ist durcheinandergeraten. Gegen Ende seines Buches resümiert er bitter:

«Genauso wie eine Allianz aus den modernsten Streitkräften der Welt seit Jahren in Afghanistan scheiterte, so scheiterten die Afghanen und die meisten anderen unerlaubten Einwanderer seit Jahren in Europa. Zugleich drohten die europäischen Gesellschaften an ihnen zu scheitern. Und genauso wie die Afghanen und die meisten anderen unerlaubten Einwanderer in Europa scheiterten, so scheiterten wir seit Jahren an der Grenze. Die europäischen Einsatzkräfte in den Herkunftsländern der Asylbewerber und an den europäischen Aussengrenzen verschwiegen die wahre Situation aus Angst vor der Politik. Die Politik verschwieg die wahre Situation aus Angst vor den Wählern. Die Wähler verschwiegen die wahre Situation in ihren Städten aus Angst vor der Nazikeule. Die Asylbewerber verschwiegen ihre wahre wirtschaftliche Situation in Deutschland aus Angst davor, in ihrer Heimat als Versager dazustehen.»

Nach fünfzehn Jahren hat Solwyn seinen Dienst bei der Bundespolizei quittiert und lebt heute in Israel.

An der Grenze

Jan Solwyn: An der Grenze. Verfehlte Politik, Überforderung, Flüchtlingselend: Wie ein Bundespolizist die Realität an unseren Grenzen erlebt. 256 Seiten, Paperback, Heyne 2025, 20 Euro

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