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Neurotechnologie

Die Gehirnverschalter

21. September 2025
Eduard Kaeser
Neurotechnologie

Leute wie Elon Musk oder Peter Thiel sehen die Zukunft in der Entwicklung direkter Mensch-Maschine-Schnittstellen. Dabei erweisen sich die Visionen der neuen Humantechnologie bei kritischer Betrachtung oft als bigotte Philanthropie. 

Seit gut einem Jahrzehnt formiert sich ein neuroindustrieller Komplex, der auf ein Ziel hinausläuft: die direkte Verschaltung menschlicher Hirnaktivität mit Prothesen. Elon Musk gründete 2017 Neuralink. Er ging davon aus, dass man in absehbarer Zukunft Menschen mit Gehirnimplantaten «enhancen» kann. Heute ziehen chinesische Wissenschaftler und Unternehmer nach. Ein regelrechtes neurotechnologisches Wettrüsten hat eingesetzt, mit dem Fokus auf sogenannten Interfaces oder Schnittstellen: zwischen organischen Gehirnen und Computern (Brain-Computer-Interface, BCI), auch zwischen organischen Gehirnen (Brain-Brain-Interface, BBI). Das Feld, das sich hier öffnet, ist buchstäblich schwindelerregend. Aus mehreren Gründen. 

Chinesische Ratten-Cyborgs

2019 publizierten chinesische Wissenschaftler den Bericht über ein Experiment an einer Ratte. Ins Gehirn des Tiers implantierte man Mikroelektroden, weshalb man es als «Ratten-Cyborg» bezeichnete. Mittels Elektroenzephalografie (EEG) zeichnete man die elektrische Hirnaktivität des steuernden Menschen auf. Sie wurde in Instruktionen übersetzt und direkt an das Rattenhirn gesendet. Auf diese Weise liess sich das Verhalten des Tiers fernsteuern. Die Forscher erhoben mit dieser Verschaltung den Anspruch, «die effiziente Kontrolle eines lebenden Wesens (…) mit mehreren Freiheitsgraden zu realisieren, um eine Navigationsaufgabe in einer komplexen Umgebung zu bewältigen». Die Kooperation zweier Gehirne durch die Übertragung multidimensionaler Informationen sei «vielversprechend». 

«Vielversprechend» klingt nicht unbedingt vielversprechend – besonders in einem Staat, dessen Regime die ganze Gesellschaft als ein Labor für algorithmische Überwachung betrachtet. Das Begriffspaar Kontrolle und Kooperation verrät hier eine nicht geheure Komplizenschaft. Zu vermuten ist jedenfalls, dass nicht so sehr die Freiheitsgrade der Ratte im Fokus stehen als eher die Freiheitsgrade des Bürgers. Ist Kontrolle nicht die optimale Kooperation zwischen Büttel und Bürger? 

Teilhard de Chardin, Rhaposde des Omegapunktes

Mit der Verschaltung von Menschenhirnen rückt die Realisierung einer Vision mit ziemlich dubioser Geschichte in Reichweite. Sie stammt nicht aus der Technologie, sondern aus der – Theologie. Der Jesuit und Naturwissenschaftler Pierre Teilhard de Chardin interpretierte die Evolution auf sehr eigenwillige und umstrittene Art als eine «Planetisierung», eine unaufhaltsame Entwicklung hin zu einem ultimativen Endpunkt namens Omega, in dem alle Menschen ihre Körperlichkeit überwunden haben und in einer Sphäre des (christlichen) Geistes vereint sein würden: einer «Noosphäre». Der gegenwärtige Mensch befinde sich immer noch in einem «embryonalen Stadium», über das hinaus jedoch bereits eine «breite Schicht des Ultra-Menschlichen» zu erblicken sei. 

Damit erweist sich Teilhard als Prophet des Transhumanismus avant la lettre. Der technologische Fortschritt stellt für ihn den Kern dieser Entwicklung dar. Jede grosse Erfindung ist ein spiritueller Meilenstein auf dem Weg zum finalen technologischen Heil, selbst die Atombombe. 

Der Omegapunkt berauscht noch heute die Köpfe der Futuristen. Ihr technologischer Olympismus – schneller, höher, stärker – kommt besonders deutlich in der Idee der technologischen Singularität zum Ausdruck, wie sie prominent Ray Kurzweil in seinem Buch «Die nächste Stufe der Evolution» entwickelt hat: Der Mensch verschaltet sich mit einer Super-KI, erreicht übermenschliche Intelligenz und wird unsterblich. Vom Homo sapiens über den «Homo optimus» zum «Homo deus» – ein grandioser evolutionärer Kurzschluss, der in Yuval Noah Hararis Wälzer «Homo Deus» seinen popkulturellen Höhepunkt fand. Harari ist als Historiker vorsichtig genug, sein Zukunftsszenario nicht als unabwendbar zu zeichnen. Dennoch suggeriert sein «Homo deus» eine heimliche Teleologie: «Nachdem wir die Menschheit über die animalische Stufe des Überlebenskampfes gehoben haben, zielen wir nun darauf ab, (...) Homo sapiens in Homo deus zu verwandeln.» 

Doch wer ist dieses «Wir»? Nicht die Menschheit spricht hier, sondern eine selbstermächtigte Elite. Tech-Milliardäre, politische Strategen, digitale Visionäre. Sie beanspruchen, im Namen aller zu sprechen, während sie ihre Utopien für wenige bauen. Das berüchtigte Diktum des deutschen Rechtsphilosophen Carl Schmitt trifft punktgenau den Nerv: «Wer Menschheit sagt, will betrügen.» Ohne nun das totalitarismusverseuchte Gedankengut von Schmitt zu übernehmen, halte ich den Satz für einen notwendigen Misston im Chor der Menschenverbesserer.

Und dies aus einem ganz bestimmten Grund. Mächtige Technologien spannen den Erwartungshorizont über den Horizont des Machbaren hinaus. Sie dienen als Projektionsfläche machtbesessener Visionäre – ob im Faschismus, Stalinismus, im chinesischen Digital-Kommunismus oder in der kalifornischen Ideologie jener Tech-Bros, die das autoritäre Klima der MAGA-Ära als ideales Biotop für eine Techno-Oligarchie willkommen heissen.

Die Mär vom Stillstand

Aus diesen Kreisen vernimmt man gegenwärtig Klagen, dass wir längst in einem technologischen Eden leben würden, blockierten nicht ständig staatliche Regulationen den Weg dahin. Der Unternehmer Peter Thiel zum Beispiel meinte kürzlich in einem Interview, dass unsere Gesellschaft stagniere und dekadent geworden sei, weil sie zu wenig riskiere: «Wir sollten viel mehr tun. Und ich könnte all diese verschiedenen Bereiche durchgehen. Wenn man sich zum Beispiel die Biotechnologie anschaut – bei Demenz, Alzheimer –, da haben wir in den letzten 40 bis 50 Jahren keinerlei Fortschritt gemacht …»

Das ist ebenso falsch wie tendenziös. Mit «Risikofreudigkeit» meint Thiel nicht die kühne Suche nach Erkenntnis, sondern das unternehmerische Prinzip der «kreativen Zerstörung», also genau das Gegenteil des wissenschaftlichen Erkenntniswachstums: Der Risikokapitalist definiert die Probleme. Thiels Kritik blendet aus, dass namentlich die Alzheimerforschung durchaus Fortschritte verzeichnet mit besserer Diagnostik und Medikation, besserem Pathologieverständnis, besseren Pflegekonzepten. Solche Fortschritte bemessen sich inkrementell in kleinen Abständen. 

Geradezu zynisch klingt Thiels Stagnationsvorwurf vor dem Hintergrund einer MAGA-Regierung, die Forschungsetats massiv kappt. Dabei sind Forscher seit je risikofreudig, etwa dann, wenn sie mit Gehirnimplantaten neue Wege in der Therapie neurologischer Krankheiten beschreiten. Insofern kann man der neuen Humantechnologie durchaus achtenswerte Motive und Absichten zubilligen – überall dort, wo Leiden vermindert oder Leben verbessert wird. Also im Rahmen des Humanen, nicht der Überwindung des Humanen. 

Die Verheissungen von künstlicher Intelligenz über genetische Manipulation bis hin zu neuronalen Schnittstellen sind verlockend, und sie verführen zu einer Form von technologischem Imperialismus – unter dem Deckmantel der Philanthropie. Lasst uns unsere Machtspiele spielen, sie werfen doch nur Gutes für euch ab! So die Rufe der Tech-Oligarchen. Seien wir wachsam gegenüber falschen Menschenfreunden. Sie sind oft die schlimmsten Menschenverächter.

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